Heimaturlaub: Der Weinberg von Sankt Pauli

© Alexandra Brucker

Seeluft schnuppern und Weinblätter rascheln hören. Das könnt ihr in Hamburg an einem kuriosen Ort. Am Stintfang fläzt sich der trunkene Bacchus zwischen den Rebstöcken und blickt dabei verträumt auf den Hafen. Ihr wollt Bekanntschaft schließen? Wir erklimmen die Stufen zum (fast) niedrigsten und (fast) nördlichsten Weinberg Deutschlands!

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500 Quadratmeter Süd-Flair im Schietwetter-Land

Oh Touris, hättet ihr doch bloß Augen am Hinterkopf – und nicht nur Selfie-Sticks vor der Rübe. Die Rebstöcke für den einmaligen Hamburger Wein räkeln sich direkt hinter euch, auf dem Dach des S-Bahnhofs „Landungsbrücken“. Weil aber Elbe und Elphi, Cap San Diego und König der Löwen zugegebenermaßen Balsam für die Sightseeing-Seele sind, geht Hamburgs einziger Weinberg trotz exponierter Lage einfach unter. Zeit, den Landungsbrücken den Rücken zur kehren. Zeit für eine Hommage an 500 Quadratmeter Süd-Flair mitten im Schietwetter-Land.

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Hanse Primeur, Château Landungsbrücken

Den Mini-Weinberg am Stintfang gibt es bereits seit 1995. Das Kleinod hat es sich am Hang zwischen der Jugendherberge und den Landungsbrücken gemütlich gemacht. In Reih und Glied gedeihen hier 100 Rebstöcke: 50 der Rebsorte Regent (dunkle Trauben), 50 der Sorte Phönix (weiße Trauben). Aus ihnen produziert man einen klassischen Rosé, den „Stintfang Cuvée“ – liebevoll auch „Hanse Primeur“ genannt. Der Name basiert auf dem Stint, einer Fischsorte, die früher am Standort der jetzigen Landungsbrücken gefangen wurde.

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Wer hat’s erfunden? Die Schwaben!

Mosel, Rheingau, Hamburg! Wie kam der Wein bloß hierher? Zu Anfang waren da eine Freundschaft und eine (weingeschwängerte) Schnapsidee. Hanseatischer Traubensaft? Vor über 20 Jahren glaubten die schwäbischen Winzer fest daran. Als Dankeschön für die Gastfreundschaft, die das „Stuttgarter Weindorf“ auf dem Hamburger Rathaus genoss, schenkten die Stuttgarter den Hamburgern ihre ersten Rebstöcke. Den Südhang am Stintfang erkoren die Spezialisten aus dem Süden als geeignetsten Standort für ihre zarten Pflänzchen aus.

Ehrensache, dass sich die Winzer nach der Ernte auch selbst um die Reben kümmerten. Selbst nach 2015, nach dem Aus des Weindorfs aufgrund erhöhter Platzmieten, blieben sie der Tradition und ihrer Weinberg-Pflege in Hamburg treu. Die Exil-Schwaben ernten nun bereits seit 1996 ehrenamtlich die Nord-Trauben. Ihre Lese bringt der Weinbaumeister Fritz Currle nach Stuttgart und baut sie dort aus.

Der jährliche Ertrag des Weinanbaugebiets Hamburg besteht aus stolzen 40 bis 50 kleinen Flaschen à 0,35 Liter - wenn nur alles gut läuft. Denn, in so manch einem Jahr bedrohte Pilzbefall die Ernte. Über mehrere Jahre hinweg wurden die Trauben sogar gestohlen. 2010 war die gesamte Ernte über Nacht plötzlich weg. Die gute Nachricht: Trotz Sommer-Schmuddelwetters war 2017 für die hanseatischen Trauben ein gelungenes Jahr.

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Exklusiver Rosé: Auf ein Glas, Uwe Seeler?

Kaufen könnt ihr die Rosé-Rarität nicht. Von jedem Jahrgang lagert jeweils eine Flasche gut geschützt im Büro des jeweiligen Präsidenten der Hamburgischen Bürgerschaft - dem Hausherren des einzigartigen Wein-Paradieses. Im Folgeschluss ist Bürgerschafts-Präsidentin Carola Veit wohl Hamburgs diesjährige Weinkönigin! Den Stintfang verschenkt sie nur an auserwählte Gästen. Chancen auf den Hanse-Tropfen haben insbesondere Menschen, die sich um Hamburg verdient gemacht haben. Gute Aussichten haben zum Beispiel die Ehrenbürger der Stadt. Auf ein Glas, Uwe Seeler?

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Hanseatischer Traubensaft: Im Abgang vergnügt?

Wie der Wein wohl schmeckt, bleibt für Normalsterbliche folglich ein Rätsel. In einer Exklusiv-Verkostung bezeichneten Sommeliers den begehrten lachsfarbenen Tropfen als „durchaus akzeptabel“. Auf schwäbisch: „Nix gschwätzt isch gnuag globt“. Der Zuckergehalt des Weines liegt bei 80 Grad Oechsle. Auch wenn der Stintfang sicher nicht mit den „Großen“ der Welt konkurrieren kann, wurden bereits Höchstpreise für seine Flaschen geboten.

Aber, Hand aufs Önologen-Herz, wie schmeckt Hamburgs Wein denn nun wirklich? Blumig? Fruchtig? Im Abgang vergnügt? Nein, nein. Die Experten sagen: ein Wein, „leicht und trocken, säurebetont und entsprechend der meernahen Lage auch etwas würzig“. Na dann: Prost, Hamburg!

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Mit seinem Nord-Wein ist Hamburg übrigens nicht mehr ganz allein. In Schleswig-Holstein wird seit einigen Jahren auch gewinzert. Ebenso in Mecklenburg. Selbst Sylt stellt Meeres-Wein her. Nördlicher geht‘s nicht mehr? Doch. Es geht. Seit 2000 ist Dänemark offizielles Qualitätsweinbau-Land der EU; auf fast jeder größeren dänischen Insel existiert heute mindestens ein Weingut.

„Griech-… noooor-discher Weeein“

Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, dass Weinreben im Norden nichts Neues sind. Während einer Warmphase im Mittelalter wuchsen in Schleswig-Holstein bereits Reben. Die „Kleine Eiszeit“ im 16. Jahrhundert beendete das nordische Weinvergnügen jedoch abrupt. Heutzutage lässt die globale Erwärmung Bacchus wieder in Nordgefilde ziehen. Um 1,4 Grad ist die Temperatur in den letzten Jahrzehnten durchschnittlich in den Weinanbaugebieten gestiegen, sie könnte sich bis zum Jahr 2050 um weitere 1,5 Grad, vielleicht sogar bis 5 Grad erhöhen. Inzwischen gehen Experten davon aus, dass sich die Grenzen der Weinanbaugebiete bis zum Ende dieses Jahrhunderts noch bis zu 500 Kilometer gen Norden vorschieben könnten.

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Bei diesen Aussichten reibt sich Bacchus am Stintfang heiter die Hände. Die Weinblätter gähnen schon, ihre Reben sind startklar für den Winterschlaf. Ein letzter Blick auf den Hafen, dann zieht der Weingott weiter, auf den Kiez. Da soll es sowas geben, das nennt man Duckstein. Oder Astra. Vielleicht auch Ratsherrn. Zumindest – Bacchus grinst – findet der Gott der Ekstase auf Sankt Pauli etwas, was er über alles liebt: Veritas.

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