Heimweg auf St. Pauli: You'll always walk alone

Es ist einer dieser Abende, an dem doch noch ein Bier und noch ein Schnaps geht. An dem die Laune nur steigt. Es ist Mittwoch und wir sind voll. „So war das nicht geplant“, denke ich und stürze den gefühlten 35. Kümmel hinunter. Wir sind in irgendeiner Kaschemme auf dem Kiez gelandet, einer der Läden, die immer geöffnet haben. Die sich dem Partyvolk vom Wochenende entziehen. Aus deren Jukebox Foreigner hinplätschert und kein Deep-House-Techno.

Hier sitzen alte Männer schweigsam beisammen, das Herrengedeck vor ihnen. Und dazwischen wir, aufgekratzt und laut. Schräge Blicke vom Barkeeper, der in aller Ruhe seine Gläser poliert. Nagut, wir stolpern weiter. Die Große Freiheit hinauf. „Karaoke!“, brüllt einer und zeigt auf die Thai Oase. Klar, warum nicht. Heute geht alles, nur niemand nach Hause, eigentlich.

Noch mehr Bier, viel zu schräg gesungenes „Don’t stop Believing“ und den Text vergessen von „What a Girl wants“. Außer uns nur gescheiterte Profisänger, die hier auf kleiner Bühne ihre verschmähte Starexistenz ausleben. Dazwischen wirken wir wie ein besoffener Fremdkörper. Die anderen nüchtern, grimmige Blicke. Nagut, wir stolpern raus. Weiter? „Ich weiß nicht“, sagt ein Vernünftiger. „Müssen ja morgen arbeiten.“ Der Erste hält ein Taxi an, die Euphorie ist auf einmal verpufft. „Ich hab’s ja nicht weit, ich lauf zu Fuß“, rufe ich zum Abschied zu und mache mich auf den Weg.

Einen Fuß vor den anderen durch die Dunkelheit

Wie im Tunnel laufe ich den bekannten Weg. Es ist still und dunkel in den Seitenstraßen vom Kiez, niemand begegnet mir. Ein Fuß vor den anderen, kurz mal stolpern. Hups, das war echt einer zu viel. Die Laterne an der Ecke funktioniert nicht, ich suche tastend den Weg. Die Gedanken in meinem Wattekopf drehen sich vor allem darum, ob wohl noch was Brauchbares zu Essen im Kühlschrank liegt. Pizza wär klasse, oh, oder Döner! Aber der Dönerladen hat zu. Klar, es ist Mittwoch. So gegen halb vier. Irgendein Tier huscht durch den Schatten unter ein Auto. Ein Marder vielleicht? Oder eine Ratte.

Nur noch über die Straße und ins Bett, der Hunger ist vergessen. Schlüssel umdrehen, Tür zufallen lassen, in die kühlen Laken legen. Schlaf.

Der Kopf pocht, die Zunge trocken. Der Wecker klingelt. Hab ich wohl noch gestellt gestern. Aufstehen also, den Tag irgendwie doch starten, aber erstmal duschen. „Hey, na wie war’s gestern? Wie bist du eigentlich nachhause gekommen?“ Ja, wie eigentlich. Achja, zu Fuß.

Irgendwo zwischen Leichtsinn und Gewohnheit

Zu Fuß, alleine. Als Frau, Mittwochnachts auf St. Pauli. Alleine durch die dunklen Gassen, zehn Minuten Fußweg durch die Hinterstraßen vom Kiez. Man kennt das, man macht es ständig. „Das war ganz schön leichtsinnig“, sage ich mir selbst. Auf dem Weg zur Arbeit rattern meine Gedanken. Was alles hätte passieren können. Gerade in dieser dunklen Ecke, die letzten 500 Meter, wo die Beleuchtung echt beschissen ist. Wieso hab ich das gemacht? Das nächste Mal nehme ich ein Taxi, garantiert.

Und weiß, dass es doch nicht so sein wird. Die dunklen Straßen sind mein Zuhause, ich will und darf keine Angst haben. Wenn ich mich Nachts nicht umdrehe, keine Schritte hinter mir höre, wieso muss ich mir dann am nächsten Morgen Vorwürfe machen? Trotzdem fühle ich mich bei dem Gedanken an die letzte Nacht unwohl – vielleicht sollte ich das Pfefferspray, das ganz unten im Schrank liegt, wieder einpacken? Aber immer mit mir herumtragen? Auch an spontanen Abenden? Unmöglich.

Ich verdränge die düsteren Gedanken, genieße die Sonne auf meinem Gesicht und den Trubel in den kleinen Gassen. Warum sollte ich diese schönen Straßen am Tag von den dunklen Straßen der Nacht verdrängen lassen? Es sind dieselben. Das sage ich mir immer wieder.

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