„Minitopia“: Eine wilde Oase mit Selbstversorgern mitten in Wilhelmsburg

© Lutz Granert

Fährt man die lange Georg-Wilhelm-Straße in Wilhelmsburg entlang, kann man den Hinweis auf ein Nachhaltigkeitsprojekt schnell übersehen. Nur etwa hundert Meter von einer Unterführung entfernt, hängt ein wuchtiges Holzschild in den wuchernden Bäumen direkt am Fußweg. Der Schriftzug „Minitopia“ ist fast schon ein wenig schüchtern darauf zu lesen. Und doch ist das Projekt alles andere als das: Die erste Community-Stadtfarm von Hamburg hat sich urbane Selbstversorgung als Ziel gesetzt. Und das Projekt hat buchstäblich schon erste Früchte getragen: Insgesamt 26 Obst- und Gemüsesorten werden derzeit in den Hochbeeten auf dem 1.000 Quadratmeter umfassenden Außenbereich des Areals angebaut.

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Gerümpel nachhaltig verwertet

An diese großartige Entwicklung war am Anfang nicht zu denken. Im Dezember 2016 übernahm „Minitopia“-Mitgründerin Stefanie Engelbrecht, genannt Stevie, vom Alternation e.V. zusammen mit Katrin Schäfer das verwilderte Grundstück – und hatte zunächst einmal mit den Hinterlassenschaften der Brummi-Werkstatt zu kämpfen, die zuvor in der 200 Quadratmeter großen Fabrikhalle untergebracht war. Containerladungen voll mit Schrott, Steinen und Reifen würden andere verzweifeln lassen, doch Stevie und ihre Vereinskollegen machten aus der Not eine Tugend. „Einen Großteil haben wir noch verwendet, etwa für unsere wöchentlich angebotene offene Holz- und Metallwerkstatt, in der sich jeder Hobbyhandwerker ausprobieren kann. Die Steine bilden inzwischen die Begrenzung und die Reifen Deko für unsere Hochbeete“, so die 42-Jährige.

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Am 7. April 2017 wurde das durch Stiftungen und Spenden finanzierte Bildungs- und Nachhaltigkeitsprojekt „Minitopia“ offiziell eröffnet, damals stand einzig der Tresen für die Bar in der Werkstatt schon. Durchs Anpacken von Vereinsmitgliedern vervollständigte sich die Einrichtung und Ausstattung auf dem Gelände zusehends. Auch Schüler von Wilhelmsburger Schulen, die hier zu wöchentlichen Nachmittags-AGs zusammenkommen, haben mitgeholfen. In der hinteren, 60 Quadratmeter großen Halle sind inzwischen Werkstatt und Atelier für Metallarbeiter, Zimmerer oder Künstler entstanden. Farbreste oder Werkzeug wurden gespendet. Die Gerüstbohlen kamen etwa von Alster Gerüstbau, Räder Vogel stellte Industrierollen zur Verfügung. Inzwischen bestehen auch Kooperationen mit dem Permakultur Campus in Hamburg, welche beim Obst- und Gemüseanbau Hilfestellung geben, oder mit Der Hafen hilft! e.V., über den ausrangierte Sitzmöbel aus Kreuzfahrtschiffen zur Ausstattung des „Minitopia“ hinzugekommen sind.

 

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Dieses Netzwerk hat die Stevie Stück für Stück aufgebaut. „Ich bin tatsächlich Juristin, habe mich aber schon während meines Abschlusses als Projektmanagerin und im Fundraising in der sozialen Stadtteilentwicklung in Berlin eingebracht.  Dabei fiel mir auf, dass viele ambitionierte Projekte an den Förderrichtlinien gescheitert sind – und da habe ich eingegriffen.“ Inzwischen ist die engagierte Hamburgerin mit Wurzeln in Sülldorf stolz auf kleine Etappenziele bei der Selbstversorgung. Ein von Schülerinnen und Schülern aus Schrottteilen und Fahrrad-Dynamos konstruierte „Handytankstelle“ liefert Energie zum Laden von bis zu fünf Handys gleichzeitig, die farbenfroh gestalteten Komposttoiletten funktionieren ohne Wasser, Sitzmöbel aus Europaletten wurden selbst gezimmert. „Das Einzige, was wir leider immer noch nicht verwerten können und entsorgen müssen, ist Plastik“, so Stevie, die Hobbygärtnern auch einige Tipps zum Züchten von Permakulturen geben kann.

Eine Alternative zur Konsumgesellschaft ist möglich

Das „Minitopia“ wird inzwischen von allen Altersgruppen gut besucht, von Schülern und Azubis über Studierende, Familien mit Kindern bis hin zu älteren Menschen. Das liegt auch daran, dass hier Betätigungsfelder von Gärtnern über Kochen bis hin zu Holz- und Metallverarbeitung sowie Workshops unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit angeboten werden. Stevie glaubt auch, dass viele „Städter“ die Frage umtreibt, wie sie sich im Zweifel, wenn Lieferketten an Supermärkte zusammenbrechen, selbst versorgen können. „Wir wollen zeigen, dass es einen Ausweg gibt aus der Konsumgesellschaft, auch wenn es natürlich sehr viel bequemer ist, Kartoffeln, Bohnen oder Tomaten im Supermarkt zu kaufen und sie nicht selbst anzubauen. Vollkommen autark leben zu können, ist vielleicht utopisch, aber hier geht es darum, Dinge auszuprobieren und zu zeigen, wie weit es möglich ist. Man muss es einfach machen und nicht nur klug daherreden, sonst weiß man es nicht“, fordert Stevie zum Mitmachen auf.

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