18 Monate Lockdown: Wie geht es weiter mit den Hamburger Clubs?

Tanzlustbarkeiten, allein schon dieses Wort aus der Frühzeit gesitteter Abendgestaltungen. „Tanzlustbarkeiten“, heißt es unter §15 der örtlichen Corona-Schutzverordnung mit dem preußisch zackigen Kürzel HmbSARS-CoV-2-EindämmungsVO, dürfen Hamburgs Diskotheken und Musikclubs „nicht in geschlossenen Räumen“ anbieten. Open Air gelten zwar andere, mit etwas Wohlwollen: mildere Regeln. Doch spätestens, wenn sich das bewegte Nachtleben Ende Oktober wetterbedingt in beheizte Räumlichkeiten zurückziehen muss, droht dem Feiern im Kollektiv der totale Tanzlustverlust.

Bis auf weiteres nämlich bleibt es verboten, sobald rhythmisch veranlasste Körperkontakte drohen. Während sich die rechtspopulistische Querdenkerfront aus Freiheit, Dock’s und Prinzenbar mit ihrer pseudopluralistischen Anbiederung an Atilla Hildmann freiwillig – und idealerweise für alle Zeiten – ins Abseits geschossen hat, hoffen Gäste und Teams vernunftbegabterer Clubs vorerst vergeblich auf innere Öffnungsschritte. Ein Desaster – sagen zumindest jene, denen die Konzert- und Partykultur mehr bedeutet als geldwerte Werbewirkung der Marke Hamburg.

18 Monate Lockdown

„Nach 18 Monaten Dauerlockdown ist die Lage weiter dramatisch“, meint Geschäftsführer Thore Debor im Namen von gut 100 kleinen bis großen Musikbühnen, deren Interessen sein Clubkombinat vertritt. Finanziell hätten staatliche Rettungsmechanismen vom nationalen Überbrückungsgeld bis zur lokalen Soforthilfe zwar einige der größten Löcher gestopft. Allerdings in der Regel nur notdürftig, halbherzig, vorläufig, also alles andere als nachhaltig – daran kann auch die Möglichkeit zur Außengastronomie wenig ändern. Während viele Clubs ohnehin keine Freifläche haben, verzweifelt schließlich selbst das Knust an seiner üppigen Ausweichmöglichkeit vor der eigenen Haustür.

© Andreas Baur

Open Air: Der Aufwand lohnt sich nicht

Seit Wochen bereits bietet der Lattenplatz am Neuen Kamp ein seltenes Refugium für Live-Musik jeder Art. „Dafür räumen wir das Knust jeden Tag vor die Tür“, meint Geschäftsführer Karsten Schölermann. Nur: „es lohnt sich nicht“. Denn während sich der Aufwand vervielfacht hat, „haben sich die Erlöse halbiert“. So geht es allen Anbietern organisationsintensiver Konzerte. Selbst die Rote Flora, dank ehrenamtlicher Strukturen vergleichsweise kostengünstig zu betreiben, hat ihre Rücklagen verbraucht und hängt nun noch mehr am Tropf aufgestellter Soli-Dosen. Egal ob 1200 Plätze wie die Fabrik, 800 wie das Gruenspan, 400 wie im Logo oder 100 beim Birdland – ohne Indoor-Aussicht schwimmen Hamburgs Kulturlandschaft die unbestuhlten Felle weg. Und sie tun es seit der jüngsten Ministerpräsidentenkonferenz kaum langsamer.

„Veranstaltungen, Feiern, Bars und Clubs“, lautet Punkt 6 der Textvorlage, seien „mit einem besonders hohen Risiko für Mehrfachansteckungen verbunden“, bei betriebswirtschaftlich rentabler Auslastung also: potenzielle Superspreader. Da konnte der Verband deutscher Musikspielstätten Anfang August in Hamburg angesichts anhaltender Fortschritte beim Impfen noch so lautstark „ein Ende der Masken- und Abstandspflicht für Live- und Clubveranstaltungen“ fordern – wenn Verwaltung und Politik nicht bald damit aufhören, „die freie Berufsausübung einzuschränken“, wie LiveKomm moniert, drohen selbst dann unwiderrufliche Schäden, wenn die berühmte 3G-Formel wieder Türen öffnet.

© Lukas Ellerbrock

Unsicherheit für den Winter

Unabhängig davon nämlich, ob Geimpfte, Genesene, Getestete vorm Winteranfang auf engerem Raum tanzen als bei abgespeckten Festivals wie dem „Off the Radar“ des Hafenklang nahe Neumünster, bliebe die unbekannte 3P-Formel. Größere Unsicherheitsfaktoren als medizinische sind für Thore Debor nämlich Preise, Publikum, Personal. Erstere würden kostenpflichtige Tests ebenso erhöhen wie Inflationsrate oder Planungsunsicherheiten. Letzteres ist durch diverse Lockdowns massenhaft in andere Jobs abgewandert. Nina Kampe vom Gruenspan sieht da ein langfristiges Problem: "Für unsere Mitarbeiter:innen ist es eine extrem lange Durststrecke und Zeit des Wartens auf das, was sie tun wollen und eben auch lieben. Veranstaltungen sind kleinteilige Angelegenheiten mit vielen Beteiligten. Sie fallen durchs Förderungsraster und es ist wichtig, dass endlich auch in der Politik ankommt, dass es Tausende Menschen gibt, die gerade keine Einkommensmöglichkeit haben."

Dazwischen fragt sich, ob potenzielle Besucher*innen ihre epidemiologisch konditionierte Scheu vor Nähe, Schweiß, Aerosolen je wieder ablegen. „Der Optimismus ist uns noch nicht abhandengekommen“, betont Clubkombinator Thore Debor. „Aber solche Problemlagen könnten auch zur Bereinigung der Clublandschaft führen.“

Bye bye Independent, hallo Ballermann?

Anders gesagt: Hamburgs Musikszene könnte sich so wandeln, dass die global respektierte Independent-Kultur im besseren Fall Ballermann-Entertainment à la Hans-Albers-Platz weichen muss, im schlimmeren ersatzlos ausdünnt. Falls Innensenator Grote seine stählernen Prohibitionsschilder, die ungeachtet realer Ansteckungsrisiken unter freiem Himmel 34 Gebiete zwischen Schanzenpark und Hansaplatz strafbewehrt austrocknen, auch nach der Pandemie hängen lässt –  könnte auf Hamburgs Straßen bald Grabesstille herrschen.

All dies, sagt Thore Debor, „sind Blicke in die Glaskugel“. Das Pilotprojekt „Clubculture Reboot“, bei dem 2000 getestete, geimpfte oder genesene Stammgäste von sechs Berliner Locations kürzlich unter Aufsicht feiern durften, könnte auch Hamburgs Pandemiepolitik beeinflussen. Ob die rund 2200 festen und freien Mitarbeiter*innen der 100 Musikläden absehbar indoor arbeiten, steht also in den Sternen. Immerhin: Laut einer internen Befragung haben 56 Prozent der Kombinatsmitglieder ihr Herbstprogramm gebucht. „Ob wir überleben“, meint Knust-Chef Karsten Schölermann, sei zwar fragwürdig. „Aber wir geben alles“. Für unsere Tanzlustbarkeiten.

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