Ist das das Ende des Bunkers?
Wasserfälle haben gemeinhin was Beruhigendes, fast Kontemplatives. Ergießen sie sich auf nackten Stein, ist das nicht nur in den Ohren weltentrückter Naturfreunde ein wahrer Wohlklang. Hamburgs einzig nennenswerter Wasserfall hingegen erweist sich gerade als genaues Gegenteil von Musik, zumindest der wohlklingenden. Tag und Nacht, Sekunde für Sekunde fallen seit Anfang des Monats Unmengen von Wasser aus gut 30 Metern Höhe vom Dach des Flakbunkers am Heiligengeistfeld auf den Asphalt. Wenigstens ein Teil davon. Der Rest fließt ins Gebäude darunter und bereitet einem Sound ganz anderer Art damit bald womöglich ein Ende.
Denn seit nach jahrelangem Streit Anfang Mai die heftig umkämpfte Aufstockung des kolossalen Kriegsdenkmals begonnen hat, wurden viele Befürchtungen der Mieter Gewissheit: Nichts bleibt einfach so wie gehabt, alles scheint sich zu ändern. Anhaltender Baulärm erschwert die Arbeit der Betriebe und Studios, Initiativen und Clubs bis runter zum Sockel. Raumgreifende Absperrgitter ums halbe Gebäude herum behindern Lieferverkehr, Parkplatzsuche, Zufahrten. Am schlimmsten allerdings sind die Folgen der Maßnahmen für alle, deren Arbeit irgendwie organisch einer störungsfreien Umgebung bedarf: Die „Hamburg School of Music“ im dritten und fünften Stock zum Beispiel, das legendäre Uebel & Gefährlich dazwischen und besonders der höchstgelegene Laden, benannt nach der begehbaren Fläche unter freiem Himmel.
Terrace Hill.
Hier regnet es phasenweise nicht nur in Sturzbächen von der Decke; weil mit der spektakulären Aussichtsplattform das Alleinstellungsmerkmal der Partylocation behördlicherseits dicht gemacht wurde, sind vor allem die lukrative Firmenevents abgesprungen. Wichtige Einnahmen sind weggebrochen, diverse Flächen unbenutzbar, alle Mitarbeiter freigestellt. Und da der Club dagegen aufbegehrt, lag kürzlich die Kündigung auf dem Tisch. Den Rest erledigen nun die Anwälte. Das gesamte Projekt steht vor der Schließung. Alles wegen einer Dachbegrünung. „Dachbegrünung?“, wiederholt eine Terrassenkraft sarkastisch. „Hier geht’s nicht um ein Pflanzen, hier geht es um ein Luxushotel.“
Dass die Nobelgastronomie des Investors Thomas J.C. Matzen nur ein Nutzungsfaktor unter vielen von Sportstätten, Gartenfläche, Veranstaltungsräumen und Gedenkstätte sein soll, glaubt unter den Bestandsmietern ohnehin niemand. Reden will der sichtlich erboste Mitarbeiter trotzdem nicht über die Situation. So wie praktisch alle hier verblüffend schweigsam sind. „Scheiße ist das“, sagt jemand vom Online-Radio byteFM über die Beeinträchtigungen durch den Umbau, verweist aber auf den Senderchef Ruben Jonas Schnell, der aber auch nichts von sich hören lässt.
Ähnliches ist bei einem der Einzelhändler im Erdgeschoss zu hören, dessen An- und Ablieferung durch Baustellenzaun und -fahrzeuge behindert werde. „Wir können hier schlicht unsere Arbeit nicht mehr machen“, klagt ein Verkäufer, um im selben Atemzug von seiner „Angst, dass der Bunker nicht mehr derselbe sein wird“ zu erzählen. Wenngleich so anonym wie der Chef einer der vielen Agenturen im Haus. „Das Wasser läuft mittlerweile bis in den dritten Stock“, sagt er und verweist auf den Baulärm, der „in diesem riesigen Resonanzkörper doch doppelt so gut transportiert wird wie in kleineren Gebäuden“.
Dass die Nobelgastronomie des Investors Thomas J.C. Matzen nur ein Nutzungsfaktor unter vielen von Sportstätten, Gartenfläche, Veranstaltungsräumen und Gedenkstätte sein soll, glaubt unter den Bestandsmietern ohnehin niemand.
Aufgeschlossen zeigt man sich der Veränderung gegenüber eigentlich nur in der Galerie neben dem Terrace Hill. Kein Wunder – unterm Namen „Hilldegarden“ beteiligt sich ein ansässiger Verein an der Dachgestaltung. „Wir hatten schon auch ein bisschen Wasser hier“, sagt eine Frau am Tresen und zeig aufs Trocknungsequipment am Boden. Aber man dürfe gern die Vereinsvorsitzende Urte Ußling anrufen – was man sich aber auch sparen kann, weil sie bereits der ZEIT berichtet hatte, wie gut hier eigentlich alles laufe.
Weil die restliche Hausgemeinschaft eher vom Gegenteil überzeugt ist, versucht sie nun zu einer einheitlichen Position zu kommen – auch aus Sorge um die wackeligen Mietverträge. Sie scheint durchaus berechtigt. Sowohl der Investor als auch dessen Hausverwaltung haben zwar öffentlich beteuert, die teure Verdoppelung der Gesamthöhe auf gut 60 Meter – Verschattung umliegender Straßen inklusive – würden weder den laufenden Betrieb noch die künftige Nutzung im Altbau beeinträchtigen. Keine sechs Wochen halbwegs intensiver Bautätigkeit jedoch haben erneut bewiesen, dass sich Rendite-Interessen letztlich immer gegen die der Allgemeinheit durchsetzen.
Folgt jetzt ein Esso-Häuser 2.0?
Das beste Beispiel dafür sind die benachbarten Esso-Häuser. Auch da hatte der Investor – die Bayerische Hausbau – großmütig Bürgerbeteiligung zugebilligt, die in einer beispiellosen Mischung aus Solidarität und Ertragsdenken gipfelte. Nach mehrmaliger Bauplanänderung jedoch würde sich heute niemand über ein komplett kommerzielles Objekt wundern. Das passt zur gesamten Umstrukturierung von St. Pauli nebst Nachbarvierteln, in denen Baubuden und Stadteilkongresse zusehends als Feigenblätter publicitybeflissener Aufwertungsvorhaben beim Greenwashing missbraucht werden.
Ob es auch im Feldstraßenbunker so weit kommt, bleibt abzuwarten. Die Arbeit wird ja selbst ohne Verzögerungen Jahre dauern. Ob sich die Mietverträge dann wie zugesagt verlängern, klären dann womöglich Gerichte – „falls die Bunkerbrause vom Dach nicht vorher schon Fakten schafft“, wie es jemand im Fahrstuhl ausdrückt. Anonym natürlich. Die Angst unterm Wasserfall ist spürbar.