Muggels verboten: Das Elbenwald-Festival

© Jan Freitag

Die Vorstellung von lustvoller Festival-Atmosphäre ist ganz schön verschieden. Für den einen gehört das morgendliche Komabesäufnis zwingend dazu, für die andere müssen Drogen schon illegal sein, um vier Tage am Stück zu wirken, einige berauschen sich sogar mit gutem Sound in bester Gesellschaft allein. Und dann gibt es da noch diesen Kerl im mittelalterlichen Fantasy-Kostüm, der es ein bisschen, nun ja, härter mag. „Jetzt stellt euch bitte mal so hin“, spricht er gelassen ins Headset und schwingt sein eisernes Schwert durch die laue Sommerluft, „dass ihr euren Partner gut auf Hüfthöhe zerteilen könnt“.

Klingt martialisch. Ist es ja auch. Und doch Teil einer Veranstaltung, die friedfertiger kaum sein könnte. Sie heißt Elbenwald-Festival und fand dieses Wochenende zum ersten Mal in Lumühlen bei Lüneburg statt. Wo der Pferdesport sonst Reitturniere von Weltrang austrägt, versammelten sich am Wochenende gut 4000 Gestalten, die selbst schwer bewaffnet wie der entspannte Schwertkampftrainer so harmlos sind wie das Krippenspiel einer Kirchengemeinde. Nur etwas aufwändiger kostümiert. Wobei etwas…

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Vier Tage Fantasiewelt

Das Elbenwald-Festival, der Name deutet es an, richtet sich an Menschen, die gern in fremde, meist märchenhafte Charaktere schlüpfen – und zwar nicht zum Fasching, sondern notorisch. Manche täglich. Und im Herzen eigentlich immer. Auf dem baumbestanden Gelände unweit von Hamburg trifft man daher nicht nur Ritter wie den vermeintlich brutalen vom Beginn samt seiner liebevoll geharnischten Schüler; es gibt auch Elfen, Orks und Padawane, Stormtrooper, Pokémons und Mangawesen, vor allem aber gibt es die Hexen und Zauberer einer sehr speziellen, aber weltbekannten Herkunft: Hogwarts.

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Muggels verboten

Der dünne Festivalplaner mag ab Donnerstag ein Programm von grunzenden Metalbands übers Hamburger Partykollektiv Le Fly bis zur Folklegende Fiddler’s Green ankündigen, die auf drei Bühnen eine Fantasy-Convention voll kostenloser Comic-Kultur, Bastelkurse, Buchlesungen und heillos überteuertem Fastfood begleiten. Im Zentrum, ach was – in jeder Pore dieser kollektiven Leistungsschau des harmlosen Fanatismus stehen die Jünger der Hohepriesterin J. K. Rowling, deren Kinderbuchlegende wie keine Buchreihe zuvor den Planeten erobert und auch sieben Jahre nach der letzten Verfilmung fest im Griff hat.

Oft beiläufig mit Papis Sonntagskrawatte, noch öfter perfekt mit hollywoodtauglichem Makeup verziert, wähnen sich all die leibhaftigen Potters und Hagrids, die Dumbledores oder Snapes endlich unter Gleichgesinnten, besser: Schicksalsgenossen. Ein viertelstündiger Spaziergang bedeutet daher permanenten Kontakt zu ein paar Tausend Volljährigen, die sich benehmen wie ein paar Hundert Kinder vor Ort – aus Sicht des cornernden Clubmate-Hipsters also irgendwie infantil. Aber das ist nicht nur arrogant, es ist vor allem falsch.

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Wer sich Samstagfrüh um sechs für die Anmeldung zum Workshop Zauberstabschnitzen in die Schlange stellt oder fünf Stunden später zum Crashkurs in Verteidigung gegen die dunklen Künste auf offenem Feld versammelt, wer für ein Autogramm vom professionell lächelnden Draco-Darsteller Tom Felton dreiste 30 Euro hinblättert und zum doppelten Preis auch noch stundenlang ansteht, um sich mit Evanna Lynch alias Luna Lovegood vor einer Werbewand des Festivals fotografieren zu lassen, wer sich bei Sonnenschein unter ein Zirkuszelt verzieht, um nach Anleitung Zaubertränke zu mixen oder Fantasiewesen aus Bügelperlen – der ist natürlich ein Nerd, Tendenz Freak. Doch die irre Dekoration verbirgt Menschen mit einer gemeinsamen Passion, in die sie halt mehr investieren als etwas. Ihr ganzes Herz nämlich. Ein bisschen wie Ultras, nur mit Umhang statt Kutte.

Doch die irre Dekoration verbirgt Menschen mit einer gemeinsamen Passion, in die sie halt mehr investieren als etwas. Ihr ganzes Herz nämlich. Ein bisschen wie Ultras, nur mit Umhang statt Kutte.
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Dennoch – warum dieser Aufwand? „Weil ich die Bücher grad zum fünften Mal lese“, sagt die Sozialarbeiterin Mirja aus Barmbek im Kostüm von Harrys Freundin Hermine. „Weil man uns hier lässt“, sagt der Gasinstallateur Jörg aus Potsdam, dem die Slytherin-Uniform überm Bauch spannt. „Weil ich Karneval hasse, aber mich gern verkleide“, sagt die Gymnasiastin Merle aus Grevenbroich und präsentiert ihr selbstgesticktes Gryffindor-Wappen. „Warum nicht?“, fragt ein mittelalterlich geschmückter Mann Anfang 40 zurück, der seine Leidenschaft offenbar unter der kritischen Beobachtung des Mainstreams weiß.

Doch den trifft man in Lumühlen eh kaum. Obwohl Counterfeit, die Band des Nebendarstellers Jamie Campbell Bower, absolut hurricanekompatiblen Hardcore serviert, der einzige Game-of-Thrones-Gast Hodor alias Sam Coleman auch an den Plattentellern nicht redet, aber sehr lässig auflegt, und die Star-Wars-Fanfaren des Pilsen Symphonic Orchestras echt alle mitreißen, würde er sich vermutlich auch fehl am Platze fühlen unter den Randgruppen der Spaßgesellschaft – auch, wenn sie im Alltag oft so normal sind wie der gemeine Wacken-Gast. „Irgendwelche Hufflepuffs hier?“, fragt der Quizmaster mittags im rappelvollen Hauptzelt und erntet ein Kreischen, als strippe Film-Potter Daniel Radcliffe live on stage. Oder noch besser: zerteile Lord Voldemort auf Hüfthöhe mit seinem Schwert.

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