Mein Leben mit der Depression
Das kann man sich vorstellen wie Steine, die sich nach und nach aufeinander getürmt haben. Solange, bis sie meine Belastungsgrenze erreicht und überschritten haben.
Genau so ist es 2013 bei Lea* passiert. Stress im Studium, Erwartungsdruck von den Eltern, eine zerbrochene Freundschaft und eine emotional belastende Beziehung waren einige der Dinge, die bei der damals 20-Jährigen zu einer Erschöpfungsdepression führten.
„Eines Tages habe ich im Sportkurs eine Art Panik in mir aufsteigen gespürt. Plötzlich hatte ich keine Kraft mehr, habe angefangen zu hyperventilieren und musste weinen, ohne zu wissen, warum. Die Musik aus den Lautsprechern, die ich sonst gerne hörte, und die Stimme der Trainerin, fühlten sich plötzlich zu laut und unangenehm aggressiv an. Alles war zu viel – ich wollte nur noch raus.“ Lea rennt in diesem Moment auf die Toilette und setzt sich dort auf den Boden. Mit zugehaltenen Augen und Ohren wartet sie eine halbe Stunde in der Kabine bis das Weinen aufhört und sie wieder normal atmen kann. Für sie ist das der Tag, an dem sie in die Depression gekippt ist.
Alles war zu viel – ich wollte nur noch raus.
Jede*r hat Phasen im Leben, in denen es einem nicht so gut geht und man sich einfach fertig fühlt. Es ist völlig normal, mal am Montagmorgen nicht aus dem Bett kommen oder einen schlechten Tag haben. Eine Depression unterscheidet sich allerdings von diesen Stimmungsschwankungen, die wir alle haben. Über einen langen Zeitraum leiden Betroffene unter einer gedrückten Stimmung, verspüren eine anhaltende Freudlosigkeit und verlieren ihren Antrieb, fühlen sich ermüdet. Einfachste Alltagssituationen oder kleine Probleme scheinen unüberwindbar. Hinzu kommen bei vielen noch Schuldgefühle, Schlafstörungen, ein vermindertes Selbstwertgefühl oder sogar Suizidgedanken. Trotz dieser Symptomatik kann es lange dauern, bis Betroffene anerkennen, unter einer Depression zu leiden.
Woher weiß ich, dass es eine Depression ist?
Auch Lea hat lange gebraucht zu akzeptieren, dass sie nicht einfach nur „faul, müde oder unfähig“ ist, sondern tatsächlich krank: „Ich kam schwer aus dem Bett, habe mehr geschlafen, schlechter oder manchmal auch gar nicht. Ich war nicht nur müde, sondern wortwörtlich erschöpft. Ich habe viel geweint, mich in Grübelspiralen gewälzt und jeder Schritt vor die Tür brauchte einen unglaublichen Energieaufwand. Nichts hat mir mehr Spaß gemacht, so wie früher. Ich hatte Angst vor meiner Zukunft. Weil das so schwer auszuhalten war, habe ich mir oft gewünscht einfach zu sterben, wofür ich mich sehr geschämt habe.“
Lea macht online mehrere Selbsttests, die ihr alle raten, sich psychologische Hilfe zu suchen. Ihr erster Schritt ist es dann zu einer psychologischen Beratungsstelle der Uni zu gehen. Die Berater*innen dort dürfen zwar keine Diagnosen stellen, können aber über mögliche Krankheitsbilder aufklären und fachliche Anregungen zu Problemen geben.
Ich hatte Angst vor meiner Zukunft. Weil das so schwer auszuhalten war, habe ich mir oft gewünscht einfach zu sterben, wofür ich mich sehr geschämt habe.
Es ist nicht einfach, sich Hilfe zu holen, wenn man vermutet unter einer Depression zu leiden. Grundsätzlich geht der erste Weg meist entweder zum Hausarzt, der einen dann an einen Facharzt weiterleitet. Eine Alternative dazu bieten oft andere Krisendienste und Beratungsstellen, an die man sich wenden kann. Dazu gehören auch Telefondienste, Selbsthilfegruppen, Online-Foren und so weiter.
Ein halbes Jahr geht Lea zu der Beratungsstelle der Uni und stellt dann gemeinsam mit ihrer Beraterin dort einen Antrag auf eine Psychotherapie. Mit ganz viel Glück, wie sie selber sagt, bekommt Lea innerhalb von kurzer Zeit einen Therapieplatz, bei einer Therapeutin, mit der sie sich gut versteht. „Meine Verhaltenstherapeutin arbeitet auch mit tiefenpsycholgisch fundierten Therapiemethoden (TP). Für mich war das die sehr gute Mischung: Verhaltenstherapie arbeitet transparent, alltagsorientiert und strukturiert an der Gegenwart, TP bringt erlernte Gedankenmuster und Verhaltensweisen aus der Kindheit mit ins Bild“, sagt Lea heute. In der Therapie hat sie gelernt Stress vorzubeugen, indem sie ihren Alltag bewusst energiesparend strukturiert.
Während der Therapie sind Rückschläge und ein langsames Vorankommen zu mancher Zeit normal und völlig okay. Auch Lea sagt, dass die Genesung ein langer, ungleichmäßiger Prozess ist, bei dem man nie ganz wissen kann, wie lange es noch dauert.
"Wenn du deine Depression aufzeichnen müsstest, wie sehe sie aus?"
Dieses Bild ihrer Depression hat ihr immer Mut gemacht und gezeigt, dass auf Tiefs auch wieder gute Tage folgen und sie irgendwann definitiv wieder gesund sein kann.
Kurz nach Beginn der Krankheit trennte sich Lea von ihrem damaligen Freund: "Definitiv keine Stütze war meine damalige Beziehung. Im Rückblick weiß ich, dass sie meinen sowieso schon kritischen Selbstwert weiter geschwächt hat und, dass ich die ganze Zeit meine Bedürfnisse untergeordnet habe, was einen gewissen Beitrag zu der Depression geleistet hat." Ihre besten Freunde hingegen haben Lea in der Zeit der Therapie und auch danach immer unterstützt und haben ihr viel Kraft gegeben. Mit nicht ganz so engen Freunden oder mit ihren Eltern war das allerdings schwieriger und Lea hat sich nicht im Details mit ihnen über ihre Krankheit unterhalten, was aber auch okay ist: "Um mit meinen Eltern zu sprechen, habe ich ein extra Gespräch angesetzt, ihnen die Situation erklärt und gefragt, ob sie etwas wissen möchten. Es folgte Stille und Blicke gen Wand."
Vorwerfen tut Lea ihren Eltern den Umgang mit ihrer Depression aber nicht, denn die wichtigen Dinge konnte sie dennoch mit ihnen besprechen. Auch wenn sie emotional keine große Stütze waren, waren sie dennoch für Lea da: "In den Familien meiner Eltern wurde ihnen der Umgang mit sowas nicht gut vorgelebt. Ich kann sehen, dass sie mich auf ihre Weise unterstützt haben. Zum Beispiel haben sie die vier zusätzlichen Semester finanziert, die ich durch die Krankheit länger brauchte, um meinen Bachelor abzuschließen."
Definitiv keine Stütze war meine damalige Beziehung. Im Rückblick weiß ich, dass sie meinen sowieso schon kritischen Selbstwert weiter geschwächt hat.
Wie geht es Lea heute?
Heute geht es Lea gut und sie hat viele Strategien aus der Therapie mitgenommen, sich gut um sich selbst zu kümmern: „Zum Arbeiten setze ich mir immer ein realistisches Tagesziel. Wenn ich Schwierigkeiten habe anzufangen, weil ich doch unterbewusst Angst habe, es nicht zu schaffen, breche ich Ziele oft herunter. Das sieht dann zum Beispiel so aus: Laptop anmachen, Word öffnen, zu Abschnitt fünf scrollen und so weiter. So habe ich für eine Aufgabe mehrere kleine Ziele zum Abhaken, die für mich machbar aussehen.“
Eine große Rolle spielt für Lea auch der Umgang mit sich selbst und das Wertschätzen von kleinen Zielen im Alltag: „Ich habe viel daran gearbeitet liebevoll mit mir selbst umzugehen. Zum Beispiel zufrieden zu sein, mit einem Spaziergang einmal die Einfahrt hoch und runter, statt mir Vorwürfe zu machen, dass ich es nicht geschafft habe, eine längere Strecke zu gehen. Das motiviert, am Ball zu bleiben.“
Auf die Frage, was sie anderen, die vermuten an einer Depression zu leiden, raten würden, sagt Lea: "Eine Therapie, je früher desto besser. Es gibt nicht die eine Lösung für alle und es ist sehr anstrengend und kann sogar frustrierend sein, aber ausprobieren lohnt sich - man kann eine Menge für sein Leben mitnehmen. Google hilft lokale Angebote zu finden und wenn man es nicht selbst schafft sich im Angebot zurechtzufinden oder wo anzurufen: Freunde um Hilfe bei der Organisation fragen!"
Habt ihr Angst, selbst an einer Depression zu leider oder steht vor großen Problemen, aus denen ihr keinen Ausweg seht? Holt euch Hilfe! Eine erste Anlaufstelle kann die Depressionshilfe oder euer Hausarzt sein. Unter folgender Nummer könnt erreicht ihr die Depressionshilfe: 0800 / 33 44 533.
* Name von der Redaktion geändert.