Clubs von gestern: Sparr (1989-1994)

© Club Sparr

Kleiner Geschichtskurs für Stilkundige: Die röhrende Hirschbrunft im deutschen Wald, das war als Clubdekoration, kein Scherz, mal echter ungewaschener Punkrock. Ende der Achtziger nämlich, St. Pauli stank damals noch weit weniger nach Pisse und Geld als Stumpenqualm und Pulverdampf, hängten die zwei Gründer des Sparr einen Wandteppich mit Biedermeierambiente. In den neu eröffneten Hamburger Berg 4 stellten sie alte Oma-Sofas darunter und servierten in einer Absturzkneipe, die nicht ohne Grund wie das Training schlagkräftiger Boxsportler klang, Cuba Libres mit so viel Rum, dass für Eiswürfel partout kein Platz mehr blieb – leider, wie der Kater tags drauf verlässlich jaulte.

Der Hamburger Berg hingegen – das blieb besonders für die Musical-affine Mittelschicht weiterhin No-Go-Area.

Ein solch biederes Ambiente war seinerzeit zwar schon leicht verbreitet in Hamburgs Ausgehvierteln. Allerdings eher im ecstasyvernebelten Durcheinander des Purgatory jenseits der Reeperbahn statt gleich neben dem Goldenen Handschuh, wo sich der heruntergekommene Wohn- und Gangsterkiez nicht nur für geile Instagram-Posts andauernd die Fresse polierte. Der benachbarte Spielbudenplatz mag 1989 dank Andrew Lloyd Webbers Türöffner Cats ja bereits drei Jahre lang im Griff bürgerlicher Aufräumkommandos gewesen sein. Der Hamburger Berg hingegen – das blieb besonders für die Musical-affine Mittelschicht weiterhin No-Go-Area.

Umso erstaunlicher ist es also, dass die Betreiber Katleen und Kasper ihren Absturz- und Rumhängladen mit der breiten Schaufensterfront auch übers süßliche Hirschbild hinaus ausgesprochen plüschig garniert haben, bevor er Mitte der Neunziger zu einer Art Brückenideologie der Avantgarde zum Mainstream geriet. Vorne, im abgewetzten, stinkgemütlichen Wohnstubenmobiliar plus Stehlampen, saß schließlich von Beginn an die Bohème der frisch gegründeten Hamburger Schule. Bernadette Hengst, Christof Schreuf, Rocko Schamoni. Aufkommende Undergroundprominenz, die in Christoph Twickels Szenestudie Läden, Schuppen, Kaschemmen eindrücklich erzählt, wie sie den verrufenen Kiez auch vom Sparr aus independenttauglich gemacht haben. Wobei – im hinteren Raum dauerte das doch noch ein bisschen länger.

© Club Sparr

Dort stand schließlich der vielleicht härteste Kicker St. Paulis jener Tage, an dem die alte Machokultur noch Hektoliterweise Testosteron verspritzen durfte. Die Spieler trugen gerne Handschuhe, gefordert wurde mit Scheinen statt Münzen, gelacht höchstens im Hinterhof mit den merkwürdigen Holzklos. Während das sensationell souveräne Tresenpersonal davor sämtliche Geschlechtergrenzen mit ruppiger Herzlichkeit negierte, kämpfte hier hinten ein zusehend altmodischer Männlichkeitskult ums Überleben, der nicht nur ganz gut zum rauen Rock aus mieser Stereoanlage passte, sondern irgendwie auch zu den Neonazis und Skinheads, die dem Sparr bisweilen ihre Verachtung zeigten. Der Laden war zwar nicht dezidiert politisch, aber aus rechter Sicht offenbar links genug, um ihn gelegentlich – etwa nach dem deutschen Gewinn der Weltmeisterschaft 1990 – gezielt zu entglasen. Sogar von Gullideckelattacken berichtet die Legendenbildung.

Ob das Sparr auch deshalb nur fünf Jahre unterm alten Namen bestand, ist mittlerweile nicht mehr zu klären. Aber auch, als die neuen Besitzer ein Ex- vors Sparr schrieben, blieb es in ihrer häuslichen Räudigkeit einzigartig. Atmosphärisch verwandte Bars wie Rosie’s, Sorgenbrecher, Lunacy verstanden es zwar ein bisschen besser, Nostalgie und Moderne miteinander zu verbinden, ohne an Wärme zu verlieren. Aber auch das Ex-Sparr machte den Hamburger Berg noch lange zu einer konterrevolutionären Zelle der alten Kiezkultur, die sich auf dem Hamburger Berg allem Gentrifidingsbums zum Trotz verblüffend selbstbewussten Eigensinn bewahrt hat. Bis vor drei Wochen. Da nämlich verließ der letzte Betreiber mit echtem Ortsbezug nach ziemlich exakt 20 Jahren sein sorgsam verlottertes Lokal und zog mitsamt des Namens an den Hans-Albers-Platz, wo die Tischfußballer des FC St. Pauli seither ihr Mannschaftstraining absolvieren.

Die glitzernde Ödnis einer Kreuzfahrtschiffdisko

Und der Ursprung? Heißt nun – herrje! – allen Ernstes „Berg 4“ und verbreitet trotz relativ guter HipHop-Auswahl die glitzernde Ödnis einer Kreuzfahrtschiffdisko am Nachmittag. Beim Blick durch die geputzte Fensterfront sieht man nun selbst abends kaum Besucher, geschweige denn Eingeborene, dafür umso mehr Wodka-Sorten und Leucht-Reklamen. Man kann das nun bitter beklagen – oder doch einfach in den Erinnerungen einer Zeit schwelgen, als das Sparr – ob mit oder ohne „Ex“ davor – noch Maßstäbe gesetzt hat: gesellige, dekorative, alkoholische, soziokulturelle, renitente, sportliche, musikalische, gar feministische. Denn fast nirgends kam die Vergangenheit des alten Rotlichtbezirks seiner Zukunft im Augenblick größtmöglicher Harmonie einst näher als hinter den beige-gelben Kleinkacheln. Immerhin die sind der Kneipe nun geblieben. Sonst relativ wenig.

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