Moin, Johannes Oerding – Ist Hamburg eine große Inspirationsquelle für dich?

© Talika Öztürk

Hamburg ist eine der schönsten Städte auf der Welt und hat einfach das gewisse Extra. Und nein, damit meine ich nicht nur den reichhaltigen Niederschlag. Aber was macht Hamburg eigentlich so besonders? Natürlich die Menschen, die hier leben. Genau die will ich näher kennenlernen. Deshalb treffe ich mich mit unterschiedlichen Hamburgern und Hamburgerinnen und spreche mit ihnen über unsere Hansestadt, ihren Alltag, ihre Wünsche und Ziele im Leben.

Joahnnes Oerding zählt zu den erfolgreichsten deutschen Singer-Songwritern. Der Rheinländern kommt mit 17 Jahren das erste Mal nach Hamburg und verliebt sich sofort. In die Stadt, die Menschen und die Musikszene. Nun lebt er seit über 20 Jahren in Hamburg und ist hier Zuhause. Am 8. November ist sein neues Album Konturen erschienen – Hamburg war beim Schreiben der Songs wieder einmal eine große Inspirationsquelle für ihn.

Was ist für dich das Besondere an Hamburg?

Es gibt so viele schöne Sachen an dieser Stadt. Ich bin ja ein Dorfjunge und mir war immer klar, wenn ich irgendwann mal mein Dorf verlasse, dann darf das nicht so ein harter Cut sein. Da ist Hamburg ein guter Übergang.

Hamburg ist für mich eine Großstadt. Aber du hast zu jeder Zeit die Möglichkeit, dich wie in einem Dorf zu fühlen.

In meinem Viertel ist es wie in meinem Heimatdorf. Aber wenn ich anonym sein und auch ein bisschen Urbanität haben will, kriege ich die hier auch in dieser Stadt.

Das Allerwichtigste ist aber für mich, dass Hamburg die pluralistischste, weltoffenste und bunteste Stadt ist. Außerdem ist es hier sehr liberal, auch politisch. Es hat einen Grund, warum die AfD hier nur mit fünf Prozent gewählt wird und warum die Grünen so groß sind. Weil wir hier an jeder Ecke dafür kämpfen. In Hamburg gehen die Leute auf die Straße, mehr als anderswo. Hier gibt es so viele Menschen, die dafür kämpfen und nicht aufgeben. Deshalb liebe ich diese Stadt auch so.

Selbst wenn man durch Bezirke fährt, wo man nicht so oft ist, hat Hamburg einen Vibe, bei dem erstmal jeder willkommen ist. Da wird nicht auf Religion, Hautfarbe, Herkunft oder sexuelle Orientierung geachtet.

In welcher Ecke in Hamburg fühlst du dich am wohlsten?

Ich lebe auf der Grenze zwischen der Schanze und St.Pauli, das ist schon mein Viertel. Da ist auch der musikalische, alternative und kreative Raum der Stadt. Viele Musiker und Freunde von mir sind dort, es wird sich dann auch dementsprechend viel ausgetauscht. Diese Stadtteile haben eine extrem hohe Fluktuation an Besuchern, Touristen und Eindrücken. Das ist für mich auch wichtig für die Inspiration. Hier kann ich die Leute beobachten und habe einen Austausch, erlebe immer wieder etwas Neues.

Ich entdecke aber auch immer wieder andere, geile Stadtviertel. Aus Spaß fahre ich jetzt manchmal nach Wandsbek-Gartenstadt oder Barmbek-Süd, weil es da zwei geile Dönerläden gibt. Da entdeckt man dann auch schöne Sachen, die völlig anders sind, als in meinem Viertel. Eine klitzekleine Eckkneipe, in die dann auch wirklich noch Leute hingehen, weil es in dem Viertel dann auch wirklich nur diese eine Kneipe gibt. Das finde ich total beruhigend, dass es das noch so gibt. Auch dieses Zusammengehörigkeitsgefühl. 

Was ist dein Lieblingsort in Hamburg?

Ich bin ein großer Fan der Außenalster. Ich hänge da gern rum, gehe gern dort spazieren oder joggen, um einfach den Kopf freizubekommen. Es gibt dort die sehr schöne, ruhige Straße Bellevue. Manchmal hole ich mir etwas zu essen, zum Beispiel einen Döner in Barmbek, setzte mich dann auf eine Parkbank dort und gucke übers Wasser in die Innenstadt. Wenn es gerade dunkel wird, ist das ein wahnsinnig schöner Blick, weil du wirklich die volle Breitseite des Wassers hast, bis hin zum Jungfernstieg.

Das war auch mein Blick, als ich mit 17 Jahren das erste Mal nach Hamburg gekommen bin – über die Kennedybrücke, im Dunkeln. Da hab ich mich schon ein bisschen schockverliebt in die Stadt, muss man sagen.

Wenn du eine Sache an Hamburg ändern könntest, welche wäre das?

Das Schnöselige und sehr Aufgeräumte. Das empfinde ich zwar auch als etwas Schönes, aber manchmal wünsche ich mir dann doch auch mal so einen Farbklecks, wie man ihn in Berlin an jeder Straßenecke hat. Dass man dann doch mal ausbricht. Oder, dass es hier mal eine Location gibt, wo du mal drei Tage unter der Woche durchfeiern kannst. Oder Orte, mit denen man nicht rechnet. Der Untergrund in Hamburg fehlt ein bisschen. In Hamburg ist alles klar, jeder kennt die zwei, drei Läden, wo es mal bisschen verrückter wird und das wars dann. Es kommt aber sehr selten vor, dass man mal hört „oh, am Deich dahinten in Wilhelmsburg, da ist heute eine illegale Party“. Nach sowas muss man ewig suchen. Und wenn es was gibt, dann feiern wir Hamburger uns extrem ab, obwohl da ein Berliner sagen würde "das machen wir hier jeden Tag."

Die Stadt Hamburg spielt auch in deiner Musik immer mal wieder eine Rolle. Würdest du sagen, dass sie eine große Inspirationsquelle für dich ist?

Total. Es gibt hier so eine große Bewegung in der Stadt: Es kommen immer mehr Leute hierher und alle sind auf einem Fleck. Die meisten halten sich dann um die Schanze, St. Pauli und den Hafen auf. Wenn man dort einfach nur spazieren geht, bekommt man direkt mit, wer wieder so da ist.

Außerdem gibt es sehr viel Nostalgie in der Stadt. Es gibt so viele Reportagen und Berichte über den Kiez, die Bühnen und die Entertainmentbranche. Die größten deutschen Künstler kommen aus Hamburg: Udo Lindenberg oder Otto und Westernhagen, die zusammen in einer WG gewohnt haben. Das sind für mich geile Geschichten. Und das Tolle ist, das hat sich nicht verändert: Ich lebe in der Schanze und ich weiß von vielen Künstlern, die da auch leben und wir laufen uns tagtäglich über den Weg. Wir gehen gemeinsam essen, hängen rum und haben Spaß. Das gibt es noch! Ist vielleicht nur nicht mehr ganz so rockn-rollig wie früher, weil jeder ein Handy hat.

Empfohlener redaktioneller inhalt

An dieser Stelle findest du einen externen Inhalt, mit dem wir den Artikel bereichern.
Du kannst ihn dir mit einem Klick anzeigen lassen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden.
Beim Laden des Inhalts akzeptierst du die Datenschutzerklärung.

Im November kommt das neue Album raus und ich habe gelesen, dass es „überraschen“ wird. Was kann man erwarten und inwiefern wird man überrascht sein?

Ich glaube es wird viele überraschen, weil ich inhaltlich nicht nur diese klassischen Singer-Songwirter-Themen wie Liebe, Liebe verloren, „ich muss mal raus, ich bin unterwegs“ oder „du schaffst das schon, glaub an dich“ behandle. Das mache ich auch gern, aber dafür muss man auch immer wieder neue Bilder finden. Diesmal habe ich auch ein bisschen von mir weg gedacht beim Schreiben. Es sind viele Songs dabei, die politischer sind und sich mit der Allgemeinsituation beschäftigen. Ich stelle kritische Fragen, die die Gesellschaft betreffen oder die Digitalisierung. Also Themen, die eigentlich nichts in der Popmusik verloren haben und die auch kein Radiosender spielt.

Das ist aber das Schöne an so einem Album. Man hat so viel Platz darauf, das man auch mal alle Facetten abklappern kann, die man so abklappern möchte. Ich habe auch ein bisschen etwas von mir preisgegeben. "Konturen“ heißt ja das Album und ich möchte den Leuten damit zeigen, dass die Silhouette und die Konturen von mir als Künstler so langsam klar werden. Das ist meine sechste Platte und ich habe das Glück, dass die Leute mittlerweile nicht nur die vier Songs aus dem Radio von mir kennen, sondern auch wissen, wofür ich stehe, was ich so mache oder in Interviews erzähle. Das ist glaube ich ein entscheidender Step für einen Künstler. Von "ich mag seine Lieder" hin zu „ich mag diese Person und sie spricht mir irgendwie aus der Seele“, auch wenn es nicht um Musik geht.

Empfohlener redaktioneller inhalt

An dieser Stelle findest du einen externen Inhalt, mit dem wir den Artikel bereichern.
Du kannst ihn dir mit einem Klick anzeigen lassen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden.
Beim Laden des Inhalts akzeptierst du die Datenschutzerklärung.

Ist es dir schwer gefallen mit deiner Musik politischer zu werden?

Nein, das habe ich vorher schon in Interviews immer gemacht, also klar Stellung bezogen. Jetzt mache ich das nochmal auf musikalischer Ebene. Was aber schwierig sein kann, ist die Formulierung. Ich will nicht oberlehrerhaft oder mit dem erhobenen Zeigefinger kommen. Die Challenge war also, mich immer selber einzubeziehen, sodass immer klar ist: Ich habe auch keine Lösung. Aber es ist auch nicht meine Aufgabe eine Lösung zu formulieren. Ich bin Musiker, ich stelle Fragen, piekse Leute an, rege mit meiner Musik an und bin auf jeden Fall dabei, wenn es darum geht Lösungen zu finden. Alleine kann ich das aber auch nicht. Das auf Platte zu bringen war aber nicht schwer, sondern eher befreiend. Zu wissen, ich habe das Standing mich jetzt hinzustellen und das zu machen und mir hört auch jemand zu.

Und das Persönliche? Also wieder mehr von dir persönlich preiszugeben?

Das ist immer schwieriger. Ich habe das Gefühl, das wird auch mehr zerlegt. Zum Beispiel habe ich auf der Platte auch das erste Mal ein Duett mit meiner Freundin –  nach zehn Jahren. Vorher haben wir immer gesagt: "So einen Scheiß machen wir nicht". Aber jetzt ist das einfach so entstanden, eigentlich war der Song so nicht geplant. Da ist mir schon klar, dass ich mich da der Sache auch stellen muss und darüber sprechen muss. 

Je mehr du dich ausziehst, desto angreifbarer bist du und desto mehr schauen die Leute an dir runter und sagen: Okay, jetzt bewerten wir mal.

Aber so war das schon immer. Nur so verstehen die Leute aber auch, dass du es ehrlich meinst und auch wirklich bereit bist, etwas zu opfern. Dann merken sie, dass es einem echt ernst ist und, dass man bereit ist, mit Musik über Grenzen zu gehen. Koste es, was es wolle. Das ist für mich das Entscheidende. Wenn man immer nur die Leute an der Oberfläche kratzen lässt, funktioniert das vielleicht in manchen Genres. Aber irgendwann ist man nicht nur noch der Sänger, sondern jemand, der für etwas steht.

Wo spielst du am liebsten in Hamburg?

Gute Frage! Ich habe glaube ich schon in jedem Club in Hamburg gespielt. Angefangen mit einem Restaurant in Ottensen über die Prinzenbar, Stage Club, Indra, Grünspan, Große Freiheit, Knust, Docks, Sporthalle, Barclaycard Arena, Trabrennbahn. Das ist auch das Schöne an dieser Stadt. Hier zieht sich meine musikalische Reise so stringent durch. Jeder Laden hat hier etwas für sich. Wenn es um die schönsten Liveclubs geht, ist die Große Freiheit aber schon so ein Ort. Leider ein bisschen zu heiß. Da bräuchte man ein bisschen mehr Luftzirkulation. Der Stadtpark ist für mich einer der schönsten Open Airs – eigentlich die schönste Open-Air-Location.

Zurück zur Startseite