Warum Hamburg nicht die schönste Stadt der Welt sein muss

© Radouane Benhammou via Unsplash, CC0

Hamburg, so hört man gern standortbesoffen, sei die schönste Stadt des Universums. Dabei wird sie weltweit überwiegend mit einem Fleischburger verwechselt. Ein Plädoyer für mehr Bescheidenheit – außer, es geht um Subkultur von Weltrang.

Eigenlob, lautet ein Sprichwort, stinkt.

Falls das stimmt, wären die Macher von hamburg.de auch ohne Blickkontakt gut zu finden. Einfach der Nase nach die Rothenbaumchaussee runter, schon steht man vor Nummer 80b. Ähnliches gilt für Radio Hamburg: Augen zu, Nüstern auf, so landen geruchsempfindliche Menschen zielsicher dort, wo täglich tausendfach Verbalgülle der Art von „schönste Stadt der Welt“ aus dem Studio im Semperhaus gekippt wird.

Davon abgesehen, dass der Schönheitsbegriff zu vage ist, um 755 Quadratkilometer im Ganzen zu beurteilen. Davon abgesehen auch, dass sich locker zwei von drei Großstädten als Beauty Queen schlechthin betrachten, also ganz davon abgesehen, dass Attraktivität zu sehr im Auge des Betrachters liegt, um Wertungen vorzunehmen, müssen wir an dieser Stelle feststellen: Hamburg ist von abwechslungsreich bis wirtschaftstark vieles. Eines aber ist sie mit Sicherheit nicht: Die. Schönste. Stadt. Der. Welt.

Hamburg – die unbekannteste Weltstadt

Weil sie das Wort mit einem Burger in Verbindung bringen, lässt es vielleicht Fleischfressern rund um den Globus das Wasser im Mund zusammenlaufen. Aber als Ort? Um das zu glauben, habe ich Argentiniern, Australiern, Chinesen, Texanern, gar Russen oder Slowenen auf Reisen ein wenig zu oft erklären müssen, dass man von Hamburgern nicht nur satt wird, sondern gelegentlich gefragt, ob sie Hamburg kennen, also die Stadt. Das Resultat:

Hämburg? In Germany, you know? Uhhm… Big city, St. Pauli, Reeperbahn, red light district, huge harbor, The Beatles? Sorry. But I know Berlin (Nürnberg! (Köln! (Heidelberg!!!))), is Hamburg in Munich? Bartender – more Schnaps, please!

Weil Hamburg für gut sieben Milliarden Erdbewohner Terra incognita ist, sollte es also keine internationalen Superlative für sich reklamieren. Zumal die Stadt aber auch dann ein weißer Fleck auf der Landkarte bleibt, wenn berufliche Lokalpatrioten à la Mopo mal Euphoriefutter kriegen. Eine Studie des Economist etwa setzte Hamburg 2016 auf Platz 10 der „most liveable cities“. Klingt toll. Falls man „lebenswert“ auf Stabilität, Infrastruktur, Gesundheitswesen, Umwelt, Bildung reduziert. Fairness und Kultur, Freizügigkeit, gar Vielfalt? Kommt auf der Rangliste ebenso wenig vor wie im Wesenskern hanseatischer Verwaltungstätigkeit.

© Robert Katzki via Unsplash CC0

Die Freie- und Abrissstadt planiert ja seit jeher alles, was Immobilienbranche und PS-Lobby im Wege steht. Zwei historisch bedeutsame Ensembles am Gänsemarkt werden dem Dreiklang aus Wachstum, Rendite, PR künftig ebenso geopfert wie die nachhaltige Gestaltung des Straßenverkehrs. Zugleich konzentriert sich das Stadtmarketing auf einen Tourismus, der selbst mit der Elbphilharmonie im Portfolio auf Masse statt Klasse setzt. Bustouristen, Kreuzfahrer, Jungesell(inn)enabschiede – das sind die Zielgruppen der Marke Hamburg.

Abseits des Tourismus ein subkultureller Schatz

Dafür reicht ein Blick in den örtlichen Wikipedia-Eintrag: Während die Passagen "Oper" und "Musicals", also Hoch- und Tiefkultur, den Bildschirm voll ausfüllen, bleibt für die Subkultur der Nebensatz, es gebe „über 100 Musikclubs“. Welche Vergeudung. Während sich Hamburg an seiner substanzlosen Druckbetankung berauscht, liegt hier das einzig globale Potenzial dieser im Verborgenen wirklich sympathischen Stadt.

Wie groß es ist, erfährt man weder im Buchungsverzeichnis von Flixbus noch auf der Kölner Domplatte, geschweige denn beim Londoner Economist, sondern dort, wo Kultur mit Eigensinn blüht – in Szenevierteln von Madrid bis Kyoto, bei Musiklabels von Athen bis Chicago, unter Künstlern von Reykjavik bis Kapstadt. Wer je beim South by Southwest in Austin war, wird merken, dass man Hamburg in der kreativen Nische nicht mit Fleischbrötchen verwechselt. Und dafür muss man keinesfalls das Märchen von den Beatles bemühen, deren Karriere angeblich im Starclub begann.

© Molotow | Facebook
© Molotow | Facebook
Im kleinen Pudel drücken sich die größten Stars der Szene Monat für Monat die Kopfhörer in die Hand // © Alex Solman

Die Bretter, die wirklich die Welt bedeuten

Das haben sie höchstens ein bisschen. Im Gegensatz zu den unzähligen Bands, denen besonders (aber nicht nur) St. Pauli bis heute eine unvergleichlich aufrichtige Offenheit bietet. Auf dem Nährboden hat sich das Reeperbahnfestival auf engstem Raum zum Fixpunkt alternativer Popentwürfe gemacht, auf dem Nährboden setzen Mojo, Pudel, Ü&G ihren Standort auch global auf die Karte. Dass dies für den Rest der Stadt alles andere als erstrebenswert ist, lehren uns heillos überfüllte Hotspots wie Barcelona, Venedig, Prag.

Wir sollten daher demütig dankbar sein, dass uns deren Schicksal erspart bleibt. Eigentlich lebt es sich im unbekannten, unbedeutenden, unscheinbaren Hamburg ja doch ganz gut. Trotz allen Größenwahns.

Zurück zur Startseite