Endstation Erwachsenen-WG? – mein schwieriger Umzug nach Hamburg
In den letzten drei Jahren bin ich sechs Mal umgezogen. Nicht nur in der eigenen Stadt, sondern auch quer durch die Bundesrepublik. Mal für ein paar Monate. Mal übergangsweise zu meinen Eltern und dann wieder auf unbestimmte Zeit woanders hin. Ganz schön anstrengend. Trotz der ganzen Ortswechsel, bin ich, drei Jahre später, weder Packweltmeisterin noch ein Fuchs im How-to-Immobilienmarkt. Der ist nämlich mit jedem Jahr deutlich schlimmer geworden. Mittlerweile so wahnsinnig, dass ich mich frage, ob allen, die bis jetzt noch nicht mit der*die Partner*in zusammenleben, nicht bald ein unbefristetes Dasein in einer Erwachsenen-WG blüht? Ganz schön dramatisch, oder? Aber habt ihr mal in der letzten Zeit eine Wohnungsmarktplattform geöffnet und euch dann in einer Spirale von trostlosen Bewerbungen wiedergefunden? Glaubt mir, ab einem gewissen Zeitpunkt ist man bereit, jeglichen Abstrich einzugehen und beginnt sogar mit dem Gedanken zu spielen: Ist die Idee der Erwachsenen-WG nicht vielleicht doch ganz verlockend? Doch spulen wir ein paar Monate zurück.
Bye-Bye-Bayern! Hallo Hamburger-Wohnungssuch-Krise!
Nachdem ich mich Anfang des Jahres von dem einzigen Grund getrennt habe, der mich in der Stadt, in die ich nie ziehen wollte, gehalten hatet, war klar: Es geht zurück nach Hamburg. In den rauen, wundervollen Norden, dem ich zwar nicht gebürtig angehöre, doch der schon seit nunmehr sechs Jahren (on und off) meine Wahlheimat geworden ist. Die Stadt, die eine Art wiederkehrende Konstante in meinem Erwachsenenleben geworden ist. Und der Ort, an dem ich jedes Mal wieder zur Ruhe komme und das Lebenschaos hinter mir aufräume. Unser letzter Abschied 2022 war demnach hart, was die Vorfreude auf ein Wiedersehen umso schöner machte. Einige Telefonate, Termine, Auszugskrisen und Abschiede später saß ich also mal wieder inmitten von Ikea-Taschen und Kartons – meinem Leben – auf dem Weg dorthin, wo mein Herz schlägt. Hello again, Hansestadt Hamburg!
Ich habe zwei ausländische Namen und dunkle Haut. Dinge, die formelle Angelegenheiten nicht unbedingt einfacher machen.Fatima Njoya
Das mit der nördlichsten Stadt Italiens, wie man München so liebevoll nennt, hat für mich einfach nicht geklappt. Und da können die Menschen so gut und schön und wunderbar sein, wie sie wollen. Manchmal, da reicht das nicht. Schon gar nicht, wenn es darum geht, all die äußeren Faktoren zu relativieren. Das Joie de vivre und die Mentalität. Das konnte mit Hamburg (und ja auch dem Schietwetter) einfach nicht mithalten. Das alles (so platt und pathetisch es klingt) ist einfach nach fünf Jahren vor Ort mein Anker und Hafen geworden. Während ich mit München immer gehadert habe. Weil es für mich eigentlich noch nie eine Option war. Dann ein Muss wurde – dass sich nie nach zu Hause angefühlt hat. Weil die Stadt immer auch ein wenig gegen einen angekämpft hat. Ganz leise "Du hast hier keinen Platz", geflüstert hat. Vor allem immer dann, wenn man mal wieder die einzig offensichtlich nicht weiße Person irgendwo war.
München vs. Hamburg: 2023 haben alle Großstädte ein Problem
Auf geht's also auf der A7 gen Norden, mein Leben auf dem Dachboden von Freunden verstauen. Denn obwohl ich schon vorab mehrere Monate intensiv mit der Wohnungssuche verbracht habe, war die Erfolgsquote an überhaupt irgendeiner Reaktion zu kommen, verschwindend gering. Es fühlte sich zunehmend wie eine aussichtslose Mission an, die meine Existenz bestimmte. Die Hoffnung war also: vor Ort geht alles besser! Das dachte ich auch damals über die Suche in München. Und nachdem ich es selbst dort, gegen alle Vorstellungen, geschafft habe, relativ schnell eine bezahlbare Wohnung zu finden, konnte das in Hamburg doch nicht so schwer werden. Doch ich lag falsch und dieser ungewisse Zwischenzustand, als Gast bei meinen Freunden, brachte mich diesmal echt an meine Grenzen.
Auf vier Plattformen, via Social Media und Mundpropaganda, begann ich meine Suche vor Ort anfangs noch recht optimistisch, glaubte an die Urban Legend von "Manche Leute haben einfach wahnsinniges Glück bei der Wohnungssuche" – doch ich habe zwei ausländische Namen und dunkle Haut. Dinge, die formelle Angelegenheiten nicht unbedingt einfacher machen. Ja, selbst 2023 ist das noch ein Problem. Zig Bewerbungen und mehrere Monate später, in denen ich außer formlose Absagen (sehr wenige) und Ghosting (ganz schön viel) kein Erfolgserlebnis hatte, begann ich zu zweifeln. Wie kann es diese Stadt einem so schwer machen? Werde ich jemals wieder meine eigenen vier Wände finden? Muss ich dem WG-Leben doch noch mal ein zwischenzeitliches Go geben? Und wieso gibt es so viele Tauschwohnungen?
Der Hamburger Wohnungsmarkt ist ein Battlefield
Horrende Abschlagszahlungen, voll möblierte Zimmer, Zwischenmieten. Überall waren auf einmal Angebote mit Haken: "Biete Single-Bude im Szeneviertel im Tausch gegen mindestens drei Zimmer in Premiumlage mit Südbalkon". Schwierig, wenn man nichts anzubieten hat, was den teilweise utopischen Vorstellungen der Verhandelnden entspricht. Aber auch ganz grundsätzlich scheint das Segment, in dem ich suche, besonders kompliziert zu sein: Einpersonenhaushalt, ab anderthalb Zimmern und bezahlbar. Schon 2018 stellte man fest, dass in deutschen Großstädten rund 1,9 Millionen günstige Wohnungen fehlen. Besonders Apartments unter 45 Quadratmetern für Partnerlose. Gipfeln tut diese besorgniserregende Situation, die als "größte Krise" seit Jahren bezeichnet wird, in einem Wohnungsdefizit von 700.000 Einheiten im Jahre 2023. Gute Aussichten für alle, die gerade suchen, aus der Studenten-WG ausziehen wollen oder vorhaben, ihre*n Partner*in zu verlassen. Mein Tipp: Don’t.
Was euch hier draußen blüht, ist der anonyme Bewerbungskampf mit Menschen, die vermutlich mehr verdienen als ihr, die in renommierten Firmen arbeiten, Max Mustermann heißen und im besten Fall auch nichts Kreatives machen, sondern etwas Vernünftiges. Mit festem Einkommen und Sicherheiten. Hätte ich das mal bei der Berufswahl gewusst oder bevor ich jemals aus meiner zweiten Hamburger Wohnung, die dann zur WG wurde, ausgezogen bin. Ich war verzweifelt, fast schon besessen von jeder Push-Benachrichtigung meiner Suchaufträge. Und die Lage, ja, die sah eher mittelprächtig gut aus – mit mahnender Zukunftsprognose vom Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung. Ja, fast endzeitmäßig verkündet: Durch Energiekrise, Materialknappheit, Lieferkettenprobleme, steigende Baukosten, Fachkräftemangel, langwierige Genehmigungsverfahren und den Fakt, dass immer weniger Menschen sich eine Wohnung teilen, wird das Problem exorbitant größer.
"Biete Single-Bude im Szeneviertel im Tausch gegen mindestens drei Zimmer in Premiumlage mit Südbalkon"
Kann man sich Single sein überhaupt noch leisten?
Ziemlich niederschmetternd und die erste logische Konsequenz, die mich wuchtvoll traf, war: Kann man sich 2023 Single sein überhaupt noch leisten oder ist es Zeit, die Tinder, Bumble, oder Hinge-Bio um ein kokettes "Suche Partner in Crime für platonische Zweck-WG mit Benefits" zu ergänzen. Benefits wären in dem Fall dann besagte drei Zimmer-KB (Altbau mit Stuck, klar), mit Südwestbalkon und Fischgrätenparkett. Aber Jokes aside. Was mir meine Wohnungssuch-Plattformen konstant widerspiegelten, war Folgendes: Hier könntest du wunderbar alleine leben, wenn der Preis nicht wäre. Also such dir besser jemanden, mit dem du hier einziehen kannst. Dann wird’s zwar eng mit Home Office und Stauraum, aber immerhin bleibt es dann bei dem angepeilten Drittel des Gehalts für die Miete. "Oder du gründest halt eine WG", flüsterte eine Stimme in mir. "Nein", unterbrach ich sie jedes Mal konsequent. "Eher ziehe ich zurück zu meinen Eltern!"
Was natürlich keine Option war, da die an einem anderen Ende Deutschlands leben. FML, dachte ich mir also regelmäßig, während ich kalt auf warm kalkulierte und mit Erschrecken die Nachrichten zur Energiekrise und steigenden Lebenshaltungskosten verfolgte. Wie kann man da noch Ruhe bewahren? Vor allem, wenn man Druck hat, eine Bleibe zu finden. Und was soll ich sagen, die Wohnungssuche verändert einen. Kriterien werden relativiert und auf einmal wirkt Schleswig-Holstein doch ganz verlockend – zumindest Preis-Leistung-mäßig. Da bekommt man noch richtig was für den Quadratmeter. Die Wohnungssuche geht also vor die Hunde und das Beste, was man als junger Mensch machen kann, ist bei den Eltern wohnen bleiben oder sich jemanden zum Zusammenziehen suchen? What are the odds? Das ist also dieses moderne, selbstbestimmte Leben mit multiple Choices? In schwachen Momenten scherzte ich sogar eher einen Partner, als jemals eine Wohnung zu finden.
Oh weh, Erwachsenen-WG
Doch dass ich mich weder bei der Wohnungssuche noch finanziell von jemand anderem abhängig machen wollte, war mir und meinen feministischen Grundprinzipien klar. Denn nach einer ungefähr zwei-jährigen WG-Erfahrung wusste ich, was mir mein Vater schon direkt nach meinem Auszug 2017 gepredigt hat: "Zieh niemals in eine Wohngemeinschaft". Klar gab es da auch schöne Zeiten. Aber sobald das Studium vorbei ist und man eine zeitintensive Arbeitsroutine (im Home Office) hat, merkt man schnell, wie gut oder weniger gut das Zusammenleben mit anderen sein kann. Allein für den eigenen Seelenfrieden. Doch da war also nun diese Stimme in meinem Hinterkopf, die mir neben fragwürdigen Theorien über den Zusammenhang von erfolgreicher Wohnungssuche mit dem Beziehungsstatus auch einflüsterte, dass die Endstation Erwachsenen WG sei. Die einfache Lösung für all meine Wohnungssuch-Probleme.
Was euch hier draußen blüht, ist der anonyme Bewerbungskampf mit Menschen, die vermutlich mehr verdienen als ihr, die in renommierten Firmen arbeiten, Max Mustermann heißen und im besten Fall auch nichts Kreatives machen, sondern etwas Vernünftiges.Fatima Njoya
Ein unvermeidbares und zukunftstaugliches Konzept. Das Mehrgenerationenhaus für Familienlose-Einzelhaushalte. Denn wenn es nicht genügend Wohnraum für Singlepersonen und Jungesell*innen gibt, dann muss man in andere Richtungen denken. Auch hier gibt es eine Zielgruppe, mit der auch ich bereits in Berührung kam. Freund*innen von Freund*innen haben zum Beispiel in so einem Co-Living gewohnt. Sieben berufstätige Leute mit dem ganzen Luxus, den man so nicht in Studentenwohnungen findet: Dyson-Staubsauger, Thermomix, Küchenausstattung-Deluxe und sogar einer Putzkraft, um Streitigkeiten zum Thema Sauberkeit zu vermeiden. Aber will man das wirklich? So für langfristig? Reinschleichen. Rücksichtnehmen. Dem Übernachtungsgast der Mitbewohner*innen am Morgen halbnackt im Bad begegnen und nachts nicht saugen können. Für immer Teenager-Feels?! Oh weh!
Ohne Premium nix los!
Dann doch lieber den letzten Nerv an die Jagd nach den eigenen vier Wänden verschwenden. Oh ja, Wohnungssuche 2023 erfordert Hingabe! Die Immo-Plattformen sind das Erste, was du checkst, wenn du aufwachst. Und jede Sekunde, die du wach bist, verbringst du damit, eine vorgefertigte Vorlage anzupassen und per Copy und Paste an die nächsten Anbieter*innen zu senden. Immer mit der Hoffnung, sie melden sich bei dir und nicht einem der anderen Mitbewerber*innen. Und während du diese fast schon Vollzeitjob-mäßige Belastung jonglierst, gibt es da draußen auch findige Betrüger*innen, die mit der Wohnungsnot und Verzweiflung Profit schlagen wollen. Die sind im digitalen Zeitalter auch nicht mehr so leicht zu enttarnen. Sie haben Websites, Unternehmen mit Google-Bewertungen, Instagram-Accounts und fügen sich hervorragend in die breite Masse an Wohnungsanzeigen. Denn auch da wollen findige Vormieter*innen Vermittlungsgebühren und unverhältnismäßige Abschlagszahlungen für Pax-Schränke und Kallax-Regale einheimsen.
Was man hier braucht, um zu bestehen, ist einen langen Atem, Geduld, Zeit und Premium-Mitgliedschaften.Fatima Njoya
Was man hier braucht, um zu bestehen, ist einen langen Atem, Geduld, Zeit und Premium-Mitgliedschaften. Das am besten auf allen vorhandenen Plattformen, bei denen unbedingt die Push-Benachrichtigungen zu aktivieren sind. Und ganz eventuell erreicht einen dann ein rettender Anruf: "Sie können sich die Wohnung ansehen". Eine der vielen, von denen du dann noch nicht mal mehr weißt, worauf du dich eigentlich beworben hast. Nur, dass sie anscheinend deinen bis dato schon sehr aufgeweichten Wohnungssuch-Kriterien entsprechen muss. Und was kann ich sagen, nach monatelanger, verzweifelter und extrem intensiver Suche, kam dann der Rückruf – von der einzigen Wohnung, zu deren Besichtigung ich überhaupt eingeladen wurde: "Sie können einziehen, Frau Njoya", sagte man mir am Hörer und ich konnte es nicht glauben. "Was haben sie gerade gesagt?!" Gott sei Dank war sie jetzt vom Tisch, die Idee der Erwachsenen-WG. Der letzte Ausweg, der ungewollte Plan B.