Straßenkampf: Radfahren in Hamburg

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In dieser Geschichte geht es um etwas Emotionales, das nur dem Untergrund nach kalt ist wie Asphalt: den Straßenverkehr. Es geht um rücksichtslose Autofahrer, rabiate Radler, chattende Fußgänger. Um Regeln und deren Bruch, Ökonomie und ihre Macht, Klischees und Lügen. Es geht also um fast alles, was diesem Land heilig ist. Deshalb bedarf die Geschichte von Beginn an der Aufrichtigkeit. Et voilà: ich bin ein Fahrradrüpel, gehöre also jener velomobilen Spezies an, deren Daseinszweck aus Sicht des automobilen Mainstream allein darin besteht, möglichst rasant Fußgänger, Gesetze, Kotflügel zu (z)erlegen.

Ein Rüpel in Gefahr

Soweit die Theorie. Praktisch liegt die Zahl meiner Jagdtrophäen trotz meiner robusten Fahrweise, die Ampelschaltungen eher als Angebote versteht und Fremde lieber vom Radweg klingelt als bittet, bei null. Und das hat Gründe, lebenserhaltende Gründe, geprägt in jahrzehntelanger Verkehrserfahrung, die mich eines lehrt: unaufmerksam oder rechtsgläubig wäre ich längst tot. Denn obwohl mein Modell dank guter Bremsen in Echtzeit zum Stillstand kommt, bin ich dauernd der Gefahr fataler Verletzungen ausgesetzt, die den Jagdtrieb auf Fußgänger und Kotflügel gehörig zügeln.

Zum Beleg ein Abriss meines Arbeitsweges. Von Altona nordwärts wird mir an Thadenstraße, Max-Brauer-Allee, Holstenplatz, Augustenburger, Ophagen bis zum Eimsbütteler Markt so konsequent die Vorfahrt genommen, dass ich beim Beharren auf die StVO nicht hier säße, sondern im Rollstuhl. Bestenfalls. Allein an der Stresemannstraße fiele ich trotz grüner Ampel fast täglich Linksabbiegern von der Kieler Straße zum Opfer, denen 45 Sekunden illegaler Zeitersparnis wichtiger sind als meine Existenz. Und so geht das nicht nur auf dem Weg ins Büro. Sondern Tag für Tag. Woche für Woche. Jahr für Jahr.

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Velofaschismus vs. Faktenlage

Dennoch beschimpft mich der „Fußgänger und Autofahrer Lars Weisbrod“ in einer Zeit-Debatte als Blockwart einer neoliberalen Spießermoral, die freien Bürgern freies Parken auf freien Radwegen madig machen und eine Art Velofaschismus einführen will. Davon abgesehen dass er Verkehrskollaps, Klimawandel, Gesundheitspolitik am Straßenstand stehen lässt wie ein SUV Klappräder, missachtet das benzinsüchtige Zweirad-Bashing auf fatale Art die Faktenlage. Menschen in Kabul oder Caracas leben gefährlicher als Hamburgs Radfahrer. Aber wer letztere kollektiv zu Feinden der Menschheit erklärt, wie es die Weisbrods im Chor mit AfD, ADAC, Bild tun, sollte mal die polizeiliche Verkehrsunfallstatistik lesen.

An Alster und Elbe sank die Zahl der Personenschäden auf Zweirädern zwar leicht auf 2318. Fast alle davon gingen jedoch aufs Konto ordnungswidrig agierender Kraftfahrer. Der umgekehrte Fall? Ist nicht überliefert! Wohl aber jene 38 Radfahrer, die 2017 durch falschabbiegende Laster bundesweit ums Leben kamen. Als eine Mutter im Mai an der Osterstraße unter den Rädern eines achtlosen LkW-Fahrers starb, gab es drei Tage Medienrummel. Diskussionsende. Tempo 30, Fahrverbote, rigidere Strafen – all dies ist schließlich selbst dann politischer Selbstmord, wenn die Autoindustrie ihre Kundschaft kollektiv betrügt.

Hamburg – die autofreundliche Stadt

Deshalb tut die Stadt weiter alles für die autogerechte Stadt der Wirtschaftswunderjahre – und damit sind hier mal nicht zugeparkte, verwahrloste, eingeschneite und anderweitig missbrauchte Radwege gemeint. Im Gegenteil. Der Feind des nachhaltigen Stadtverkehrs sind nicht freie, sondern gar keine. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Kommunen schon 1997 aufgefordert, Räder konsequent vom Bordstein auf die Straße zu holen. Hamburg aber baute die Radwegebenutzungspflicht eher noch aus und komplettiert den anhaltenden Rechtsbruch damit, Europas schnellste Stadt großflächig mit Ampeln zu versehen, die das Rad per Lichtzeichen auf den Bürgersteig beordern, also regierungsamtlich in Todesgefahr bringen. Statt das einzig klimaneutrale Fortbewegungsmittel zu fördern, setzt der Senat – egal welcher Parteifarbe – weiter auf vier Räder. Europas Green Capital 2011 gilt daher zu Recht als fahrradunfreundlichste, verkehrspolitisch also rückständigste Stadt der Republik.

Tatsache ist, dass wir Radfahrer exakt so nett oder scheiße sind wie alle anderen. Es gibt uns von Samariter bis Arschloch, oft in einer Person. Trotzdem sind wir die Zukunft.

Doch auch das nur die halbe Wahrheit dieses Plädoyers für eine fahrradgerechte Stadt. Denn Tatsache ist: nähme ich alle Fußgänger, die entspannt auf dem Radweg schlendern, aufs Korn – mein Kerbholz wäre ähnlich voller Passanten wie das der Autofahrer voller Radfahrer, würden die nicht ständig auf ihr Recht verzichten. Tatsache ist aber auch, dass wir Radfahrer exakt so nett oder scheiße sind wie alle anderen. Es gibt uns von Samariter bis Arschloch, oft in einer Person. Trotzdem sind wir die Zukunft. Wir stinken nicht, wir schmutzen nicht, wir entlasten das Gesundheitssystem und brauchen überdies selbst dann kaum Platz der überfüllten Städte, wenn wir unserer Wut über die Verhältnisse in einer Critical Mass zum Ausdruck bringen.

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Sicher, wir mögen manchmal Rüpel sein, aber mit weniger als einem PS statt Dutzenden wie die 783.255 Pkw der Stadt, kostet das Fußgänger vielleicht mal einen Sprung zur Seite, aber praktisch nie die Gesundheit, geschweige denn das Leben. Für wahre Opfer sind andere verantwortlich. Und welche Auswirkung ihre Fortbewegung hat, zeigt nicht nur die Unfallstatistik. Man sieht sie grad gut an der ausgetrockneten Alster.

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