Heimaturlaub: Schottische Highlands in Höltigbaum
In 30 Minuten vom Hauptbahnhof nach Schottland. Mit nichts als dem HVV-Ticket und einem zu 40% geladenen Smartphone bewaffnet, fahre ich mit der Regionalbahn nach Rahlstedt und tuckere mit dem Bus gen Osten. Was mich erwartet: ein brenzliges Date mit einer waschechten Highlander-Dame und die Entdeckung der Hamburger Steppe.
Die Highlands in Hamburg
Der Bus düst weg, ich stehe mutterseelenalleine in Rahlstedt. Haltestelle „Naturschutzgebiet Höltigbaum“. Wo soll hier bitteschön Natur sein? Träge tragen mich meine Beine am Globetrotter Verwaltungsgebäude vorbei. Mein Kopf ist noch nicht ganz bei der Sache: Ohne Landkarte und mit regelmäßig streikendem Handy ist mein 2.0-Ich panisch. Ich betrete den Park durch seinen kleinen Seiteneingang im Südosten. Eine Sichtung der großen Infostellwand und meine Bedenken und das 2.0 werden mit der frischen Luft weggeblasen. Mein puristischer Wanderplan steht: Immer geradeaus, bis ich auf den ausgeschilderten „Gallo-Way“ stoße. Wenn Zeit und Budget gerade nicht für die Highlands reichen, müssen die Highlands eben zu mir.
In der Steppe: Wo früher Soldaten herumballerten
Erster Blick über die Prärie: Mein Auge schweift über eine weitläufige Landschaft. Die Wiesen in sanften Gelb- und Ockertönen erinnern an eine Steppe. Alte Baumbestände ragen in die Höhe. Mit jedem Schritt in den Park hinein, legt sich die Anspannung, die ich aus der Stadt mitgenommen habe. Ich stelle mir vor, wie die Bundeswehr-Soldaten hier einst durch das Gestrüpp robbten und komplizierte Strategie-Action-Schlachtpläne durchführten. Vierzig Jahre lang bestimmte Militär das Bild des Höltigbaum. Getarnte Menschen legten befestigte Panzerstraßen an und schachteten Schanzlöcher aus. Panzer rissen den Boden auf. Mit dem Abzug der Bundeswehr in den 90er Jahren blieb ein ungedüngtes und ungespritztes Gelände zurück. Dort tummeln sich heute viele seltene Tier-und Pflanzenarten. Seit 1997 steht der Höltigbaum daher unter Naturschutz.
Der Gallo-Way – auf schottischem Territorium
Statt Soldaten sind nun schottische Hochlandrinder und Heidschnucken im Höltigbaum unterwegs. Sie tun das, was vorher die Panzerketten taten – die Landschaft pflegen, den Rasen mähen und die Sträucher kurz halten. Doch wo sind diese Rindviecher bloß, wenn man sie sehen möchte? An einer Weggabelung rettet mich erneut die Parklandkarte. Hier kann ich nun in den Gallo-Way einbiegen. Heißt: Immer der weißen Kuh auf dem braunen Hintergrund hinterher. Über einen Weiderost betrete ich ab jetzt schottisches Rinderterritorium. Das Schild habe ich zur Kenntnis genommen: „Robustrinder“ beweiden als Herde vierbeiniger Landschaftspfleger das hiesige Gebiet. „Wenn sie unseren vierbeinigen Landschaftspflegern begegnen, erschrecken Sie sie bitte nicht und halten Sie einen Abstand von 25m“. Die schottischen Galloways sind für ihr „freundliches Gemüt und ihre ausgesprochene Friedfertigkeit“ bekannt. Schmusige Kühe, ein Sicherheitsabstand von 25 Meter. Das bekomme ich hin. Nichtsahnend stapfe ich wieder los, in ein Eichenwäldchen hinein. Der Boden wird matschiger, meine Augen sind auf den Schlamm gerichtet.
Im Rinderkindergarten - Auge um Auge mit Miss Galloway
Als ich quasi in sie hineinlaufe, ist mein erster Gedanke: 25 Meter sind das nicht. Optimistisch gedacht zwei, realistisch gedacht wohl eher ein Meter. Auf dem Weg sitzt eine Kuh. Vielleicht ist Kuh nicht die richtige Bezeichnung: ein Monstrum an Kuh. Zottelig. Dunkel. Wuchtig. Zornig starren mich ihre zwei Glubschaugen an. Kokett zwinkert sie mir mit ihren langen Wimpern zu. Krisenmanagement ist angesagt. Mit beruhigender Stimme klöne ich also mit Miss Galloway. Auf Französisch. Nasale Laute scheinen ihr zu gefallen, der schottischen Dame. Ihr gewichtiger Hintern bleibt fest am Matschboden kleben. Während ich mit der Kuh per du werde und vorsichtig um sie herumschleiche, sehe ich aus dem Augenwinkel heraus, dass Miss Galloway nicht alleine faulenzt. Da sitzen ihre Neffen und Nichten, Tante, Onkel, Opa, Oma und die ganze Highlandergroßrindfamilie im Schatten der Bäume. Ich bin wohl in etwas hineingeraten, was ich persönlich als „Krisenmanagement Teil 2“ betiteln würde. Begeisterte Tierliebhaber nennen es „Rinderkindergarten“. Also quassele ich unentwegt auf Französisch weiter. Dem Kalb, das neugierig auf mich zustakst, mache ich ein Kompliment. Die eine besonders fotogene Galloway-Tante am Wegesrand knipse ich ab. Mit klopfendem Herzen und etwas betrübt verabschiede ich mich schließlich. Ich habe gelesen, dass im „Haus der Wilden Weiden“ am Rande des Parks regelmäßig Rinderfleischwaren zum Verkauf stehen.
Lost in Höltigbaum: „Wiet und siet keen een to seehn“
Nach meinem Rendezvous mit der Kuh laufe ich aufgewühlt weiter. Irgendwo zwischen Baum und Busch und Trampelpfad biege ich falsch ab. Mein Handy hat sich schon längst an die örtlichen Gegebenheiten angepasst und hält sein Nickerchen. Passend zu meinem Orientierungschaos taucht wie aus dem Nichts eine Bank auf. „Wiet und siet keen een to seehn“ ist ihr Motto. Es ist, als ob die hanseatische Pampa mir zuraunt: Mach dich mal locker! Lost in Höltigbaum also. Na prima. Heimaturlaub vom feinsten. Plötzlich muss ich kichern. Der Arbeitsalltagsgedankenknäuel hat sich aufgedröselt. Es ist, als ziehe dieser Ort mir mit magischer Hand Stück für Stück die kleinen und großen Sorgenspaghettistränge aus dem Kopf. Bis nur noch ein tiefenentspannter Kopf und rote Backen übrigbleiben. Nach einer kurzen Rast spaziere ich beschwingt weiter. Ich überrasche mich dabei, wie ich anfange zu summen. „What shall we do with the drunken sailor, what shall we do..“ Hier hört mich eh kein Schwein. Allenfalls eine Kuh, der Kammermolch oder andere geschützte Tiere, die sich in den Wäldern, Wiesen und Tümpeln des Höltigbaum einen faulen Lenz machen. Auch wenn hier irgendwo ein Dudelsackspieler auf der Weide trötete, wäre ich nicht verwundert. Als ich mitten in dieser Wildnis auf eine gepflasterte Straße stoße, weiß ich plötzlich ganz ohne Smartphone und Karte, wo ich bin.
Skaterparadies - auf der Panzerstraße nach Hause
Auf der Panzerstraße schlage ich den Heimweg ein. Die Straße zieht sich 3,7 km vom Südwesten zum Nordosten quer durch den Höltigbaum. In jedem Herbst wird die Humusschicht hier breiter und die Straße schmaler. Skater, Radfahrer, Jogger können sich auf den Platten austoben. Ich überquere die „Wandse“ und springe auf der Brücke zwischen Schleswig-Holstein und Hamburg von einem Bundesland ins andere. Die Wandse ist der Grenzfluss zwischen Schleswig-Holstein und dem Hamburger Bezirk Wandsbek. Vom Bezirk hat das Flüsschen seinen Namen – nicht umgekehrt. Die Bezeichnung „Höltigbaum“ kommt übrigens aus dem Plattdeutschen und heißt „Halte-„ oder „Schlagbaum“. Hier verlief früher die zollpflichtige Landstraße zwischen Hamburg und Lübeck. Hamburg. Von weitem winken mir die Rahlstedter Gebäude zu, ich erahne Zivilisation. Also drehe ich mich ein letztes Mal um. Au revoir, Miss Galloway. Ein Hoch auf deine Hamburger Highlands. Flatlands. Whatever.
So kommt ihr hin:
Mit Bus und Bahn: Germanwings und EasyJet können den Abflug machen, zum Höltigbaum gelangt ihr mit einem simplen HVV-Ticket. Vom Hauptbahnhof aus fahrt ihr mit der RB 81 Richtung Ahrensburg / Bad Oldesloe bis nach Rahlstedt. Von dort nehmt ihr den Bus 462 Richtung Gewerbepark Merkur und steigt beim „Naturschutzgebiet Höltigbaum“ aus. Insgesamt benötigt ihr für diese Strecke 35 Minuten.
Mit dem Rad: Sportskanonen können auch mit dem Rad herstrampeln. Hierfür radelt ihr ab der Außenalster die schmale Wandse entlang. Nach 13 km erreicht ihr Rahlstedt. Im Höltigbaum angekommen, könnt ihr auf der Panzerstraße den ehemaligen Panzerrillen hinterherdüsen.
Im Zentrum Wilde Weiden findet ihr nochmals alle Informationen zum Park, seinen Wanderwegen und auch Infokarten für Wanderungen auf dem Gallo-Way oder auf der Gletscher-Spur.
Das kostet der Spaß: ein HVV-Tagesticket à 7,60 € oder 6,20 € oder 2x ein HVV Ticket à 3,20 €
Unbedingt einpacken: Muskelkater resistente Beine, Essen und Trinken