Kreativ durch den Shutdown: Der Kiez saniert und streamt

© Lena Müller

Es war ein musikalisch mitreißender, perfekt beleuchteter, entsprechend stimmungsvoller und doch seltsam verstörender Moment, als Helena Hauff Samstagnachmittag mit Kippe, Bier und Glitzerbluse das abgeliefert hat, was sie in ihrer künstlerischen Heimat halt so liefert: minimalistischen Electro, der nach dem maximaleren Techno-Duo L.F.T. gefolgt von der Highspeed-Kollegin Bobbie wuchtig in die Beine des Publikums ging – wäre das denn dabei gewesen, im Uebel & Gefährlich.

War es aber nicht.

Dank des Corona-Lockdowns traten vier Resident DJs der krisensedierten Hansestadt in leerer Halle auf – allerdings live in alle Welt gestreamt. Auf Arte. Dort nämlich wurden die besten Clubs der Welt ein halbes Wochenende lang unterm schönen Titel United We Stream zur menschenleeren Bühne des musikalischen Beharrungsvermögens. Das spülte womöglich ein wenig Geld vom Kulturkanal in die Kasse des Ü&G. Vor allem aber zeigte es, wie viel Improvisation, Kreativität und Selbstausbeutung nötig ist, um den langsamen Tod der örtlichen Clubszene – wenn schon nicht zu stoppen, dann doch zu verlangsamen oder wenigstens erträglich zu machen.

Streams und Sanierungen

Denn wenn es schon auf absehbare Zeit weder Partys noch Konzerte gibt, wenn Veranstaltungen mit mehr als zwei nicht verwandten Personen verboten sind, weshalb die Tischtennisweltmeister*innen der nächsten 20 Jahre vermutlich aus Deutschland stammen, wenn das Entertainment von über 100 auf unter 0 gefahren wird – dann muss sich Gastronomie & Clubkultur was überlegen, um sich und ihr Personal über die Runden zu bringen. Ein Spaziergang über den Kiez zeigte zuletzt: die meisten tun das mit einer – meist dringend nötigen – Grundsanierung ihrer Location.

Im Indra zum Beispiel, an einem dieser zynisch schönen Frühlingsvormittage der vergangenen Tage: mit vereinter Kraft wurde da altes Mobiliar in den Hof geschafft und entweder saniert oder ersetzt. Auch andernorts machen Tresenkräfte mit beim Großreinemachern oftmals jahrelang innerlich verwahrloster Clubs und Kneipen. Selbst ewig offene Kaschemmen wie „Elbschlosskeller“ oder „Goldener Handschuh“ nutzen die Zwangsschließung für Aufräumarbeiten, die im laufenden 24/7-Betrieb unmöglich waren. In der Großen Freiheit türmt sich vor mancher Disco das Sperrholz. Und manchmal führt das dann nicht nur zu mehr Sauberkeit & Ordnung, sondern echtem Fortschritt.

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„Wir erneuern demnächst die Schalldämmung unsere Decke“, schildert Bernd Volkens die anstehende Sanierung des „Eldorado“ in St. Pauli. Weil sich unter der gemütlichen Kellerbar gewöhnliche Mietwohnungen befinden, „haben am Ende sogar die Nachbarn was von“, sagt einer von drei Betreibern. Und nicht nur die: „Unser Personal wird fürs Helfen natürlich ganz normal bezahlt.“ Im Idealfall heißt bessere Isolierung nach der Wiedereröffnung zudem: lautere Musik gleich bessere Atmosphäre gleich höherer Umsatz.

Weil das Hamburger Unterhaltungshandwerk davon auf absehbare Zeit allerdings nahezu keine erzielen dürfte, versuchen es viele Einrichtungen da mit Gutscheinsystemen, Soli-Drinks oder wie im „Zoo“ mit Crowdfunding, für das es gegenüber der Rindermarkthalle zum handelsüblichen Karma auch noch hauseigenes Merchandising gibt. Von dem legen einige ohnehin nun Durchhalteeditionen in erweiterten Online-Shops Einnahmen auf, was bei Topmarken wie dem Mojo-Club natürlich besser funktioniert als bei Nachbarschaftskneipen – aber über die Einnahmen hinaus auch noch für Corporate Identity sorgt.

Und Gesprächsstoff.

Schließlich ist es ein Grundanliegen aller Kultureinrichtungen, in den Köpfen der Leute zu bleiben. Theater wie Thalia, Staatsoper oder Schmidt streamen daher Vorführungen ins Wohnzimmer. NDR-Moderator Yared Dibaba lädt Hamburgs Kreative regelmäßig zum Kulturona genannten Live-Event ins UWE auf der Reeperbahn. Das Molotow hat Karten einer längst legendären „Soli-Geistershow“ für elf Euro plus Vorverkaufsgebühr verkauft, die man sich wenigstens an den Kühlschrank hängen kann. Fehlt noch was? Klar: Plattenläden. Denn nirgends auf der Welt, so geht die Metropolensage, ist deren Dichte höher als zwischen Karoviertel und Wohlwillstraße. Noch. Denn wie lange sich die Grundversorger einer ausgesprochen vinylfreudigen Kundschaft Einheimischer und Zugereister die Schließung im Kampf mit dem Menschheitsfeind Amazon leisten kann, bleibt bislang völlig offen.

Dennoch ist am Ende jeder Kauf einer mehr im Kampf ums nackte Überleben. Ob er zu gewinnen ist, hängt da nicht nur von der Kreativität aller Betroffenen oder der Dauer des Shutdowns ab, sondern uns. Allen.

Den vorläufigen Ersatz durch Eigenversand hielt Marga Glanz, seit 15 Jahre Inhaberin von Groove City, in Die Zeit zwar kürzlich „für Augenwischerei“. Denn wenn ihren Kunden das Einkommen wegbreche, „bestellen die nicht für hunderte Euro Musik bei mir“. Und falls doch, sei das zwei rührend, „aber es wird Groove City nicht retten“. Dennoch ist am Ende jeder Kauf einer mehr im Kampf ums nackte Überleben. Und es ist einer, der alle Facetten des Entertainments trifft. Ob er zu gewinnen ist, hängt da nicht nur von der Kreativität aller Betroffenen oder der Dauer des Shutdowns ab, sondern uns. Allen. Also: legt euch ein bisschen Geld zurück für bessere Tage und lasst es über Hamburgs Läden, Clubs, Kaschemmen regnen!

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