"Hamburg hat viel aufs Spiel gesetzt und viel verloren" – 11 Fragen an Rocko Schamoni
Rocko Schamoni ist bekannt durch das Trio Studio Braun, er hat den Golden Pudel Club gegründet und schon in der Schanze gewohnt, bevor es cool wurde. Wir haben dem Hamburger Künstler elf Fragen gestellt und mit ihm über Heimat, Clubs, Kunst und Humor geschnackt.
1. Was bedeutet Heimat für Sie? Ist Hamburg Ihre Heimat?
Joa, das kann man so sagen. Heimat ist immer da, wo man sein Leben verbracht hat und seine Wahlverwandschaft gefunden hat und das ist für mich Hamburg. Ich lebe hier, habe hier meine Freunde und habe meine Geschichte geschrieben. Das macht Hamburg für mich zu meiner Heimat.
2. Sie sind nach Ihrer Ausbildung in den 80ern in die Schanze gezogen – wie hat sich Ihr Bild des Viertels von damals bis heute verändert?
Das Schanzenviertel hat sich zum In-Viertel schlechthin entwickelt, das war damals genau umgekehrt: früher haben hier die Leute gewohnt, die sich nirgends anders eine Wohnung leisten konnten. Es war ein eher ärmeres Viertel, heute ist es genau andersrum.
3. Haben Sie einen Lieblingsort in Hamburg?
Ich habe keinen Lieblingsort in Hamburg, ich kann der Stadt auch nicht mehr zujubeln. Hamburg hat viel aufs Spiel gesetzt und viel verloren. Viele alte, geschichtsträchtige Gebäude wurden abgerissen – so darf man nicht mit der Stadt umgehen und das entspricht auch nicht meinen Vorstellungen.
4. Denken Sie, dass es heute nochmal möglich wäre ein künstlerisches Zentrum wie den Golden Pudel aufzubauen?
Nein, in dieser Form wäre es meiner Meinung nach nicht nochmal möglich. Die Rahmenbedingungen haben sich ganz einfach verändert. Ich glaube aber, dass es jederzeit möglich ist völlig neue Clubs und künstlerische Zentren aufzubauen. Das funktioniert vielleicht nicht mehr in den Ecken, in den das früher funktioniert hat, sondern in anderen Vierteln, wie zum Beispiel in Wilhelmsburg.
5. Hamburgs Club- und Kulturlandschaft strauchelt – wie sehen Sie die momentane Situation und Ihre Entwicklung?
Dieser Bereich wird nach wie vor nicht genug unterstützt. Hamburg hat sich in den letzten Jahren selbst durchgereinigt und dabei enorm viel verloren. Alte geschichtsträchtige Gebäude werden an Investoren verkauft und zu hochpreisigen Objekten transformiert, ganze Hinterhöfe und Straßenzüge fallen der Geldwalze zum Opfer, das ist leider äußerst kurzsichtig, denn die kleinen Clubs und Spielstätten, der sogenannte „Underground“, der der wichtigste Acker für die Kultur einer Stadt ist, kann sich die Mieten oft nicht mehr leisten und weicht in andere Städte aus, zum Beispiel nach Berlin. Dort gab es bis vor Kurzem noch Raum für derlei Projekte und die Mieten waren günstiger. Jetzt schließt sich langsam die Klappe Berlin. Dann kommt Leipzig dran.
Erst seitdem die Viktoria Kaserne und das Gängeviertel ein Ort für vertriebene Künstler geworden sind, hatte ich das Gefühl, dass die Stadt aufwacht und umdenkt, aber trotzdem wird weiter verkauft. Zum Beispiel hat vor Kurzem ein Berliner Großinvestor den Werkhof in der Bernstorffstraße 117 gekauft. Hier waren verschiedene Kreative beschäftigt und müssen nun darum bangen, dass ihr Lebens- und Schaffensraum von dem neuen Besitzer abgerissen, neu bebaut und teuer verkauft oder vermietet wird. Um dies zu verhindern, hat sich die Gegenbewegung "Viva la Bernie" gegründet.
6. In Ihrer Studentenzeit haben Sie den Pudel als Ihre "Nachtuniversität" bezeichnet. Wo nehmen junge Kreative in Ihren Augen die wertvollsten Erfahrungen für Ihren späteren Beruf mit?
Für mich war es immer das, was man "Die Straße" nennt. Die Uni war ein guter Ort um andere (kreative) Leute kennenzulernen und natürlich habe ich von meinen Professoren einiges gelernt, doch die wirklich wichtigen und engen Kontakte habe ich im Pudel geknüpft.
7. Sie sind unter anderem Mitglied des Studio Brauns. Sie und Ihre zwei Kollegen (Heinz Strunk und Jacques Palminger) werden oft als Humortrio bezeichnet – wie entsteht Ihr Humor? Woher nehmen Sie ihre Inspiration?
Die Schnittmengen unseres Humors überlagern sich. Wir haben nie an den deutschen Konsenshumor mit seinem klassischem Witz geglaubt. Wir zeichnen uns durch Risse und Brüche im Humor aus und lieben die fehlende Pointe. Außerdem verbindet uns eine Krankheit miteinander: Depressionen. Sie ist oft die Quelle unseres Humors.
8. Sie schreiben jeden Tag eine Seite an Ihren Büchern. Wie schaffen Sie es so geduldig bei der Arbeit zu sein – ist Disziplin Ihre Stärke?
Bestimmt ist Disziplin meine Stärke. Ich habe mir diese Eigenschaft angeeignet, nachdem ich 25 Jahre lang ziemlich undiszipliniert gelebt habe. Größere Arbeiten sind mir in der damaligen Zeit selten gelungen. Daraus habe ich gelernt, dass es das Wichtigste ist immer dranzubleiben. Das ist mein persönliches Rezept – immer dran bleiben. In Pausen entweicht einem die Muse, der Geist. Oder wie Prince sagt: "there's joy in repetition". Übrigens: Mittlerweile schreibe ich auch mehr als eine Seite am Tag.
9. Wie gehen Sie mit Kritik um?
Meine Kritiken lese ich in der Regel nicht. Ich neige dazu ihnen zu glauben, gerade wenn sie mir nicht gewogen sind. Nach jeder schlechten Kritik müsste ich eigentlich sofort mit der Kunst aufhören, den Kritiker sind ja Profis und müssen somit Recht haben.
10. Was glauben Sie: Wie wird Hamburgs Stadtbild sich in den nächsten zehn Jahren verändern? Lassen Sie uns dabei ein besonderes Augenmerk auf Viertel wie St. Pauli und die Sternschanze legen.
Ich kann nicht genau sagen, wohin der Weg gehen wird. Es müsste zukünftig eine politische Lösung her. Die fortschreitenden Mieten müssen durch die Politik gestoppt werden. Außerdem muss ein Bestandsschutz für ganze Viertel her um die Gebäude zu erhalten. Ganze Stadtteile dürfen nicht verspekuliert werden. Momentan liegt der Fehler in der Politik, das sollte sich ändern.
11. Was wünschen Sie sich zukünftig für die Welt?
Ich wünsche mir für die Welt, dass die Art und Weise wie die Menschen mit ihr und ihren Ressourcen umgehen sich ändert. Ich habe ein dunkles Weltbild. Es muss dringend eine wiedererstarkende Gegenbewegung geben, die bereit ist Barrikaden zu bauen. Gegenbewegungen sind in den letzten Jahren größtenteils betäubt oder vernichtet worden, die dissidentischen Energien müssen wiedererwachen. Wenn ich mir anschaue in wessen Hände die Bürger dieser Zeit die Macht legen (siehe Trump, Putin, Erdogan, Orban, May, Duda, etc.), dann glaube ich, dass die Menschheit das Ende des jetzigen Jahrhunderts nicht mehr erleben wird, oder wenn, dann nur sehr wenige Reiche.