Alles gegen die Kunst in Rothenburgsort
Weil günstiger Arbeitsraum ohne Profitdenken knapp wird, haben drei Künstler eine Halle in Rothenburgsort gepachtet und zum Hotspot der Kreativszene gemacht. Doch weil auch hier der Abriss droht, zieht sie bald weiter. Ein Hilferuf von den Elbbrücken, der bis St. Pauli zu hören ist.
Ulf baut Roboter und Robert Boxen. Dani macht Mode und Andreas Betonobjekte. Paul bastelt Boote und Rafi eher Beamer. Fabi fräst Holz und Casper Metall. Fast alle kreieren Kunst und manche gar mit Nutzwerk. Wer in einer alten Fabrik unweit der Elbbrücken arbeitet, wo Hamburg noch ganz schön zersiedelt ist und doch schon ins Grüne ausfranst, definiert „Kollege“ eben ein wenig anders als es beim Vorbesitzer üblich war.
Der hieß nämlich Albert Mund und ließ an diesem Ort bereits Rohre plus Zubehör anfertigen, als sie noch mit Pferden transportiert wurden. Gut 150 Jahre später ist das Erbe des Firmengründers zwar Geschichte; die Produktionsräume jedoch leben auf eine Art weiter, die sich der alte Mund so kaum vorgestellt hatte: Vor acht Monaten wurde das eng bebaute Areal in Rothenburgsort mitsamt seiner riesigen Wellblechhalle und dem gelbklinkeröden Bürogebäude von drei Menschen gepachtet, die mit Wellblech und Gelbklinker, geschweige denn Rohren plus Zubehör normalerweise wenig am Hut haben.
Das Problem: Raummangel für Kleingewerbe
Es sind zwei Handwerker und eine Künstlerin oder zwei Künstler und eine Handwerkerin oder auch alle alles in einem, je nach Perspektive. Jorel, Alexandra und Felix jedenfalls haben das Gelände der Albert Mund GmbH für ein Jahr zur Zwischennutzung gemietet, um damit einen sehr hanseatischen Notstand zu beseitigen: den akuten Raummangel für Kleingewerbe jenseits der Big Player von Aurubis über Otto bis Jung von Matt. Oder wie es der notorisch gutgelaunte Felix bei einer Runde Fritz-Brause aus dem selbstreparierten Getränkespender ausdrückt: „Für Großbetriebe ist Hamburg toll, für Kleinbetriebe grauenhaft.“ Weshalb all jene, die sich den Stadtbereich kaum noch leisten können, ins Umland pendeln oder aufgeben.
Genau da setzt das Trio um die 40 mit seinem Projekt an, denn bezahlbare Flächen für all jene zu finden, die abseits hochprofitabler Branchen werkeln, sei in Metropolen wie dieser zusehends unmöglich – zumindest mit planungsfreundlicher Laufzeit, zumindest in zentraler Lage, zumindest einigermaßen erschwinglich. „Für 14 Euro pro Quadratmeter gibt’s genug Räume“, meint der gelernte Tischler Jorel, dessen selbstgebaute Tiny Houses zu den größten Einzelstücken der Initiative zählen, „aber unter acht wird’s richtig eng“. Als die drei befreundeten Nischengewächse der lokalen Kreativwirtschaft das Gelände mit 1700 Quadratmetern überdachter Nutzfläche für weniger als die Hälfte bekamen, rannten ihnen Handwerkskünstler daher förmlich die Rolltore ein.
„Nach nur sechs Wochen“, erinnert sich Alexandra ans Frühjahr, „war die Halle voll“. Und das allein durch Soical Media und Mund-zu-Mund-Propaganda. Seither bieten 15 Mietverträge rund 70 Menschen die Möglichkeit, ihrem Gewerbe nachzugehen. Und ein Spaziergang unterm mächtigen Hallendach mit dem mächtigen Portalkran über riesigen Stahlregalen zeigt, wie breit sie gefächert sind. Auf einer Empore etwa sitzt jemand von der HFBK am Rechner und macht bestimmt irgendwas Artifizielles, während schräg darunter ein Korbflechter-Kollektiv inklusive Azubi organische Sichtblenden für den gut gefüllten Geldbeutel baut.
Hier kann man halt groß denken und dabei richtig rumsauen
Schrauber sanieren VW-Bullis, Schreiner drechseln Miniaturmaschinen, daneben wird eine Autowaschanlage zur Kunstinstallation umfunktioniert oder auch mal ein Schweißroboter zum kybernetischen KI-Objekt. „Hier kann man halt groß denken und dabei richtig rumsauen“, meint Alexandra, tritt allerdings mit dem Kampfbegriff jeder Planungssicherheit auf die Bremse: Noch. Da die Halle definitiv abgerissen wird, verlängert sich der Pachtvertrag ab Februar allenfalls zweimonatsweise, dann dürfen sich die Nutzenden mal wieder was Neues suchen – auf einem Markt ohne Platz für alles, was viel erschafft, aber wenig erwirtschaftet. Ein Markt, dem die zügig verdichtete Großstadt schlicht zu wenig Großraum bietet. Das letzte Gemeinschaftsprojekt der lokalen Kreativszene hatte schließlich grad 10. Geburtstag. Es heißt Gängeviertel und ist wie das parallel eroberte Oberhafenquartier an den Deichtorhallen längst eher Monument soziokultureller Renitenz als Entstehungsort relevanter (Gebrauchs-)Kunst.
Das ist in einer Stadt, die sich gern ihrer Vielfalt rühmt, umso deprimierender, als gute Lagen zugleich bedenkenlos dem Profit geopfert werden. Obwohl 470.000 Quadratmeter Bürofläche in Hamburg leerstehen, reißen die wirtschaftshörigen Stadtplaner der Steg demnächst wohl rechtswidrig, aber staatlich gefördert die bauhistorisch bedeutsame Kantine der Rindermarkthalle St. Pauli ab und ersetzen sie durch einen Büroturm für die vier Bauherren – darunter eine benachbarte Marketingagentur, die mit Abwanderung droht, sollte ihr der Bezirk nicht die Abrissgenehmigung erteilen.
Kommt zum Tag des offenen Rolltors, am Samstag den 21.09.!
Anstatt das Pavillon-Ensemble Anwohnern zur Verfügung zu stellen, öffnet sich auf seiner Ruine also der nächste Abgrund dessen, was mit Gentrifizierung längst nicht mehr ausreichend dramatisch umschrieben ist. Gleichzeitig sorgt die Verdrängung kreativer Rückzugsräume an den Stadtrand aber auch dafür, dass er seinerseits gentrifiziert wird. Weil sich die Zwischenmieter der Albert-Mund-Halle dessen bewusst sind, laden sie Samstagmittag zum „Tag des offenen Rolltors“ mit Diskussion, Musik, Essen und Spaß in die Marckmannstraße 55. „Um mit der Umgebung in Kontakt zu treten“, sagt Alexandra aus St. Pauli in Rothenburgsort. Mehr aber noch, um Öffentlichkeit zu schaffen für ein Projekt, das dem Untergang geweiht ist und dennoch dringend Schule machen sollte. In einer Metropole, die sich modern nennt und doch meist nur dem Steinzeitkapitalismus dient.