Warum ich jetzt schon keinen Bock auf das Hamburger Derby habe

© Hasan Almasi via Unsplash

In dieser Stadt leben tausende Menschen, die sich alle zwei Wochen in Bus und Bahn setzen, um an einen Ort zu kommen. Dort schreien sie sich ekstatisch die Seele aus dem Leib. Nicht für sich – nein. Für andere. Was sich zunächst anhört, wie eine Art Urschreitherapie einer fanatischen Sekte, sind lediglich die Fans vom HSV und dem FC St. Pauli – genauso wie ich es einer bin. Doch manches geht über die üblichen 90 Minuten hinaus. Und da mache ich mir so meine Gedanken zu, denn ich glaube: Den Vereinen steht Großes bevor. Und damit meine ich nicht drei Punkte am achten Spieltag.

Erstmals Zweite Liga

Seit der größere der beiden Clubs den vermeintlich erlösenden Gang ins Unterhaus antreten musste, scheinen Teile der Fanszene zu einem Pulverfass geworden sein. An Kneipentresen, Supermarktkassen und in Foren herrscht zwar eine gewisse Zuversicht, bald wieder ambitionierter Erstligist zu sein – natürlich nie ohne den dringend notwendigen Anteil Selbstironie.

Doch Hamburgs Straßen bei Nacht sprechen eine andere Sprache. Die Wochen vor dem großen Spektakel, dem Derby zwischen HSV und FC St. Pauli, zeugen eher von Gewaltphantasien und – im wahrsten Sinne des Wortes – Reviermarkieren, als von einer echten Vorfreude auf das bedeutsamste Sportevent der Stadt. Überall scheint es zu brodeln, schon Wochen vor dem Derby:

Noch 38 Tage bis Tag X

Die der St.-Pauli-Fanszene nahestehenden Bands Fast Sluts und LAK sollten am Abend des 23. August im "Menschenzoo" auf St. Pauli spielen. Scheinbar wird der südliche Teil St. Paulis – sprich Reeperbahn bis Hafenstraße – mit einer Art Gebietsanspruch seitens der HSV-Fans gesehen – eben auch da, wo der "Menschenzoo" sein Zuhause hat. Nicht lange hat es gedauert, bis Fans der Blau-Weißen den Ein- bzw. auch Ausgang des Clubs blockierten. Die Polizei nahm viele dem HSV zuzuordnenden Belagerer fest – eine Eskalation wurde noch verhindert.

Nur noch 29 Tage bis Tag X

Etwa eine Woche später verabredeten sich dann gewaltbereite Gruppen beider Clubs mitten auf St. Pauli, um Spannungen mit Fäusten zu lösen. Direkt am Beatles-Platz trafeb laut Informationen des Hamburger Abendblattes etwa 150 St.-Pauli-Fans auf 50 HSV-Fans – die wieder nur durch die Polizei auseinandergehalten werden konnten.

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Manche*r Auswärtsfahrer*in mag vielleicht denken „Kenne ich schon. Ist doch bei jedem Auswärtsspiel dasselbe“. Doch der Vergleich hinkt. Natürlich trifft man als Fan des Gastvereins in der Stadt oder der Provinz, je nachdem wo sich das Stadion gerade befindet, immer mal wieder auf einen Fan-Mob des Gastvereins, die jetzt nicht unbedingt mit dir ein Bierchen trinken möchten, sondern dir eher ein Bierglas über die Rübe ziehen möchten. Passiert. Kennt man. Ist schlicht und ergreifend die gewalttätige und bittere Realität.

In einer Stadt, in der sich trotzdem Rautensau und Zeckenschwein einen Hauseingang teilen.

Aber wie ist das, wenn zwischen den verfeindeten Clubs nur noch Sternschanze und Eimsbüttel liegen? Diese Frage birgt eine gewissen Ohnmacht – gerade in einer Stadt wie Hamburg, in der vor über einem Jahr bei den Protesten um den G20-Gipfel viel auf Seiten der Polizei schieflief. Gerade in einer Stadt, in der ein Teil des harten Kerns der Szene nicht davor zurückschreckt, für seinen Verein mit Fäusten einzustehen. In einer Stadt, in der das Feuer des Hamburger Derbys auf die unschönste aller Art und Weisen auf die Straße getragen wird. In einer Stadt, in der sich Rautensau und Zeckenschwein einen Hauseingang teilen.

Fragen, die leider nur rhetorischer Natur sein können. Was tatsächlich passiert, wissen wir nicht – wir werden es jedoch erfahren. Dass sich mancher Fan seines*ihres Herzensvereins jedoch an diesem Tag lieber mit seinem überteuerten Sky-Abo oder dubiosen Stream in sein Wohnzimmer verkrümelt, ist mehr als verständlich. Genauso werde ich es tun. Mit meinem Fanclub-Schal um dem Hals, einer kalten Kiste Bier im Kühlschrank und einer geölten Kehle – mit der ich den Bildschirm anschreie, bis der Derbysieg unser ist. Genau so muss es laufen, damit dieser Tag sich für mich um meinen Club und meine Farben dreht – und der letzte Funke Vorfreude nicht auch noch flöten geht.

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