Moin Harriet – Wie ist es mit 25 Jahren einen eigenen Verlag zu führen?
Hamburg ist eine der schönsten Städte auf der Welt und hat einfach das gewisse Extra. Und nein, damit meine ich nicht nur den reichhaltigen Niederschlag. Aber was macht Hamburg eigentlich so besonders? Natürlich die Menschen, die hier leben. Genau die will ich näher kennenlernen. Deshalb treffe ich mich mit unterschiedlichen Hamburgern und Hamburgerinnen und spreche mit ihnen über unsere Hansestadt, ihren Alltag und ihre Wünsche und Ziele im Leben.
Harriet Dohmeyer ist Verlagsgründerin, Autorin, Lehrbeauftragte, Fotografin, Kaffeeliebhaberin und vieles mehr – vor allem aber ist sie eins: Hamburgerin aus tiefstem Herzen. Seit 2013 führt sie ihren Blog Fräulein Anker, ist auf Instagram aktiv und hat im Jahr 2017 mit dem Ankerwechsel Verlag ihren eigenen Verlag gegründet. Bis heute veröffentlichte sie dort unter anderem ihre eigenen drei Reiseführer zu Hamburg, Kopenhagen und Amsterdam. Wir haben sie gefragt, was die Hamburger Indie Publishing Szene so besonders macht und wie es so ist, mit 25 Jahren einen eigenen Verlag zu führen.
Was ist für dich das Besondere an Hamburg?
Für mich hat Hamburg die perfekte Größe. Man kann immer wieder Neues entdecken und kommt trotzdem noch easy mit dem Rad von einem Stadtteil zum nächsten. Hamburg ist außerdem eine Stadt voller Kontraste. Früher lebten hier schon die reichen Kaufmänner neben den armen Hafenarbeitern. Und in der Speicherstadt treffen heute die modern-geschwungenen Fenster der Elbphilharmonie auf alte Backsteinspeicher, belebte Kultur auf pulsierende Wirtschaft und die Basketballspieler*innen im Lohsepark auf, hoffentlich, den Korb... Hamburg als historische Hafenstadt ist für mich das Wasser der Elbe, viele Schiffe und kreischende Möwen. Gleichzeitig strahlt die Stadt grün und pulsiert in vielerlei Hinsicht.
In welcher Ecke in Hamburg trifft man dich am häufigsten?
Mein Verlag sitzt im Karoviertel auf St. Pauli. Ich mag die Ecke, weil in der Nähe viele spannende Projekte aus dem Gastro- und Kulturbereich sitzen. Ich bin aber genauso gerne fernab der üblichen Viertel unterwegs. Gerade im Rahmen meiner Fotojobs kann es schon passieren, dass man mich eher an einem Containerhafen in Wilhelmsburg oder auf einem Bahrenfelder Hinterhof antrifft, als im Café um die Ecke.
Für mich hat Hamburg die perfekte Größe. Man kann immer wieder Neues entdecken und kommt trotzdem noch easy mit dem Rad von einem Stadtteil zum nächsten.
Was ist dein Lieblingsort in Hamburg?
Meine WG, vor allem ihr Balkon und die Küche. Ich wohne mit einer Drehbuchautorin und einem Kameramann zusammen, zwei kreative Menschen, die die Höhen und Tiefen der Selbstständigkeit sehr gut nachvollziehen können. Im Alltag mache ich gerne reichlich Dinge parallel – der Balkon ist mein Ort zum Durchatmen.
Wenn du eine Sache an Hamburg ändern könntest, welche wäre das?
Außer bessere Fahrradwege? (lacht) Wenn ich könnte, würde ich sofort den Mietenwahnsinn stoppen. In Hamburg gibt es viele Leute mit starken Ideen, aber die (Laden-)Mieten sind so hoch, dass es sich kaum jemand leisten kann, einfach ein Projekt auszuprobieren. Man braucht direkt ein perfektes Businesskonzept, Förderer oder Investoren und hat ab Sekunde eins großen Druck. Dadurch geht häufig die Leichtigkeit oder der Mut für Neues verloren. Dann wird eben doch eher etwas gemacht, das an anderer Stelle schon funktioniert hat. Es gibt wortwörtlich zu wenig Raum für gute Ideen.
Welchen Hamburger oder welche Hamburgerin bewunderst du?
Ich habe nicht das eine Vorbild. Cool finde ich Leute, die es geschafft haben, mit wenig Budget richtig gute Sachen zu reißen, ihre Visionen durchzuziehen und die Stadtgesellschaft kulturell oder sozial bereichern. Das können Gründer*innen aus der Gastroszene sein, Betreiber*innen kleiner Läden, vor allem aber auch Sozialunternehmer*innen, die neben Getränken auch noch tolle Events für einen guten Zweck auf die Beine stellen. Und natürlich auch Menschen, die so unfassbar wichtige Berufe wie Kindergärtner*innen oder Pflegepersonal jeden Tag meistern. Ein Fotoauftrag, der mir besonders viel Spaß gemacht hat, war letztes Jahr am UKE als ich dort verschiedenen Pflegekräften über die Schulter schauen durfte. Hamburger und Hamburgerinnen, die sich jeden Tag für andere engagieren, bewundere ich sehr.
Du bist Autorin, Gründerin, Fotografin, Lehrbeauftragte und vieles mehr. Welcher Teil deines Berufs macht dir am meisten Spaß?
In der Indie Publishing Szene macht man sich nicht selbstständig, wenn man reich werden will, dann macht man andere Dinge. Aber ich liebe trotzdem alles an der Verlagsarbeit – vor allem, wenn ich durch die Bücher Menschen kennenlerne, die mich tiefer in ihr Leben blicken lassen. Das passiert häufig wenn ich meine Kamera dabei habe. Sich miteinander auszutauschen, einander zu begegnen und das Ganze dann hinterher mit der talentierten Grafik Designerin Violetta Sanitz in Buchform zu erzählen, dafür brenne ich. Schöne Formen des Austausches habe ich aber auch immer wieder bei anderen Projekten und in der Lehre. Wenn Studierende sich nach einer Vorlesung zum Beispiel nochmal melden und berichten, wie sie durch meinen Input zur visuellen Kommunikation neue Möglichkeiten entdeckt haben sich digital für Ihre Themen einzusetzen.
Die Indie Publishing Szene
Speaking of Indie Publishing. Was macht die Szene für dich vor allem in Hamburg besonders?
Man kennt ja vor allem die großen Publisher in Hamburg (Zeit, Spiegel oder Gruner + Jahr), aber gerade wenn Arbeitskräfte und finanzielle Mittel begrenzt sind, passiert hier viel spannendes. Seit letztem Jahr gibt es beispielsweise den Raum für Illustration auf St. Pauli. Mit verschiedenen Ausstellungen widmet er sich häufig Zines von Kunstschaffenden, die in kleinen Auflagen und als Self-Publishing-Projekte publizieren. Im Buchbereich sitzen in Hamburg einige unabhängige Verlage, wie zum Beispiel der Mairisch Verlag oder Junius. Mein eigenes Verlagsbüro teile ich mir mit Thorsten vom Onlineshop Coffee Table Mags. Er vereint Nischenpublikationen aus aller Welt, die man sonst zum Beispiel nur in Norwegen bekommt. Viele von uns, die die Leidenschaft für besondere Printprodukte teilen, trifft man jährlich im September beim Festival für Independent Publishing im Hamburger Oberhafen. Kurz gefasst: Hier geht einiges und es gibt immer wieder Verrückte, die sich trotz (oder gerade durch die Chancen des digitalen Wandels) noch an Print trauen.
Du hast noch während deines Studiums den Ankerwechsel Verlag gegründet. Wie bist du dazu gekommen?
Man sollte vielleicht bei dem Blog starten, den ich 2013 gegründet habe. In diesem digitalen Zuhause habe ich regelmäßig Entdeckungen fotografisch festgehalten. Die dazugehörigen Social Media Kanäle sind über die Jahre gewachsen und über das Projekt konnte ich mein Interesse an der Fotografie aber auch am Publizieren fördern – bis schließlich der Traum vom Sprung in den Printbereich in mir groß wurde. Mit etwas Reichweite im Rücken ist es mir dann leichter gefallen, so etwas waghalsiges zu wagen, wie die Gründung eines Verlags, in den man im Vorlauf viel Geld investiert. Dass ich nebenher Journalismus studiert habe, hat sich vor allem auf meine inhaltlichen Ansprüche ausgewirkt. Ich wollte unabhängig handeln können, alle gestalterischen Freiheiten haben und redaktionell journalistisch arbeiten. Bis heute habe ich alle Orte, die ich portraitiert habe selbst besucht und keiner von ihnen hat je etwas dafür bezahlt.
Die ersten drei Bücher, die im Verlag veröffentlicht wurden sind deine Reiseführer für Hamburg, Kopenhagen und Amsterdam. Warum diese drei Städte? Was zeichnet sie für dich aus?
Für mich gab es vorher immer eine Verbindung zu der Stadt durch Menschen, die ich dort kannte und die es mir ermöglicht haben, dort länger Zeit zu verbringen. Bereits bevor ich zum Beispiel Hallo Amsterdam geschrieben habe, war ich bestimmt 10 Mal dort. Ich wollte die Stadt verstehen. Und so ist es mir auch mit den anderen Städten ergangen. Man könnte natürlich Gemeinsamkeiten finden: alle drei Städte haben eine ähnliche Größe und eine junge Szene, in der viel passiert. Alles sind Fahrradfahr-Städte, sehr grün mit viel Wasser und einem Faible für Genuss und Kulinarik. Aber am Ende waren es wirklich vor allem die Menschen dort, die mich zu den Büchern motiviert haben. Und wer weiß, vielleicht fällt Stadt Nummer vier ja auch aus dem Nordraster...
Was für Bücher möchtest du noch im Ankerwechsel Verlag verlegen?
Ehrlich gesagt habe ich mich nie so richtig getraut, mich das zu fragen. Es gibt so viele Dinge, die ich spannend fände und gerne mit anderen Kreativen, Fotograf*innen, Illustrator*innen usw. umsetzen würde. So ein Buch zu machen ist aber sowohl zeitlich, als auch finanziell jedes Mal eine Herausforderung. Ich strebe außerdem nicht das riesen Wachstum an, sondern bin gerne in meiner Größe, so dass ich beispielsweise noch Bücher mit dem Fahrrad selbst ausliefern kann und in der Mittagspause mal eben einen Karton voll Postkarten zum Plattenladen nebenan bringe, weil der sie verkauft. Es ist natürlich toll, dass es unser englisches Amsterdam Buch schon in den Museumsshop von Rijksmuseum und den Stedelijk geschafft hat, aber am meisten freut es mich heute immer noch, wenn jemand persönlich bei mir im Verlag vorbeischaut, um ein Buch oder einen unserer limitieren Fotodrucke abzuholen. Neuerscheinungen am laufenden Band werden wir also nicht produzieren, sondern lieber gesund wachsen, schwarze Zahlen schreiben und im eigenen Tempo weitere Bücher herausgeben. Tatsächlich arbeiten wir auch gerade wieder an einem neuen Buchprojekt. Und ich sehe für die Zukunft noch andere spannende Themen neben den Städten.
Wie sieht deine Vision vom Ankerwechsel Verlag in den nächsten Jahren aus?
Mit meinem Verlag möchte ich Orte zeigen, die andere so vielleicht noch nicht auf dem Zettel hatten, selbst in der eigenen Stadt. Deshalb können auch Hamburger*innen “Hallo Hamburg” kaufen und noch etwas neues entdecken. Ankerwechsel soll dabei helfen, Orte nicht einfach schnell zu konsumieren, sondern wirkliche Begegnungen zu haben. Diesen Gedanken haben wir kürzlich noch etwas ausgeweitet und zwar auf die Musikbranche. Ich würde niemals ein Buch über die Beatles verlegen, die brauchen nicht noch mehr Sichtbarkeit. Was aber ist mit aufkommenden Künstler*innen?
Bei unserem neuen digitalen Projekt “Plattenbau Magazin” stellen wir Musikschaffende vor, die zwar großes Potenzial haben, aber häufig unterrepräsentiert sind. Dabei thematisieren wir unter anderem die Erfahrungen junger Künstlerinnen in einer männerdominierten Musikwelt.
Zusammengefasst und vielleicht etwas ambitioniert:
Meine Vision ist ein Verlag für bedeutende Begegnungen. Unsere Veröffentlichungen präsentieren fortschrittlich Denkende aus verschiedenen Branchen, die schaffen, um zu schaffen. Wir wollen ihnen eine Plattform bieten.