Clubs von Gestern: DSCHUNGEL (1987 – 2013)

© Anna Nguyen

Großstädte als „Dschungel“ zu bezeichnen, weil es dort ähnlich enthemmt und anarchistisch zugehe wie unter Tieren und ähnlich Wilden im Urwald, ist bekanntlich immer mal wieder Gegenstand hitziger Debatten darüber, ob die Verwendung naturalistischer Begriffe auf zivilisatorische Begebenheiten nicht am Ende doch eurozentristisch sei, aus Sicht vor allem linksalternativer Dschungelbewohner also bevormundend, elitär, rassistisch und mindestens genauso kompliziert wie dieser Schachtelsatz, es sei denn, nun ja: Punkrock!

Durch das Tropendickicht des Schanzenviertel in den Dschungel

Den gab es nämlich meist volles Brett aufs Mett, sobald man das letzte grundsätzlich konsensfähige Tropendickicht des Schanzenviertels jenseits der Roten Flora, als es noch nicht ganz so zu hyggeligen Lifestyle-Beeten gestutzt war wie heute, betreten hatte. Von außen nur mit etwas Mühe am grob geschweißten Stahlschild über der windschiefen Jalousie erkennbar, wirkten auch die meisten Besucher damals noch irgendwie unangepasster als im Flagshipstore einer zugkräftigen Modemarke, die seit mittlerweile vier, fünf Jahren im denkmalschutzwidrigen Entkernungsneubau an gleicher Stelle teuer verkauft wird. Wer sich da kurz mal in die jüngere Vergangenheit träumt, könnte also glatt wehmütig werden.

wirkten auch die meisten Besucher damals noch irgendwie unangepasster als im Flagshipstore einer zugkräftigen Modemarke, die seit mittlerweile vier, fünf Jahren im denkmalschutzwidrigen Entkernungsneubau an gleicher Stelle teuer verkauft wird.

Erstmals vermutlich 1987 als Dschungel eröffnet, war der, besser: das Dschungel bis kurz vor seinem – wie üblich mietwucherbedingten – Umzug in die benachbarte Sternstraße schließlich einer der letzten Rückzugsorte für einigermaßen unkommerzielles Entertainment weit und breit. Schon wer ihn betrat, spürte daher rasch den benebelten Geist einer wachen Atmosphäre im Dunstkreis des politisierten Milieus ringsum, das sein Viertel damals noch mehr prägte als Schuhgeschäfte. So dunkel und schmucklos es im Inneren der kleinen Nachbarschaftskneipe kubischen Zuschnitts auch sein mochte – hier schien die alte Schanze noch ganz bei sich und dennoch offen für alle.

Ohne drei Bier im Bauch geht hier keiner raus!

Am besten war das immer dann zu spüren, falls Auswärtsspiele des FC St. Pauli (bei Heimspielen befand sich das Stammpublikum der Legende nach geschlossen in der Gegengerade) gezeigt wurden. Noch intensiver ließ es sich jedoch werktags erleben, wenn der ewige Wirt Stefan Tomfort noch weitestgehend allein war mit seiner eckigen Theke im Gestank vieler Millionen Selbstgedrehter. Ohne von irgendwem am Tresen einen Spruch zu ernten, betrat praktisch niemand das urige Rechteck mit den Bierbänken vorm Fenster. Und ohne drei Bier im Bauch ging auch keiner mehr raus aus diesem undurchdringlichen Gewirr rauer Stimmen und Gebräuche.

Wo vor Stefan Tomforts Übernahme die Hells Angels angeblich einen Außenposten hatten, schräg gegenüber vom 1983 geräumten Szenetreff namens „Angel’s Place“, war der Umgangston zwar so deftig wie die Musik, aber verblüffend herzlich. Das passte damals halt noch zur Aura des umliegenden Quartiers, in dem zwar schon lang keine Höllenrocker mehr den Ton angaben, aber als vage Erinnerung präsent blieben. Hier war Hamburgs Mitte noch Arbeiterzone, als sie andernorts längst akademisch wurde. Und im deutlichen Gegensatz zum Schulterblatt jenseits der geduckten Gründerzeithäuser hinterm eingeschossigen Exdschungel gilt das im Grunde noch immer ein bisschen für die ganze Straßenseite.

Eintracht mit der Nachbarschaft sieht anders aus

Während das mal luxussanierte, mal humorlos ersetzte Altbauensemble gegenüber bis runter zu Tim Mälzers schicker Werber-Kantine Bullerei von Touriläden der gehobenen Gehaltsklasse dominiert wird, hat sich die robustere Westhälfte mit Getränkehandel und Fahrradladen, Konzertkasse oder Blumenladen, Wohnprojekt und Volkshochschule fast noch eine Art spätdörflicher Alltagsstruktur bewahrt. Selbst explodierende Mieten überm geschäftigen Parterre hat hier noch nicht zur gleichen Verdrängung geführt wie jenseits der Fahrbahn Richtung Schlachthof. In diese sonderbar hybride Stadtkulturzone würde der freisinnig renitente, lebensbejahend gelb gestrichene Oldschool-Schuppen mit dem polarisierenden Namen also mindestens ebenso gut hineinpassen wie das unverwüstliche Kommunalkino 3001 wenige Meter nördlich.

Was für ein Jammer, dass der Zeitgeist nach dem Shoppen lieber Cortado schlürft, als sich ins dicht gedrängte Chaos verrauchter Lokale wie dieses zu stürzen. Daran kann auch der lichtdurchflutete, aber weit weniger eigensinnige Ersatz am Schlachthof nichts ändern. Seit den G20-Riots vor zwei Jahren zieht Stefan Tomforts Nachfolger am alten Standort übrigens Nacht für Nacht schwere Rollläden runter. Aus Angst vor Übergriffen. Eintracht mit der Nachbarschaft sieht anders aus.

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