Meidet das Docks, ächtet die Freiheit – wenn Verzweiflung in Verschwörung endet

© Prinzenbar

Mit einer unsäglichen Querdenker-Kampagne verscherzen sich zwei der wichtigsten Hamburger Clubs den Support ihrer Szene. Dabei, das beweist die restliche Gastronomie, muss Verzweiflung nicht in Verschwörung münden.

Ein Kommentar von Jan Freitag

Deutschland, ein Winteralbtraum. Endlich hatte es den Ruf preußischer Miesmuffel abgelegt. Das Reich der Pickelhauben stand plötzlich weniger für Sekundärtugenden von Ordnung über Fleiß bis Gehorsam als Primärspaß einer brodelnden Clubkultur mit Berlin im Zentrum und Hamburg als Partyperipherie für Andersdenkende, Andersliebende und Andersseiende aller Art. Doch nun? Geht alles den Bach runter. 

Doch nun? Geht alles den Bach runter.

Läden schließen, Clubs sowieso und davor pöbeln Populist*innen. Mit der Wirtschaft wankt die Gesellschaft, bis deren Bevölkerung so krank an Leib und Seele ist, dass besonders dumme, skrupellose, oft auch bloß verzweifelte Teile darin den Irren vom rechten Rand folgen, und nein – damit sind ausnahmsweise keine Corona-Leugner*innen gemeint. Sondern Original-Nazis.

Was machen das Docks und die Große Freiheit 36?

Nicht dass man die pandemische Pest der 2020er mit den politischen 1930er Jahre vergleichen sollte. Alles anders heute, alles schlimmer damals; auch wenn die Feierlaune der Weimarer Republik schon mit jener der Berliner Republik vergleichbar war. Aber wer zurzeit beobachtet, wie skrupellos, verzweifelt und dumm sich einige Opfer der dritten Infektionswelle verhalten, könnte sich durchaus an die dunkelste Zeit der Menschheitsgeschichte erinnert fühlen. Gemeint sind damit allerdings nicht bekennende Querdenker*innen, sondern ihre verstohlenen Fans: Docks und Große Freiheit 36.

Schon kurz nach der ersten Schließung vor einem Jahr, hatte Docks-Geschäftsführerin Susanne Leonhardt Hamburgs größten Club zur Litfaßsäule rechter Verschwörungsideologien gemacht und als Meinungsvielfalt verkleidet – womit sich seinerzeit nur ein Etablissement solidarisch erklärte, eben die Große Freiheit 36, immerhin Rang zwei im Kapazitätsranking der Stadt. Als beide Bühnen ihrer Gesinnung jetzt durch Werbung für hartrechte Presseattrappen wie KenFM oder Rubikon.news Nachdruck verliehen, wurde es nicht nur dem Clubkombinat zu viel, dass sich „eindeutig von sämtlichen falschen und irreführenden Aussagen und Quellen zur Covid-19-Pandemie“ distanziert und die Docks-Chefin Leonhardt aus dem Vorstand geworfen hatte. Auch ein Großteil ihrer Geschäftspartner*innen begehrt gegen sie auf.

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„Mit wachsender Enttäuschung“, schreiben Veranstalter wie Karsten Jahnke, Labels wie Buback und Verbände wie die Interessengemeinschaft Hamburger Musikwirtschaft in einem offenen Brief, „müssen wir beobachten, dass ihr zunehmend gefährlichem und demokratiefeindlichem Gedankengut ein Forum bietet“. Veranstaltungen unterm selben Dach kämen unter diesen Bedingungen nicht infrage. „Den daraus entstehenden Schaden für alle Gäste und den Kulturstandort der weltoffenen Stadt Hamburg werden wir dafür in Kauf nehmen.“

So ein Boykott ist insofern bemerkenswert, als der Schaden auch ohne Querdenkende in Docks und Freiheit schon gewaltig ist. Allein 2020 hat die deutsche Kreativwirtschaft 13 % weniger Umsatz gemacht, die Musikbranche brach sogar um mehr als die Hälfte ein. Und das Gros der 22,4 Milliarden Euro Minus entfiel auch an der Elbe auf Live-Events – ganz gleich, ob Mehrzweckhalle, Kellerclub, Open-Air-Gelände. Von Gaststätten, die vielfach vor den Scherben ihrer Existenz stehen, ganz zu schweigen.

Das gilt natürlich auch für Docks und Freiheit, denen es – zugegeben – mindestens genauso dreckig geht. So dreckig halt, wie einer ganzen Branche im Dauerlockdown. Nur treten andere Gastronomen in ihrer Verzweiflung nicht nach unten.

Das gilt natürlich auch für Docks und Freiheit, denen es – zugegeben – mindestens genauso dreckig geht. So dreckig halt, wie einer ganzen Branche im Dauerlockdown. Nur treten andere Gastronomen in ihrer Verzweiflung nicht nach unten. Mit Piccadilly oder Toom Peerstall zum Beispiel stehen zwar zwei Institutionen der queeren Barkultur vorm Aus und damit ihr Biotop im Ganzen. Zweifel an der epidemiologischen Wirklichkeit ist von dort aber nicht zu vernehmen. Auch Logo-Chef Eberhard Gugel musste vier Angestellte in Kurzarbeit schicken und plant erst 2022 wieder Konzerte in Hamburgs größter Dampfsauna.

Trotzdem ist Verschwörungsgefasel für ihn so undenkbar wie aufzugeben – was ihm sein Publikum mit einer Crowdfunding-Kampagne dankt.  „So viel Rückhalt und Liebe“, sagt er in einem NDR-Beitrag, „hat mich nochmals für ein Jahr gestärkt.“ Diese Solidarität dürften sich Docks und Freiheit verscherzt haben. Es sei denn, sie veranstalten künftig Rechtsrockkonzerte. Das allerdings scheint noch nicht mal völlig ausgeschlossen zu sein. Noch vor der ersten Stellungnahme, die beide für kommenden Montag angekündigt haben, fand am 18. März 2021 offenbar eine Propaganda-Veranstaltung der AfD-nahen „Ärzte für Aufklärung“ in der Großen Freiheit 36 statt. Da dürfte jedes künftige Entgegenkommen ebenso businesstaktischer Natur sein, wie das zwischenzeitliche Abhängen einiger besonders widerlicher Plakate vorm Docks.

Weil der Großen Freiheit 36 selbst das offenbar zu linksgrünversifft war, stellt sich in einer Branche, die laut offenem Brief „zusammenstehen sollte“, umso mehr die Frage: Was tun? Wir versuchen es mal mit einem Appell: Meidet das Docks! Ächtet die Freiheit! Boykottiert Bühnen wie diese – zumindest unter der aktuellen Führung. Die Welt wäre auch zuvor schon kein schlechterer Ort gewesen ohne deren Mottopartys und Mainstreamkonzerte, aber jetzt hilft nur die die finanzielle Austrocknung einer kleinen Gruppe Ewiggestriger, die ihren Ärger über den Lockdown allen Ernstes mit Anne Frank bebildern und sich auch sonst weit rechts vom demokratischen Diskurs positionieren.

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