Ruf mal wieder Oma und Opa an

Für Oma und Opa war der damalige Fernsprechapparat kein Zeitvertreib, sondern ein Instrument der Dringlichkeit. Wenn das Ding im Flur schellte, schreckte man auf, weil es ja wahrscheinlich wirklich etwas Wichtiges war.

Enkel sind etwas Wichtiges. Daher macht Oma heute gerne eine Pause von ihrem Avon-Rumberatere oder verpasst eben 15 Minuten von „Sturm der Liebe“ im Ersten und Opa unterbricht sogar seinen Mittagsschlaf, wenn der rote Knopf blinkt, das Telefon in einer Affenlautstärke klingelt und die Vorwahl 040 auf dem Display steht. Dann erzähle ich, was in Hamburg so passiert, versuche Oma wiederholt zu erklären, wie man eine SMS verschickt oder DJ richtig ausspricht und rede mit Opa über unsere Urlaube auf Rügen oder meinen Vortrag über Globalisierung aus der 10. Klasse, bei dem er mir geholfen hatte und dachte (hoffte), ich würde die nächste Marietta Slomka werden.

Ich habe das Glück ein besonders gutes Verhältnis zu meinen Großeltern zu haben. Mit Oma habe ich laufen gelernt, war beim Ohrlöcher stechen und das erste mal beim Friseur. Opa hat meine Schwester und mich schon früh durch Supermarkt-Simulationen und Monopoly-Matches auf das Leben vorbereitet.

Über schöne Schuhe und die richtige Prise Humor

Ich versuche einmal die Woche anzurufen. Mal telefonieren wir nur fünf Minuten und mal 1,5 Stunden. Egal wie lange das Telefonat auch ist, ich nehme immer viel mit aus den Gesprächen. Auch dann, wenn es „nur“ ist, dass der Preis für eine Tageskarte in Omas Stammsauna um zwei Euro gestiegen ist oder Opa statt einer ganzen nur eine halbe Pille genommen hat, weil er den „Ärzten mal zeigen will, dass ihre Diagnosen immer Mist sind“ und die alle nur sein Geld wollen.

Wenn wir in Gesprächen die 10-Minuten-Marke knacken werden die Themen intimer. Klar, Oma und Opa haben viel mehr Lebenserfahrungen als ich - da gibt es den Enkelkindern viel mit auf den Weg zu geben. Egal wie groß das Problem von dem ich erzähle auch scheint, „mit schönen Schuhen an den Füßen“ oder „der richtigen Prise Humor“ meinen Oma und Opa, ist das alles nicht so schlimm. Verdammt, ja!

Liebe und Wahnsinn

Ich wollte es nie glauben, aber auch Oma und Opa werden älter. In unseren letzten Telefonaten ging es daher viel darum, dass Opa nicht mehr länger als eine halbe Stunde spazieren kann, sich gegen einen Rollstuhl sträubt, keine Blindenbandage tragen will, obwohl er mittlerweile blind ist und Oma immer noch in der Küche helfen will, obwohl er ihr damit eher keinen Gefallen tut. Opa macht Oma wahnsinnig.

Oma will immer noch alle zwei Wochen die Gardinen waschen, stopft Opa Essen in den Mund, das er gar nicht essen mag „aber mal probieren soll“ und regt sich immer wieder über die selben Dinge auf. Oma macht Opa wahnsinnig.

Deswegen schlafen sie jede Nacht Händchen haltend ein und erzählen mir, dass sie sehr froh sind sich noch zu haben und dass Liebe ohne Wahnsinn nicht funktioniert.

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