Ein Liebesbrief an Barmbek-Nord
"Was? Du wohnst in Barmbek?" werde ich ungläubig gefragt. Manch einem mag es so vorkommen, als lebe ich hinterm Mond; als wäre ich ein Hinterwäldler aus einem Dschungel, jenseits jedweder Zivilisation. Man fragt sich, wie lange ich denn mit meiner Pferdekutsche bis in die Stadt unterwegs bin. Doch Hamburg existiert auch östlich der Alster und auch da gibt es kulturellen Anspruch, unverwechselbare Charaktere und Storys, die nur der Stadtteil schreibt. Und dieser Stadtteil, ist mir irgendwie gewachsen. Warum Barmbek-Nord nicht besser als andere Stadtteile, sondern schlichtweg auch geil ist, in einer brüderlichen Ovation an dieses fast vergessene Viertel.
Das Viertel und du – du und das Viertel
Was macht ein Viertel lebenswert? Sind es Cafés, Museen und Märkte? Ist es die Bäckerfrau oder der mittlerweile vertraute Kioskbesitzer? Ist es die Frau hinterm Tresen, die unser kleines Geheimnis hütet, dass ich ganz gerne mal einen Cosmopolitan trinke? Mit einem "Hier, dein Pils." lässt sie es sich nicht nehmen, meine Bestellung zu kommentieren.
Nüchtern betrachtet lässt sich vielleicht gar nicht vollständig aufarbeiten, weshalb man sein Viertel denn überhaupt so mag. Es sind die Momente, in denen man die Fuhlsbüttler Straße entlangläuft und sich irgendwie aufgehoben fühlt. Momente, die St. Paulianer bei Sonnenschein vielleicht in der Wohlwillstraße haben oder Winterhuder in der Jarrestraße. Ein Versuch genau das zu veranschaulichen, ist es dennoch allemal wert.
Pökel und Pöbel
Frau Nordmann arbeitet in einem Supermarkt in der Fuhle und ist nur ein Grund, warum man den Laden mit einem Lächeln auf den Lippen verlässt. Während man noch überlegt, welchen Käse oder welche Wurst man an der Theke gerne hätte, wird man bereits in der authentischsten Weise zurechtgestutzt. Zunächst ist man noch verunsichert, warum man denn jetzt von der Dame hinter der Theke angepöbelt wird. Überlege ich zu lange? Findet sie meine Wahl des Aufschnittes einfach bescheuert? Hat sie einen schlechten Tag? Ein abschließendes Zwinkern von Frau Nordmann ist das einzige Signal, dass einem zeigt, dass man von ihr auf dem Arm genommen wird. Käse wird zu Lasagne, Wurst zu Pizza und Verunsicherung zu Sympathie. Auch Frau Nordmann ist Barmbek.
Sixpack und Seelenfrieden
Fast versteckt und doch mittendrin liegt der Osterbekkanal – sein Lauf geht über Winterhude bis zur Außenalster. Am Barmbeker Teil des Kanals finden nicht nur Angler- und Kanufreunde einen Hafen, sondern auch Feierabendbier-Trinker und Freunde der Sonne. Ein Holzsteg bietet dir, deinem Freund, einem Sixpack-Bier und all deinen Gedanken und Träumen genug Platz - ganz ohne nervige Junggesellenabschiede oder Menschen in Polohemd und Ralph-Lauren-Cap. Ein Stück Hamburg, dass Ruhe verspricht – und hält.
Hinter dir baut sich TRUDE auf. TRUDE ist 14,20 Meter breit, äußerst imposant und hat den neuen Elbtunnel mitgebohrt. TRUDE ist kein riesiger Maulwurf, sondern ein alter Tunnelbohrer, der direkt am Kanal im südlichen Teil von Barmbek-Nord thront. Als (ehemaliges) Arbeiterviertel ist Barmbek der vielleicht repräsentativste Stadtteil, um ihr eine Heimat zu bieten. Was Barmbek heute ist, erlebt jeder Barmbeker anders. Wie Barmbek in 5 oder in 10 Jahren sein wird, bleibt gespannt abzuwarten. Was Barmbek jedoch früher war, zeigt ein 380 Tonnen schwerer Koloss, direkt am Kanal – vielleicht der Arc de Triomphe Barmbeks.
Barmbek kann nichts und doch alles
Der Versuch zu bestimmen, was typisch Barmbek ist und was nicht, könnte anmaßend rüberkommen – wer darf das bestimmen? Ich kann lediglich vermitteln, was für mich Barmbek ist und was nicht. Ich für meinen Teil brauche nicht das Restaurant zur goldenen Möwe, in dem es zwar billige Burger gibt, dafür dem Stadtteil jedoch nichts wertvolles bringt. In einer viel tieferen Schublade befindet sich der Naziladen an der Fuhlsbüttler Straße, welcher keine weitere Erläuterung verdient.
Eine Liste mit Orten und Menschen, die das Viertel auszeichnen, könnte ewig weitergehen. Vom Fußball gucken bei Barmbek-Uhlenhorst, bis hin zum letzten Bier der Nacht in der Drossel oder die vielen sympathischen Gemüseläden zwischen Hartzloh und Bahnhof. Vom Langenfort Park, der manchmal einfach mehr Ruhe bietet, als der Stadtpark, bis hin zur betrunken Laufkundschaft, die sich nachts über nichts mehr freuen könnten, als über den noch offenen Dönerladen am Bahnhof.
Der ein oder andere wird hier vielleicht irgendetwas vermissen, was man im eigenen Viertel so finden kann, ob es nun Barmbek ist oder ein anderes Stück Hamburg. Ein Jeder darf und soll sich auf dem Fleckchen Erde wohlfühlen, zu dem er sich hingezogen fühlt. Vielleicht muss man sich einfach häufiger vor Augen führen, warum man sein Umfeld samt Mensch und Kultur so schätzt. Es können die banalsten Momente sein, die es hier mehr als nur erträglich machen. Weit weg vom Dasein des Hinterwäldlers lebt es sich hier; keine Pferdekutsche, sondern Bus-, U- und S-Bahn, die man nutzen kann, um Barmbek auch mal zu verlassen. Aber nur, wenn es sein muss.