Diskriminierung macht krank: LGBTQIA* und Mental Health

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In einem meiner Romane gibt es eine Triggerwarnung auf der ersten Seite, denn mein bisexueller Protagonist Romeo hat ganz schön mit seiner Identität zu kämpfen. Die Queerfeindlichkeit, die ihm von verschiedenen Seiten entgegenschlägt, macht etwas mit ihm. Irgendwann kann Romeo sich selbst nicht mehr leiden und stürzt sich zur Ablenkung immer ausschweifender in das Berliner Nachtleben − der Ausgangspunkt von "Und du fliegst durch die Nächte". Der Roman ist natürlich etwas rein Fiktives, und doch enthält er viel Wahrheit über das Leben queerer Menschen. Denn wir kennen Vorurteile und Ausgrenzung. Wir kennen dieses nagende Gefühl im Bauch.

Die Sache mit meiner Gynäkologin

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Es gab eine Zeit in meinem Leben, da hatte ich richtiggehend Herzrasen, wenn wieder einmal der Kontrolltermin bei meiner Gynäkologin anstand. Seien wir mal ehrlich: Ich glaube nicht, dass jemals die Situation eintreten wird, in der ich es nicht maximal seltsam finde, unten ohne auf diesem Stuhl zu liegen. Mir kaltes Metall in die Vagina schieben zu lassen und nebenbei locker-flockigen Small Talk zum Besten geben. Daher rührte mein Unwohlsein aber nicht.

Es lag am unangenehmen Interesse an meinem vermeintlichen Freund und der Frage der Verhütung. Natürlich wurde mir auch wieder einmal die Pille angedreht, die ich dankend ablehnte. Um das Thema ein für alle Mal aus der Welt zu schaffen, war ich schließlich einfach ehrlich. Ich wäre in keiner festen Beziehung, erklärte ich. Würde gerade nur sexuelle Verbindungen mit Menschen mit Vulva eingehen und mich da nicht festlegen. Was dann folgte, war eine Mischung aus klassischem Slut Shaming und "Diese Phase hatten wir doch alle mal"-Floskeln.

Aber meine damalige Gynäkologin ist eben großer Penetrations-Fan, Vulva-plus-Penis-ist-richtiger-Sex-Vertreterin.

"Sie werden schon sehen. Da kommt mit Sicherheit bald ein interessanter, junger Mann", meinte meine Ärztin und versuchte mir die Pille erneut schmackhaft zu machen. "Für diesen Fall gäbe es dann ja immer noch Kondome", antwortete ich. (Sollte mensch by the way nicht nur zur Vermeidung einer Schwangerschaft nutzen.) Aber meine damalige Gynäkologin ist eben großer Penetrations-Fan, Vulva-plus-Penis-ist-richtiger-Sex-Vertreterin. Intimität mit Frauen bedeutete lediglich einen netten Zusatz, eine besondere Kuscheleinheit.

Irgendwie befand ich mich plötzlich in einer Situation, in der ich die volle Dröhnung an Vorurteilen und Abwertung abbekam. Ich war achtzehn und super schüchtern in meiner Sexualität. Bi Panic war sowieso dauernd am Kicken. Diese unangenehmen Besuche bei meiner Ärztin waren also echt das Letzte, was ich gebrauchen konnte.

Natürlich habe ich mich nie getraut, sie nach Lecktüchern zu fragen. Natürlich nicht nach Wegen, mich vor sexuell übertragbaren Krankheiten zu schützen. Ich habe mich ehrlich gesagt gar nichts anzusprechen getraut, was irgendwie mit queerem Sex zu tun hat.

Diskriminierung macht etwas mit mir …

Es ist nicht nur meine damalige Gynäkologin. Es ist auch das Vorstellungsgespräch, bei dem ich mich mit den ganzen zu intimen Fragen des Filialleiters unwohl fühle, und auf unangenehmste Art und Weise geschlussfolgert wird, dass ich lesbisch wäre. Es ist der getauschte Blick zweier Kommilitoninnen, als ich von meinen beiden Beziehungen erzähle. Meine Eltern, die meine sexuelle Orientierung wegignorieren. Es ist die Gruppe Männer, die meine Ex-Freundin und mich nachts an der U-Bahn Haltestelle beschimpften und bedrängten.

Inzwischen kann ich solche Erlebnisse wegstecken, meistens zumindest. (Wie bescheuert, dass ich so einen Satz überhaupt schreiben muss, oder?) Ich will dann nicht mehr gefallen oder verstecken, sondern ich bin wütend. Und es ist mir scheißegal, wenn diese Wut dann auch mein Gegenüber trifft. Denn wenn ich den Mund nicht aufmache, ändere ich auch nichts. Meine Aufgabe ist es letzten Endes aber trotzdem nicht.

… und auch mit anderen!

Sicher aber ist: viele (alltägliche) Momente bedeuten für LGBTQIA*s maximalen Stress, ja, sogar Angst.

Die Leben queerer Menschen sind individuell und so auch die Erfahrungen von Ausgrenzung und Diskriminierung. Sicher aber ist: viele (alltägliche) Momente bedeuten für LGBTQIA*s maximalen Stress, ja, sogar Angst. Was ist mit der trans Person, die online nach queerfreundlichen Ärzt*innen suchen muss, damit ihr Körper nicht bewertet wird? Was mit der bisexuellen Muslima, die doppelte Diskriminierung erfährt? Dem Pärchen, das bei der Urlaubsplanung auf das Traumziel verzichtet, weil ihre Liebe in diesem Land unter Strafe steht? Was mit dem Mann, der auf der Pride Parade krankenhausreif geschlagen wird? Es geht nicht um diesen einen großen Moment, es geht um die Aneinanderreihung vieler kleiner.

Gestresst oder schon depressiv?

Es gibt zahlreiche Studien (zum Beispiel hier beim LSVD) zur mentalen Gesundheit queerer Menschen, insbesondere im Zusammenhang mit diskriminierenden Erfahrungen und dem Gefühl von Stress. Letzten Endes kommen sie alle auf die ein oder andere Weise zu dem Schluss, dass das Risiko für psychische Erkrankungen im Vergleich zu hetero und/oder cis Personen erheblich größer ist. Mehr als doppelt so häufig Depressionen, dreimal so oft Burnout. Es geht um mehr Angst, Sorgen, Schlafstörungen, Suchterkrankungen und das Gefühl von Einsamkeit.

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Ich kann euch deshalb nur dazu ermuntern, eure Herzen zu öffnen, zuzuhören und den Stimmen anderer Raum zu geben. Denn wir alle haben es verdient, gesund zu sein und vor allem zu bleiben.

Eine Zusammenfassung von 35 Studien aus insgesamt zehn Ländern kommt außerdem zu dem Ergebnis, dass das Suizidrisiko bei homo-/bisexuellen Jugendlichen um das Dreifache höher ist als bei Heterosexuellen. Bei trans Jugendlichen ist es sogar rund sechsmal so hoch. Die Forscher*innen begründen diesen enormen Unterschied vor allem mit der gesellschaftlichen Stigmatisierung und der daraus resultierenden mangelnden Akzeptanz der eigenen sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität. Das sind reine Zahlen, aber hinter jeder einzelnen steht ein Individuum − in diesem Fall sind das über zwei Millionen junge, queere Menschen.

Queer Joy statt Minderheitenstress

In der echten Welt wäre Romeo einer von ihnen. Einer derjenigen, deren Köpfe sich mit Dunkelheit füllen, weil sie die furchtbaren Dinge glauben, die ihnen immer wieder gesagt werden. Wegen des Minderheitenstresses, der Ausgrenzung. Ich kann euch deshalb nur dazu ermuntern, eure Herzen zu öffnen, zuzuhören und den Stimmen anderer Raum zu geben. Denn wir alle haben es verdient, gesund zu sein und vor allem zu bleiben.

Irgendwann werden wir diese Zahlen ändern und das Risiko senken, davon bin ich überzeugt. Dafür brauchen wir Aufklärungsarbeit, Safe Spaces, Sensibilisierung von Fachpersonal und so vieles mehr. Und ja, das wird noch ein langer Weg. Ich wünsche mir so sehr eine Welt, in der junge Queers an einem Ort aufwachsen können, an dem es verschiedene Formen von Normalität gibt. Ich wünsche mir Liebe und Freiheit und vor allem Mut. Denn Mut hat viele Gesichter.

WICHTIG: Alle Queers, die sich gerade in einer akut schlechten Lage befinden und nicht wissen, wohin sie sich wenden können, finden in Hamburg bei i²TransHealth, der trans*Beratung Nord e.V. oder im Magnus-Hirschfeld-Centrum eine erste Anlaufstelle. Online kann mensch sich mit wenigen Klicks an den Kummerkasten des Queer Lexikons wenden.

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