Glaube, Liebe, Hamburg: Ein Jahr, drei Städte, drei Universen

© Lina Hansen

Segel Setzen #14

"So ist es, wenn du in einem Jahr in drei Großstädten wohnst" - hätte der Titel meiner 14 Kolumne hier auch heißen können. Doch das ist dem Thema nicht angemessen. Denn dank Generation Praktikum, Generation Y, Generation Digital Natives müssen wir ja immer bereit sein, für das nächste große Projekt in eine andere Großstadt zu ziehen - Stichwort Flexibilität. Also keine "So ist es"-Liste, sondern ernsthafte Erfahrungen nach einem Jahr voller Umzüge:

Leipzig, Karl-Liebknecht-Straße

Ich stehe am Fenster und blicke über die Straße. Es ist die Straße, die in den letzten zwei Jahren mein stetiger Begleiter war. Ich habe sie in allen Zuständen gesehen. Menschenleer am Sonntagmorgen. Aufgeheizt im Hochsommer. Verschneit nach einem spontanen Wintereinbruch. Überflutet durch heftige Platzregen.  Die Straße hat mich auch in allen Zuständen gesehen. Knutschend am Fenster. Grübelnd in den Himmel sehen. Heulend im Schlafanzug. Grinsend am Telefon.

Nach zwei Jahren nehme ich Abschied von der Straße, Abschied von der Stadt, die mich seit drei Jahren begleitete. Manchmal verfluchte ich die Aussicht, zeigte sie mir doch, wie aktiv alle anderen Menschen waren, während ich - nun ja - eher taten- und ratlos herumsaß. Aber sie wurde nach und nach, ganz leise, zu einer Heimat. Ich wohnte in ihr, ganz buchstäblich. Sie wohnte in mir, ganz metaphorisch.

© Lina Hansen

Hamburg, Goetheallee

Kurze Zeit später lebte ich in einer neuen Straße. Viel sah ich von ihr nicht, da mein Zimmer im vierten Stock war. Aber ich hörte. Das Kopfsteinpflaster. Die Alarmanlagen der Autos. Das Kindergeschrei morgens um sieben (Ach herrje, das Kindergeschrei). Wenn ich mich in meinem Zimmer verkroch, umhüllte mich die Straße mit ihren hohen, wunderschönen Häusern. Sie spendete Trost, wenn ich auf die gegenüberliegende Straßenseite sah. Und sie war die Verheißung eines neuen Tages, wenn ich auf die Straße ging, um Altona und meine ganze wunderschöne Heimatstadt immer wieder neu zu entdecken.

Hamburg war nicht schwer. Hamburg war ein Kinderspiel. Die Herzensstadt machte es so wunderbar leicht, sie zu lieben. Heiß und innig, wiedervereint. Himmelhochjauchzend stolperte ich durch die Straßen, schätzte alles so viel mehr als noch vor drei Jahren, vor meinem Wegzug. Hamburg war Hamburg geblieben, aber ich hatte mich verändert. Und wenn ich ganz genau hinsah, hatte sich auch etwas in der Stadt getan. Hier ein neuer Bäcker, da ein hipper Laden. Hier ein neuer Busfahrplan, da ein anderer Club. Ich sog alles auf, genoss das Gefühl - wie mit einem Expartner wieder zusammenzukommen: Vertraut, wohlig, geliebt. Neu, aufregend, mit Herzklopfen.

© Lina Hansen

Berlin, Sonnenallee

Nach ein paar Monaten zog ich wieder um. Wieder eine neue Stadt und diesmal an eine größere Straße - von der ich allerdings nicht wirklich viel mitbekomme. Es ist der Hinterhof, zu dem mein Fenster hinausgeht und ich bin sehr dankbar dafür. Die Ruhe, die ich hier habe, ist genau das, was ich brauche. Wirklich vertraut bin ich mit der Aussicht noch nicht. Aber es ein sehr entspannendes Gefühl, dass da draußen die Stadt brodelt und ich hier drinnen sitze und mich abschirmen kann, sobald ich möchte. Noch habe ich keinen Lieblingsspäti in der neuen Stadt. Noch habe ich keinen festen Freundeskreis. Und die Monatskarte habe ich mir auch gerade erst gekauft.

© Lina Hansen

Ich muss mir jetzt eine dritte Stadt zu eigen machen. Weiß der Teufel, was mich ritt, als ich das geplant habe. Ich muss wieder rausgehen, auch an Tagen, an denen mir nicht danach ist. Ich muss mir meine eigenen Abkürzungen suchen. Ich brauche Lieblingsplätze. Ich lerne, die Stadt mit einheimischen Augen zu sehen und in ihr einen Alltag zu schaffen, während doch alles neu und anders ist. Ich darf nicht darauf warten, Willkommen geheißen zu werden. Ich muss mich der Stadt an den Hals schmeißen.

An manchen Tagen scheint es viel zu schwierig, sich nach der Arbeit noch einmal aufzuraffen, nur um zu socializen - aber ich verspreche mir selbst, dass es sich lohnen wird. Der eigene Antrieb, sich auf die Stadt und ihre Bewohner einzulassen, ist der Unterschied zwischen der neuen Hood als Wohlfühlort und der neuen Hood als Zwischenstation. Und wenn es auch nur der Klassiker “Such dir einen Sportverein!” ist. Zwischen Yogaschweiß und Umkleidekabine lässt sich vielleicht eine zartes Band der Zwischenmenschlichkeit knüpfen. Möchte ich die Zwischenmenschlichkeit eher so mit dem Vorschlaghammer, frag ich meinen alten Freund Tinder. Und spätestens nach dem ersten Herzschmerz, der ersten durchtanzten Nacht, dem ersten Mal Touristen den Weg zeigen und dem ersten Mal ohne Nachfrage das richtige Getränk im neuentdeckten Lieblingscafé kriegen, sind wir angekommen. Und dann gehts erst richtig los. You can’t hurry love.

Lina ist geboren und aufgewachsen in Hamburg und hat auf keiner ihrer Reisen jemals eine Stadt gesehen, die sie so gefangen nimmt. In ihrer Kolumne "Segel setzen" schreibt sie regelmäßig über die großen und kleinen Themen des Alltags einer Mittezwanzigjährigen – und natürlich über die Liebe zur Herzensstadt.

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