Glaube, Liebe, Hamburg: Vermissen heißt lieben

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Es ist dieser Moment, in dem mich die Menschenmasse in sich aufnimmt. Mich weiter- oder vor sich herschiebt, mich nicht beachtet. Das Gefühl unterzugehen zwischen den ganzen Individuen, die einen Strom bilden. Es sind die Telefonate, die sie zu laut führen und die niemanden interessieren. Die Dinge, die sie sagen und die sie tragen. Was sie fühlen und denken und wie sie dabei aussehen. Wo sie herkommen und wo sie hingehen, wen sie heute treffen und ob sie Lust darauf haben. Was für Geschichten sie erleben und welcher Teil daraus hier gerade stattfindet. Es ist nicht wichtig. Es gibt keine Regeln. Wir sind eine Gemeinschaft und jeder ist für sich. Das bleibt alles hier. Das ist Anonymität. Das ist Freiheit.

Hier darf ich sein was ich will

Nach Hause kommen bedeutet für mich unwichtig zu sein. Nein, das ist nicht paradox. Unwichtig sein, heißt frei sein. Meine Relevanz in dieser Stadt ist so klein, dass ich sein darf was ich will. Ohne mich zu rechtfertigen. Ich habe alles was ich brauche und entscheide selbst, wie ich die Stücke zusammensetze. Niemand lebt es mir vor. Niemand will eine Erklärung. Niemand interessiert sich dafür. Ich will dich nicht überreden die Welt – nein, diese Stadt, meine Stadt, so zu sehen wie ich. Man soll Hamburg so aus freien Stücken lieben, wie man auch mich nur dann lieben soll, wenn es einen einfach überkommt. Keine Argumente. Keine Diskussion. Keine Arbeit. Aber ich weiß, dass du versuchst mich zu verstehen. Und ich versuche es dir zu erklären. Warum diese viel zu kleine Stadt mich so bedrückt. Was mich anzieht und warum ich mich hier so falsch fühle.

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Es hätte passieren können, dass ich hier hinpasse

„Warte auf den Sommer“ hast du gesagt. Ich wette du hast recht. Der Sommer wird wunderbar. Die Sonne wird meinen Blick auf die hässlichen Fassaden blenden und ich werde nur noch dich sehen. Und mich. Und die anderen, die mein Leben hier doch so lebenswert machen. Wir werden an den Strand fahren, zusammen die Prüfungsphase hassen, Möwen kreischen hören und ich werde die Augen zumachen und froh sein, dass ich hier bin. Dass ich dich habe.

Das wird kein Gefühl von Heimat sein. Aber das ist okay. Ich will meine Heimat nicht ersetzen. Ich will meine Freunde nicht ersetzen. Ich möchte neues aufnehmen! Orten, Menschen, Gefühlen eine Chance geben. Es hätte alles für mich verändern können. Ich hätte rausfinden können, dass ich hier viel besser hinpasse und mich all die Jahre getäuscht habe. Es hätte die Erfahrung meines Lebens werden können und ich hätte mich gefragt was gewesen wäre, wenn ich sie nie gemacht hätte.

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Ich will ein Teil von Millionen sein

Es ist nicht die Erfahrung meines Lebens. Es ist mir zu eng. Versteh mich nicht falsch, es ist gut, dass das hier passiert. Jetzt weiß ich wo ich hingehöre. Mit etwas Distanz sieht man klarer. Ich sehe mich klarer. Ich weiß jetzt, es sind die Möglichkeiten, die mich anziehen. Die Verfügbarkeiten, kaum Einschränkungen. Ich liebe die Vielfalt, das Leben, die Unruhe. Ich liebe die Hipster und ich liebe die Snobs. Kaputte Vans und Ugg-Boots. Und ich liebe es, dass ich mich heute zu den einen und morgen zu den anderen zählen kann. Dass es eben niemanden interessiert.

Hier fahren sonntags keine Busse. Einmal die Stunde. Ab 12. Also keine Busse. Ich könnte laufen oder Rad fahren oder du holst mich ab. Aber ich kann es irgendwie nicht frei entscheiden. Ich laufe vier Kilometer geradeaus und entgegen kommen mir zwei Menschen. Die haben es bestimmt geliebt kaum jemanden zu treffen. Ich nicht. Mir ist langweilig. Für mich ist das beklemmend. Ich weiß, ich nehme mich viel zu wichtig. Diese beiden Menschen haben sich genau so wenig für mich interessiert, wie es die Massen zuhause tun. Es ist mein Gefühl. Dass ich am liebsten mit dem Kopf in den Wolken ohne Ziel losrennen will aber nach 200 Metern nicht mehr weiterkäme. Es ist das Bedürfnis ein 1,5Millionstel zu sein, kein 250tausendstel. Kannst du das verstehen?

© Lukas Held

So fühlt sich Heimweh an

Ich will dich mitnehmen. Dir zeigen wo ich war. Was mich lieben lässt. Ich will dir nicht nur zeigen wie es sich anfühlt aus der U3 die Landungsbrücken zu sehen, wie es ist in der Katze zu viele Caipis zu trinken und plötzlich mit Menschen vom Nachbartisch zu quatschen und wie Currywurst vom Mö-Grill schmeckt. Ich will dir die Gerüche zeigen, die Geräusche, das Gedrängel. Ich will dir zeigen wo und wie ich am liebsten untergehe. Wo ich beobachte, wo ich fühle und wo mir alles egal ist. Wo ich gewohnt habe, auch wenn ich es da hasse. Ich will versuchen, dass du es erkennst.

„Ich geb mir so viel Mühe“ hast du gesagt. Das tust du. Wenn hier etwas gut ist, dann das. Dann du. Der Sommer wird gut. Die Sonne wird mich blenden und das Heimweh wird erträglich. Aber es wird nicht gehen. Und ich werde mich daran klammern, wie an dich. Das Heimweh gehört jetzt zu mir. Heimweh heißt vermissen. Und Vermissen heißt doch lieben, oder?

Dieser Text wurde von Lina Eickholt geschrieben.

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