Spießer, die keine sind: Ein Hoch auf die Schrebergärten

Als Halbfranzösin beäuge ich die Schrebergartenkultur seit jeher mit belustigtem Argwohn. Selbst die restlichen 50% Schwäbin in mir können sich ein fettes Grinsen nicht verkneifen, wenn ich durch die Eimsbüttler Kolonien „Up de Högen“ oder „Zum Alten Lande“ schlendere. Als ich erstmals auf einer gestriegelt-zurechtgestutzten Wiese meine Bekannte Fritzi erspähe, stutze ich.

Fritzi passt überhaupt nicht in das Gartenzwerg- und Harken-Bild, das ich so süffisant belächle. Weltoffene Akademikerin, Mutter zweier Kinder. Es fällt leicht, sich über Spießbürgerlichkeit lächerlich zu machen. Doch an diesem Tag bröckelt die Fassade und ich erahne Veränderung. In der Kleingartenkultur hat sich einiges getan. Le Gartenzwerg est mort, vive le Gartenzwerg! Wieso die moderne Schrebergärtnerei Balsam für unsere Städte ist.

Wo ist der Busch im Eimsbusch?

Eimsbüttel ist mit 18.000 Einwohnern pro Quadratkilometer der am zweitdichtesten besiedelte Stadtteil Hamburgs. Er gilt aufgrund seiner zahlreichen Grünflächen und der größtenteils baumbestandenen Straßen als vergleichsweise grün. Aber immer häufiger zieht es mich in meiner Freizeit raus in die Gartenkolonien, nahe der Bahngleise bei Hagenbecks Tierpark oder am Stellinger Wasserturm. Klar, an Baumalleen mangelt es meinem Bezirk nicht. Auch an Grünanlagen nicht. Doch klein sind sie.

Wie im Hamsterrad laufen die Jogger wochenends Runde um Runde im winzigen Park Am Weiher umher. Scheint die Sonne, reißen sich die Eimsbüttler die Kleider vom nordisch-blassen Leib und tummeln sich im Unna-Park. Ansonsten stehen selbstverständlich Biergärten, Cafés am Straßenrand oder Balkonien zur Verfügung. Doch das etwas ausladendere Grün, die Überfülle an Blumen, die XXL Masse an Sträuchern, wo sind sie? Wo ist bloß der Busch im Eimsbusch?

Aufatmen kann ich oftmals erst abseits der hohen Gebäudeschluchten und sechsstöckigen Altbaufassaden, fern von Osterstraße und Eimsbütteler Chaussee. In den grünen Oasen der Schrebergärten. Seltsam. Dort, wo ich immer beengtes Denken und Spießbürgertum vermutete, wird mein Kopf plötzlich frei. Wo ich als Kind fälschlicherweise die Streber in ihrem Strebergarten suchte, tummelt sich heutzutage ein Mix aus verwurzelten Alt-Schrebern und hippen Jung-Gärtnern.

Rosenflüsterer trifft Yogi

Die Autorinnen Caroline Lahusen und Sylvia Doria beschreiben in ihrem Buch „Lust auf Laube“ (April 2017) die Protagonisten, die sich hinter Gartenzaun und Haselnusshecke verstecken. Da trifft der Schöngeist auf den Rosenflüsterer, die Paradiesvögel auf den Perfektionisten, die Anthroposophenfamilie auf die Freiheitsliebenden, die Grünschmecker auf den Yogi. Das Spießerimage, das an Schrebergärtnern immer noch haftet wie alter Sekundenkleber, wird dem modernen Laubenpieper längst nicht mehr gerecht. Freilich, ein paar rigide Vereinsmeier, kuriose Gartenzwergsammler und extreme Fahnenhisser begegne ich auf meinen Spaziergängen durch die Kleingartenidylle allemal.

Seit Jahren findet jedoch ein tiefgreifender Generationenwechsel statt, in den rund eine Million Schrebergärten in Berlin, Hamburg und zahlreichen anderen deutschen Städten. Nahezu jede zweite Parzelle wird inzwischen an Familien mit kleinen Kindern übergeben. Auch die soziale Zusammensetzung des ehemals rein kleinbürgerlichen Milieus hat sich geändert. Zwischen Rhododendrensträuchern und Zucchinibeet harken nicht mehr vorwiegend Arbeiter und Handwerker, sondern oft auch Akademiker.

Aus dem ehemaligen Spießerparadies ist ein Ort geworden, wo sich alte und junge Menschen mit völlig unterschiedlicher Herkunft begegnen. Die Lust am Buddeln hat im 21. Jahrhundert gleichermaßen Lehrer, Bahnschaffner, Krankenpfleger oder Studenten gepackt. Schrebergärtnern ist Trend. Wer sich heutzutage in der deutschen Großstadt um die Kleingartenparzelle bewirbt, muss sich in Geduld üben. In Hamburg stehen zurzeit circa 4.000 Interessenten auf den Wartelisten der rund 320 Gartenvereine der Hansestadt.

Hier, in der deutschesten aller Umgebungen, schlagen also die Neuankömmlinge aus fernen Ländern Wurzeln.

Die Ergebnisse einer Kleingärtnerstudie in Münster zeigte bereits 2008: Die Nachfrage von Migranten nach Schrebergärten ist seit Jahren steigend. Daran hat sich auch 2017 nichts geändert. In vielen Vereinen hat die Zahl der Mitglieder mit Migrationshintergrund erheblich zugenommen. Ein wenig ironisch ist das Ganze schon: Hier, in der deutschesten aller Umgebungen, schlagen also die Neuankömmlinge aus fernen Ländern Wurzeln.

Typisch deutsch, das ist der Schrebergarten ja wohl wirklich. Mit knapp einer Million Kleingärten und einer Fläche von insgesamt 46.000 Hektar (was in etwa der doppelten Größe der Stadt Düsseldorf entspricht) belegt die Bundesrepublik die Poleposition der Schrebergärtennationen in Europa. Beispiele, wie Integration trotz strengen Kleingartengesetzes schon am Gartenzaun beginnen kann, gibt es viele. Ob man sich mit dem Nachbarn über das Anpflanzen von Jona Gold und Verarbeiten von Elstar Äpfeln austauscht oder sich gegenseitig Holzspalter und Rasenmäher ausleiht. Ob beim Gartenfest von Seiten des Vereins oder beim spontanen Grillabend - der Integration sind keine Hecken gesetzt.

Vom Streben nach dem Schrebern

Während ich durch die Irrwege der Kolonie zurück in meine kleine städtische Wohnung zurücktrotte, betrachte ich die Gärten mit neuen Augen. Diese Kleinode sind Kulturgüter, die gepflegt werden müssen. Bewerber pachten mit ihrem Grundstück nicht nur das reine Privatvergnügen, sondern vielmehr auch noch eine gesellschaftliche Aufgabe. Irgendwie auch verständlich, dass Integration hier gut funktionieren soll. Denn Kleingärten sind wie Inseln. Oasen der Ruhe, in denen wir uns erden und der Natur öffnen können. Refugien, die den Moloch Stadt zu einem lebenswerten Ort machen.

Sei es der Garten Eden, der Hesperidengarten oder die Hängenden Gärten der Semiramis - die Vorstellung des Gartens als Insel des Friedens und der Sorglosigkeit trägt seit 4.000 Jahren zum Wohlbefinden der Menschen bei. Heute rufen Gärten dasselbe Streben wie eh und je hervor, dasselbe unbewusste Verlangen, zu ihnen zurückzukehren und sich dort auf sich selbst zu besinnen.

Wieso Rosenkriege und Zwergenaufstände nicht lächerlich sind

Auf nur wenigen Parzellen könnten zahlreiche Wohnungen entstehen, erklären Stadtplaner gern und oft. Weil sie sich trotzig dagegenstellen, dass ihre Gärten städtischem Wohnungsbau weichen sollen, seien die Kleingärtner Egoisten, heißt es. Hamburgs „Schreberrebellen“ zum Beispiel schlagen momentan kräftig Alarm. Gartenzwergenaufstand im Laubenpieperland. Die Hansestadt wolle ihr Boden zum 30. November verkaufen. Es würden lediglich lange bestehende Abmachungen mit dem „Landesbund der Gartenfreunde in Hamburg“ (LGH) umgesetzt, sagt Umweltbehördensprecher Björn Marzahn.

Heißt: Die Parzellen werden besonders im innerstädtischen Bereich „nachverdichtet“, sprich verkleinert. Es geht um 160.291 Quadratmeter Grün. Ein Vergleich: Die Binnenalster umfasst eine Fläche von 180.00 Quadratmeter. Was bringt es, wenn die Parzellen in der Innenstadtnähe abgeschafft werden – also gerade da, wo die Verdichtung bereits am stärksten vorangeschritten ist?

Wenn wir nur noch nach Wohnraum um jeden Preis streben, dann könnten wir doch auch gleich die Alster zuschütten. Yeah, Platz für Hunderttausende Wohnungen und vier U-Bahn-Linien! Klar, die Alster würden wir niemals hergeben. Aber auch bei den Kleingärten sollten wir zweimal hinschauen. Denn ein modernes Stadtzentrum braucht sie, diese letzte Bastion der Natur und diese Spießer, die vielleicht gar keine sind.

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