Clubs von gestern: Tempelhof/Camelot 1989-1999

© Headcrash

Wenn visuelle Medien ein imposantes Bild von etwas geprägt haben, ist es nahezu unmöglich, je wieder von ihm zu abstrahieren. Ein Schauspieler zum Beispiel wie der Grimassen-König Jim Carrey kann davon ebenso ein Lied singen wie das bemitleidenswerte World Trade Center oder Fußballer der Marke Andy Möller, die das Image der Heulsusen trotz aller Härte nie mehr los werden. Doch es gibt auch positive Exempel nachhaltiger Färbung.

Nehmen wir den Tempelhof: Wessen Attitüde in dieser Musikstadt auch nur ansatzweise cineastisch beeinflusst ist, hat bei Nennung dieses Clubs unvermeidbar eine der hinreißendsten Filmszenen hanseatischer Herkunft im Kopf: Mit glasigem Blick unterm Cowboyhut tanzt die halbwüchsige, aber hackedichte Julia Hummer in Absolute Giganten durch die neblige Kleindisco am Hamburger Berg und hat ihr damit vor gut 20 Jahren ein unverwüstliches Denkmal gesetzt. Ein Monument der Schönheit des Scheiterns im lokalen Nachleben.

Wie unverwüstlich es ist, bewies zuletzt ein Abend im März, als Sebastian Schippers‘ himmlische Liebeserklärung an Hamburgs Subkultur überall in der Stadt nochmals Menschen vor die Leinwand lockte. Und damit ist allemal unverwüstlicher als deren Drehort. Die Kinopremiere war 1999 nämlich noch keine zwölf Monate vergangen, da hat der Tempelhof nach gut einem Jahrzehnt Institutionsstatus der örtlichen Clubkultur seine Tür geschlossen. Missmanagement, so heißt es, jedenfalls kein Angriff der Spekulanten. 

Für St. Pauli war es trotzdem einer der schwersten Erdstöße jenes Kommerzialisierungsbebens, das das Viertel ringsum seinerzeit bereits großflächig mit Glanz und Glamour in Schutt und Asche legte.

Dabei hatte selbst ein Volltreffer im Bombenhagel des Zweiten Weltkrieges das traditionsreiche Tanzlokal mit dem ausladenden Ballsaal nicht in die Knie gezwungen. Und als nach wechselnder Nutzung Ende der Achtzigerjahre im Erdgeschoss der Tempelhof eröffnete und eine schrecklich enge Trappe höher das kaum minder legendäre Camelot, schien es, als sei dieser unscheinbare Altbau gleich neben dem berühmten Hong Kong Hotel auf ewig einer alternativeren Version der örtlichen Partykultur geweiht. Angefangen eher als Bar mit winziger Tanzfläche, wurde der Tempelhof schließlich rasch zum besten Dancefloor der wild wuchernden Szene elektronischer Musik.

Nirgends sonst in der damaligen Hauptstadt des Sprechgesangs wurde ähnlich variantenreich gerappt als hier.

Während die Boxentürme der Großraumdiscos damals nämlich eher stumpfen Techno emittierten, gab es im Wohnzimmerambiente plüschiger Mustertapeten sehr elaborierten House, dem bereits seltsam disharmonische Breakbeats untergemengt wurden, als andernorts noch stupides Marschtempo dominierte. Und dann HipHop, immer wieder HipHop, verabreicht von DJs, deren Namen man später, viel später vor nostalgischer Verklärung nur seufzend aussprechen würde. Matthias Arfmann zum Beispiel oder Ale Dumbsky. Gut, grad am Wochenende gab es auch reichlich Gassenhauer; nicht unbedingt Hitparadengedudel, aber schon Zeugs zum Mitgrölen. Nur: es war halt alles ein wenig, nun ja, erwachsener. Was gewiss auch mit dem Camelot drüber zu tun hatte.

Nominell eine Lesbendisco, war das Publikum dort zwar ortsüblich hedonistisch, aber szenetypisch auch nachhaltig durchpolitisiert und somit irgendwie angenehm reif – was heterosexuelle Zecken um die 20 wie mich fast ebenso magisch angezogen hat wie die schwulen Kellerclubs in der Roten Flora. Vielleicht reizte der Selbsterfahrungstrip struktureller Benachteiligung, wenn die beispiellos resoluten Türsteherinnen mit jovialer Kaltschnäuzigkeit eine Frau nach der anderen an uns Chromosmenmutanten vorbei in den angeblich total überfüllten (und angesichts seiner Größe viel schwerer zu füllenden) Club ließen, vielleicht war es auch bloß der treibende Digitalsound, den es beim Frühclubbing bis zum sonntäglichen „Tatort“ gab. Tatsache ist: Oben wie unten wollte man wie frau mit passendem Emanzipationsansatz irgendwie rein und dabei Teil keiner Jugendbewegung sein, sondern beobachten, wie viel Spaß die auch dann noch haben kann, wenn sie auf die 30 zugeht.

Kurz bevor ich selbst so weit war, im Jahr 1999, machte der Tempelhof allerdings zu – ob vor oder nach dem Camelot lässt sich ebenso schwer ermitteln wie eine Antwort auf die Frage, ob der wachsende Ansturm aftershaveschwülstiger Kieztouristen damit zu tun hat oder womöglich doch die Dealerproblematik. So oder so folgte, was vielerorts eben so folgt, wenn der Markt von Subkultur Besitz ergreift: Als „Locations“ kamen und gingen die Anschlussclubs gefühlt im Wochenrhythmus. Sie hießen Foo oder Crazy oder Cat Club oder B.A.R. oder G.U.M. und hatten meist ebenso wenig mit mir oder meinesgleichen zu tun wie wir mit ihnen, was angesichts der kurzen Haltbarkeit ein flächendeckendes Verhältnis gewesen sein könnte.

Mittlerweile befindet sich im Gebäude ein Konzertsaal namens Headcrash, der es dank der großen Tanzfläche im ersten Stock mittlerweile zu anerkannter Relevanz im Bereich alternativen Rocks für mehrere Hundert Zuschauer gebracht hat und für ein angenehm ballermannfernes Booking steht. Nur Maßstäbe, die setzt dort schon lange niemand mehr. Ist vielleicht auch einfach vorbei, die Zeit der Innovationen.

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