Pegida in Hamburg – Warum du für Weltoffenheit auch mal auf die Straße musst
Keine Stadt wird in der Bundesrepublik als so weltoffen angesehen, wie Hamburg. Sexuelle Selbstbestimmung, individuelle Lebenskonzepte und gelebte Religionsfreiheit scheinen in Hamburg so sehr einer Selbstverständlichkeit zu unterliegen, dass sich viele in ihrer Freiheit und Sicherheit nicht bedroht fühlen: Der Nachbar wird nicht verdächtigt das Rad geklaut zu haben, nur weil seine Hautfarbe eine andere als die eigene ist. Die beiden Männer aus dem dritten Stock mit ihren beiden kleinen Kindern sind nichts anderes als das was sie sind: die netten Nachbarn. So zumindest der gefühlte Standard. Dass wir uns in unserer Hamburg-verliebten Blase völlig unbedroht fühlen dürfen, ist ein Trugschluss.
Sechs Wochen sind sechs Wochen zu viel
Seit sechs Wochen treffen sich am Jungfernstieg oder am Dammtor-Bahnhof sogenannte Merkelkritiker, die sich aus unter anderem AFD-Mitgliedern, Identitären und Verschwörungstheoretikern zusammensetzen. Ihre Merkel-muss-weg-Demo soll suggerieren, dass sich hier lediglich besorgte Bürger zusammenfinden, die sich politisch nicht mehr repräsentiert fühlen – die meinen, man habe ihnen etwas weggenommen, die sich in ihrer hanseatischen oder deutschen Identität bedroht fühlen.
Bei genauerer Betrachtung fällt auf, dass es ihnen hier um etwas anderes geht. Es geht hier um Rassismus, um kulturelles Elitengehabe, das durch vermeintliche Politikverdrossenheit gerechtfertigt wird. Schilder und Parolen, die populistischer nicht sein könnten sprechen genau diese Sprache.
Die eigene Kritik nicht verstehen
Die Demo vom 5. März am Dammtor-Bahnhof spricht eine eindeutige Sprache: Kritik an Merkel wird mit Schildern wie „Scharia Partei Deutschlands“ ausgedrückt, was schlicht und ergreifend keine Kritik an der Politik der Bundeskanzlerin zum Ausdruck bringt. Ebenso suspekt erscheint es mir, dass davon ausgegangen wird, dass eine einzelne Person die Unzufriedenheit dieser Gruppe zu verantworten hat – beachtet man, das Angela Merkel zwar Regierungschefin ist, jedoch auch nur Teil des Kabinetts ist. Und bei allem Respekt – das ist nun wirklich nicht schwer zu verstehen.
Mir fällt es schwer angebliche Sorgen und Ängste der mir gegenüberstehenden Menschen ernst zu nehmen. Wer sich selbst keine argumentative Grundlage schafft, sondern nur populistische Phrasen drischt, der hat zwar eine Meinung, jedoch keine, die irgendein Fundament für Diskussionen darlegt. Ein argumentatives Ankommen gegen genau diese Menschen ist ein Leichtes.
Den Fehler erkennen und ihn nicht begehen
"Ein Haufen kleingeistiger Bürger, die mit den ihn gegebenen Mitteln eh nicht viel ausrichten können" wäre ein Fazit, welches darauf hinauslaufen würde, einfach nichts zu tun. Dass diese Personen früher oder später das Interesse verlieren – genau davon ist nicht auszugehen. Gruppendynamiken und internes Hochschaukeln durch Anerkennung und Bestätigung sind genau die Mechanismen, die greifen, wenn man diesen Feinden der Demokratie nicht wöchentlich zeigt, dass sie in Hamburg keinen Spielraum finden werden.
Es geht darum Stellung zu beziehen für eine Stadt, in der man sich zwar wohlfühlt und auch wohlfühlen darf – manchmal aber etwas dafür tun muss. Denn genau das wollen die paar hundert Menschen an Jungfernstieg und Dammtor uns streitig machen – ob sie das selbst so empfinden oder nicht.