Mein Lieblingsort in Hamburg #12: Die Fruchtallee

© Anna Nguyen

Wir empfehlen euch täglich jede Menge vergnügter Locations, mit viel Liebe von uns und unseren Autor*innen für euch ausgesucht. Und auch wenn Hamburg so viele verschiedene Facetten hat, die es zu erkunden gilt, hat doch jeder von uns diesen einen Platz, an den es ihn*sie immer wieder zieht. Das eine immer gleiche Café, die immer gleiche Bar oder diese eine Ecke der Stadt, mit der immer gleichen Aussicht und den immer gleichen Menschen. In dieser Reihe rücken wir unsere ganz persönlichen Lieblingsorte in Hamburg in den Fokus.

Fruchtallee? Ist das nicht diese laute, hässliche Straße, die einmal von Schlump bis zum Eimsbütteler Marktplatz verläuft? Ja, genau diese Straße ist einer meiner Lieblingsorte in Hamburg. Zugegeben: Außer dem Namen scheint an dem Abschnitt der B5 nichts Süßes dran zu sein. Auch von einer klassischen, mit vielen Bäumen gesäumten Allee ist hier nichts zu sehen. Auf der sechsspurigen Straße flitzen rund um die Uhr Autos von links nach rechts, von oben nach unten, von Osten nach Westen. Rotklinkerhäuser reihen sich an Neubauten, einzelne Hochhäuser und hier und da ragt auch mal ein schöner Altbau heraus. Wer durch die Fruchtallee fährt, bleibt hier nicht stehen und will nur zügig weiter. Wer durch die Fruchtallee fährt, denkt sich wahrscheinlich: Oh Gott, hier würde ich niemals wohnen wollen.

© Anna Nguyen

Aber Spoiler: Ich wohne hier. Für mich fühlt sich die Welt um die Fruchtallee wie ein kleines Paralleluniversum an. Wo 24/7 Menschen von A nach B huschen, schnell zur Bahn eilen oder den Fuß fest in die Pedale treten, um hier wegzukommen, hat sich für mich ein kleiner, eigenständiger Kosmos eröffnet.

Süße Fruchtallee oder eher Frustallee?

Nennt es Schicksal, höhere Macht oder Gottes Willen, aber es muss ein Zeichen sein, dass ich ausgerechnet unter 111 Wohnungsbewerbungen hier die Zusage für eine Wohnung bekommen habe. Wer denkt, die Großstadt bedeutet Glanz, Glamour und Gloria, dem gebe ich den Tipp: Zieh in die Fruchtallee! Denn hier kommst du ganz schnell wieder auf den Boden der Tatsachen und bekommst einen kleinen Eindruck davon, wie man in den letzten Jahrzehnten in Hamburg gelebt hat.

Was viele nicht sehen: Die Fruchtallee selbst ist auch eine kleine Einkaufsstraße. Hier reiht sich der Bäcker an den Fischladen, das Fotolabor, den Fahrradladen, den Comicladen, die Sportkneipe und die Kaffeebar. Flat White mit Hafermilch? Gibt es erst einige Straßen weiter. Auch gibt es hier weder Sushi, noch neapolitanische Pizza oder healthy Bowls. Der Trubel der Großstadt zieht auf den Fahrbahnen wortwörtlich vorbei und ganz ohne Hermines Zeitumkehrer oder eine geheime Zeitmaschine ist die Zeit hier einfach stehen geblieben.

© Manuel Schlecht

Die Fruchtallee ist mein Zuhause. Ich hole mir am Wochenende von Frau Peukert frische Backwaren, die noch von ihrem Mann selbst gebacken werden. Freitags gönne ich mir gern die leckersten Fischbrötchen aus Melis’ Fisch- und Feinkostladen oder beobachte die Gruppe älterer Männern, die sich tagein tagaus draußen auf der Bank treffen, um zu trinken, Karten zu spielen und zu schnacken. Läden, bei denen man denkt, dass sie schon vor Corona nicht überleben würden, werden hier auch nach der Krise noch da sein.

Und das gibt mir in dieser Zeit Hoffnung. Ich freue mich auf den Frühling und den Sommer, wenn hoffentlich der Mann aus dem Lederwarengeschäft seine unzähligen Taschen und Rucksäcke wieder raushängen kann. Wenn ich schnell zum Schneider husche und mir meine Hose kürzen lasse oder krosse Pommes vom Grillstübchen hole. Die Welt ändert sich, aber die Fruchtallee bleibt.

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