Hamburg – die ins Verderben wachsende Stadt

© Maria Kotylevskaja

Hamburg – kaufmannstolze, gründerzeitschöne, selbstverliebte Stadt am Meer ohne Meer, du bist schon ein seltsamer Ort. Seit Hansezeiten gottesfürchtig, im Zweifel jedoch pragmatisch, lässt er dem Himmel bloß ein paar Gotteshäuser nahe kommen. Wer also vor, sagen wir: 20 Jahren den Blick schweifen ließ, hätte ihn daher für eine Art nördliches Mekka des Christentums halten können: Bis auf ein paar versprengte Hochhäuser wie das phallusartige CCH stachen schließlich allenfalls Kirchtürme aus den Dächern ringsum hervor. Das war angesichts der überschaubaren Religiosität an Alster und Elbe zwar ein bisschen merkwürdig, aber auch für Ungläubige eigentlich ganz schön.

Eine Stadt platt wie der Norden selbst

Hamburg – die kaufmannstolze, gründerzeitschöne, selbstverliebte Flächenstadt ohne Stadtfläche hat nämlich noch immer etwas Außergewöhnliches zu bieten: Sie ist fast so flach wie ihr Umland. Zumindest die zentralen Viertel sind meist maximal sechsgeschossig.

Wo ein umsichtiger Bebauungsplan existiert, vielleicht gar Ensembleschutz, werden selbst Baulücken dezent gefüllt. Und weil Leute mit oder ohne Stil lieber auf Holz als Linoleum unter Stuck in dreieinhalb statt Raufaser in zweieinhalb Meter Höhe leben, sind Altbauten zu lukrativ, um flächendeckend planiert zu werden. 

Kurzum: Hamburg bietet seinen Bewohnern freie Sicht wie kaum eine andere Stadt dieser Größe. Bislang.

Mittlerweile nämlich schießt die kaufmannsstolze, gründerzeitschöne, selbstverliebte Stadt an der Elbphilharmonie ziemlich disharmonisch empor. Spätestens mit dem Bau zweier Türme an der Reeperbahn, die höchstens das Abschreibungskonto der Investoren zum Tanzen bringen, war der Damm gebrochen. Wer nun von Wilhelmsburg aus stadteinwärts blickt, sieht – Wolkenkratzer. Ein halbes Dutzend davon verschandelt allein die Hafensilhouette so klobig, dass sich die Landungsbrücken eingeschüchtert darunter wegducken.

© Alexandra Brucker

Gebäude ohne Seele

Wobei die verstellte Sicht erträglich wäre, würden in den Protzklötzen denn Menschen aus Fleisch und Blut, statt Kontovorgänge aus Einsen und Nullen leben. Nur: Prunkimmobilien wie der Marco-Polo-Tower oder die Glasstahlblockbuster Nähe Fischmarkt sind oft verwaiste Geldanlagen. Von der morbiden NS-Aura des (rost)braunen Empire Riverside Hotels übers nicht nur abends tote Brauereiviertel bis zu den Reichenghettos der HafenCity findet man im aufwärts explodierenden Gigantismus daher wenig Lebensraum, aber viel Kapital. Und das dickste Ding kommt ja erst noch.

Empfohlener redaktioneller inhalt

An dieser Stelle findest du einen externen Inhalt, mit dem wir den Artikel bereichern.
Du kannst ihn dir mit einem Klick anzeigen lassen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden.
Beim Laden des Inhalts akzeptierst du die Datenschutzerklärung.

Mehr Büros braucht die Stadt – nicht

Es heißt großspurig „Elbtower“ und soll die Brücken darunter um anderthalb Michel überragen. Mit 235 Metern wäre diese „Kompassnadel“, wie der neue Oberbaudirektor Franz-Josef Höing schwärmt, Deutschlands dritthöchstes Bürogebäude. Moment! Büros? Ende 2017 standen in der Stadt 580.000 Quadratmeter Bürofläche leer.

Umgerechnet auf Wohnraum wären das fast 8.000 Einheiten, die dringend gebraucht würden. Büros dagegen braucht niemand. Büros sind über. Entstehen neue, werden andernorts alte geräumt. Was einmal mehr zeigt, welche Rolle Hamburgs Bewohner beim architektonischen Schwanzvergleich spielen, den der Weltstar David Chipperfield gerade gegen den größenwahnsinnigen Lokalmatador Hadi Teherani austrägt.

Was beiden herzlich egal ist: Hamburg war im Kern schon vor gut 100 Jahren fertig, auch wenn der Krieg Nachbesserungen nötig gemacht hat. Weil sich die Stadt – Stichwort Bodenversiegelung – nicht ewig ins Umland fressen kann, muss sie die wachsende Bevölkerung deshalb auf der Fläche unterbringen, die ihr zur Verfügung steht, also: nachverdichten und aufwärtswachsen.

Aber doch bitte nicht gleich zwei Fußballfelder hoch wie an den Elbbrücken und idealerweise dort, wo Platz ist: auf dem überschüssigen Asphalt der autogerechten Stadt zum Beispiel oder in Gartenbezirken wie Othmarschen, wo man von Villa zu Villa mehrere Minuten Fußweg braucht. Weil man mit Einschnitten an Straßenverkehr und Grundbesitz jedoch Wahlen verliert, vergeht sich die Politik lieber am Stadtbild.

Mundsburg (© Maria Kotylevskaja)
© Maria Kotylevskaja

Dahin bauen, wo es wirklich wehtut

Die Vorstellung, ein Hochbunker würde in Blankenese, statt St. Pauli um ein Drittel aufgestockt, ist daher ebenso irreal wie eine Verkleinerung der aberwitzig überdimensionierten Ost-West-Straße. Was hingegen echt easy geht, ist der Abriss eines völlig intakten, aber wie üblich nicht denkmalgeschützten Art-Deco-Ensembles am Gänsemarkt, der durch öden Riegelbeton ersetzt werden dürfte und seinen Vorgänger um ein paar Stockwerke überragen, damit er auch ja von Wilhelmsburg aus zu sehen ist. Es ist zum Heulen.

Auch, weil jeder, wirklich jeder den man fragt, lieber in saniertem Altbau als modernem Neubau wohnen möchte. Und weil keiner, wirklich keiner Stadtbilder wie in Süd- und Osteuropa will, wo man vor lauter Hochhausclustern kaum drei Stunden am Tag die Sonne sieht.

Wenn sie denn scheint, kriegt Hamburg davon noch immer mehr ab als weit wetterverwöhntere Städte. Auch deshalb ist diese so behaglich, so lebenswert, die Mischung aus Perspektive und Urbanität ist absolut einzigartig. Dummerweise arbeiten Politik, Investoren, ein bemitleidenswert zahnloser Denkmalschutz mit sehr viel Innbrunst und noch mehr Beton daran, dass sie uns verstellt wird.

Zurück zur Startseite