Wir müssen reden über: Zugezogene

© Robert Katzki via Unsplash

„Mittlerweile ist hier ja alles nur noch voller Studenten und Touris“ ertönt es vom Tresenhocker links neben mir. Ich sitze in meiner angestammten Kneipe und unterhalte mich mit einem mir bis vor 15 Minuten noch fremden Tresengast. Die mir vertraute Dame auf der anderen Seite des Tresens folgt mit einem Ohr unserem Dialog.

Der Satz wurde ausgesprochen – die Frage ist nur, wie man ihn einordnet: Natürlich ist Hamburg voller Touristen und Studenten. Die Stadt strotzt nur so vor kultureller Vielfalt und das nicht nur an den zahlreichen Universitäten und Hochschulen. Für eine Stadt, die sich gerne auf die Fahne schreibt das Tor zur Welt zu sein, sollte das auch kein Problem – nein – sogar der eigene Anspruch sein!

Ja, es ist schön hier. Und ja, ich wohn hier nicht nur lieber als in Buxtehude, Quickborn oder Hintertupfingen – ich wohn hier sogar verdammt gerne. Es ist jedoch nicht der Fall, dass ich hier seit meiner Geburt heimisch bin. Ich bin einer von über 55%, die sich irgendwann aus welchen Gründen auch immer auf den Weg in diese Stadt begeben haben. Einer von 962.729 Menschen, die dir die Arbeitsplätze wegnehmen, die Hamburger Leitkultur kaputt machen und die dafür sorgen, dass sich deine Stadt nicht mehr nach deiner Stadt anfühlt. Einer von denen, die für alles verantwortlich gemacht werden, was dich an deiner Stadt nervt. Zumindest habe ich ab und an den Eindruck. Wir müssen reden.

Eine Frage der Perspektive

Ich widerspreche meinem Prost-Partner nicht. Ich gestehe ihm lediglich nicht zu, dass dies ein Problem sei. Seine Stadt wird durch Impulse von außerhalb – egal ob Sauerland oder Sibirien, Saarland oder Sansibar, Sachsen oder Syrien lediglich in andere, spannende kulturelle Richtungen gelenkt: Per se macht erstmal keiner irgendwas an der Stadt kaputt. Bomben machen Städte kaputt, nicht Studenten. Alles was passiert, ist folgendes:

Seit ein paar Jahrzehnten wird dein Stadtteil von Studenten geflutet. Zugezogene zukünftige Akademiker, die dafür sorgen, dass es neue Kneipen, ja sogar einen Bioladen in deinem Viertel gibt. Dein Matjes-Brötchen ist in den letzten Jahren zwar 0,50€ teurer geworden – das stimmt. Dafür ist hier wieder das blühende Leben im Viertel. Werden die Mieten höher? Ganz bestimmt. Liegt das an den Zugezogenen oder an den Miet-Haien und Spekulanten? Die Frage sollte leicht zu beantworten sein. Gentrifizierung lautet das Zauberwort.

Hoheitstitel: Hamburger

Ich ergänze, dass ich weder in Hamburg geboren, ja noch nicht einmal Norddeutscher bin. Ein ungläubiger Blick trifft mich wie der Möwenschiss den Touristen: Der Mann neben mir am Tresen präsentiert mir seine in Runzeln geworfene Stirn und kommentiert: „Das hätte ich nicht gedacht. Ich meine du sprichst ja gar kein Dialekt – hörst dich an wie ein Hamburger“.

Es scheint ein Prädikat, Hamburger zu sein. Ist es die Sprache die man spricht oder die Geburtsurkunde? Ist es das Wissen um die Stadt oder die Fähigkeit sich zu Assimilieren? Nein. Es ist die eigene Identität. Eine Wechselwirkung zwischen dem Neu-Hamburger und "Hamburg". Sozialisation ist das nächste Zauberwort. Weshalb ich den glühenden Stab der Zugezogenen in die Höhe halte? Dafür, dass dein zugezogener Trinkpartner links neben dir am Tresen vielleicht dein bester Freund wird. Michel, dritte Generation Hanseat, rechts neben dir am Tresen, hat womöglich gerade die Mietpreis-Schraube seiner vier Apartments in der Schanze wieder erhöht.

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