Der schönste Fleck der Neustadt: Die Peterstraße

© Alexandra Brucker

Die Musikgeister wehen durch die Pfade der Neustadt. Sprintet los, heftet euch an ihre Fersen und landet… in der Peterstraße. Dort empfangen euch falsche Kaufmannshäuser, echtes Gassengeflüster und sieben alte Meister.

Im Disneyland der Kaufmannshäuser

Der Michel ist ihr Nachbar, die Laeiszhalle nur einen Katzensprung entfernt. Im Schatten der Großen, perfekt versteckt, hat es sich die Peterstraße gemütlich gemacht. Wer hier einbiegt, springt von einer modernen Stadtlandschaft in eine idyllische 17. Jahrhundert-Kulisse. Aber lasst euch vom Disneyland der Kaufmannshäuser nicht den Kopf verdrehen! In der Peterstraße ist nämlich nichts, wie es scheint.

In den 60er Jahren ließ der Unternehmer Alfred Toepfer hier Fachwerkhäuser im historischen Stil neu errichten - unter Nutzung alter Bausubstanz. Doch – Skandal, Skandal! – derartige großbürgerliche Bauten hatten in diesem Teil der Neustadt ursprünglich nichts zu suchen, wurde die Peterstraße im 18. Jahrhundert doch vornehmlich von armen Juden bewohnt. Als Vorlage für die heute zu sehenden Fassaden schöpften die Architekten deshalb Ideen aus einem ganz anderen Hamburger Eck; so ragen heutzutage nun barocke Giebel in den Himmel, wie sie einst typisch waren für die Bürgerhäuser an den Fleeten.

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Im Freilichtmuseum: Tatort-Maskeraden und Ebay-Märchen

Ja bin ich hier im Freilichtmuseum? Das kann man sich angesichts dieser Häuser-Maskerade schon fragen. Verzierte Türklinken, Treppenaufgänge mit geschwungenen Handläufen sowie eine geheimnisvolle Gasse verführen dann doch zum Sprung in die Pseudo-Vergangenheit - trotz Architekturkuddelmuddels. Wen wundert‘s, dass sich auch die Filmschaffenden in der Peterstraße pudelwohl fühlen? Historische Filme, Serien, Tatort-Szenen und selbst ein Ebay-Werbespot wurden hier bereits gedreht.

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Das Beyling-Stift: Ein Oldie unter Oldies

Die neunmalkluge Stimme in euren Köpfen hält es trotzdem nicht aus und quakt laut: „Was ist in diesem Rekonstruktionswirrwarr denn dann noch echt?“ Gute Frage. Ein Gebäude-Oldie, Hausnummer 39, brummt: „Ich bin der Älteste hier. An mir ist alles echt.“ Wie konntet ihr denn diesen Stein-Methusalem nur übersehen? Das denkmalgeschützte Beyling-Stift entstand in der Mitte des 18. Jahrhunderts. 1824 erwarb es Johann Beyling und übereignete es 75 Jahre später einer Stiftung für Altenwohnungen. In der Tradition des Stiftes werden dort auch heute noch fast alle Wohnungen preisgünstig an Senioren vermietet.

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Hamburger Musikgeschichte(n) in der Komponisten-WG

Die schönste Oldie-WG in der Peterstraße ist allerdings das KomponistenQuartier. Auf 280 Quadratmetern wird seit 2015 über die Musiker Georg Philipp Telemann, Carl Philipp Emanuel Bach und den eher unbekannten Johann Adolph Hasse informiert. Im Beyling-Stift durfte sich der brummige Johannes Brahms einnisten. In Zukunft sollen insgesamt sieben bekannte Komponisten im Quartier „zusammenleben“. So wird momentan fleißig an den zwei letzten Ausstellungen gebastelt. Das Casting für den Einzug haben hierfür Gustav Mahler und die Geschwister Fanny und Felix Mendelssohn gewonnen.

Ihr habt von Tuten und Blasen und Klassik keine Ahnung? Ist vollkommen schnuppe. Macht euch und eure Ohren einfach locker. Ein rascher Blick auf die zwei Ober-Gurus dieser Museums-WG macht selbst bei Nicht-Klassik-Fans Laune auf Hamburger Musikgeschichte(n).

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Brahms, ein Typ wie aus der Astra-Werbung

Das Schild vor dem Museum bildet ihn ab. Johannes Brahms. Ein Prachtexemplar der Spezies Mann. Sein Vollbart der späten Jahre lässt jedes Hipster-Herz schneller poltern. Dieser Johannes, ein Typ wie aus der Astra- Werbung, sagte einmal: "Falls es hier jemanden gibt, den ich noch nicht beleidigt habe, den bitte ich um Entschuldigung." Bisschen barsch, bisschen bissig. Harte Schale, goldenes Herz. Ein waschechter Hamburger eben.

Der grantige Brahms wurde im Specksgang, einer der krümmsten, engsten und dunkelsten Gassen des anrüchigen Gängeviertels, geboren. Aber er arbeitete sich wacker hoch und blieb dabei – feine Sache! – bescheiden. Danach ging es aus dem Tor zur Welt hinaus, in die noch weitere Welt.

Auf so einen Ehrenbürger ist die Hansestadt natürlich mächtig stolz. Das Brahms-Museum gibt es deshalb, im Gegensatz zu den neueren Ausstellungen im KomponistenQuartier, schon seit den 70ern. Wurdet ihr schon einmal gebrahmst? Musik von Brahms hören, das ist eine Mezzomix aus Gediegenheit und bewölktem-Elbstrand-Blues. In weniger blumig heißt das: Bei Brahms klingt selbst reines Dur noch nach Moll. Hach, brahmsen, das ist einfach so hamburgisch! Das ist still und melancholisch glücklich sein, und zwar nach innen.

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Telemann, der Workaholic und Urban Gardener

Im Gegensatz zu diesem Brummbär-Brahms haben wir da noch Georg Philipp Telemann, den Charme-Bolzen und das Gute-Laune-Bündel. Sogar ein großer Sinn für Humor wird ihm nachgesagt. Zu seiner Zeit komponierte er 3500 Werke auf fast allen musikalischen Gebieten. Seltsamerweise erinnerte lange Zeit nur eine Gedenktafel links neben dem Rathaus-Haupteingang an Telemann. 2011 buddelte man den Master of Music dann doch aus der Erinnerungsverbannung. Er durfte in das weltweit erste Telemann-Museum, in die Peterstraße, einziehen.

Und das, obwohl er nicht einmal ein gebürtiger Hamburger war. Aber wer 46 Jahre lang Musikchef dieser Stadt und seiner fünf Hauptkirchen war, der schleicht sich schon mal klammheimlich ins lokalpatriotische Klassikherz. Georg Philipp hat ja dafür in der Hansestadt auch richtig hart geackert. Der Tausendsassa hatte aber nicht nur Musik im Kopf. Mit seinem Kollegen Händel in London tauschte er zum Beispiel per Post Blumenzwiebeln aus und pflanzte sie in seinem Garten an der Alster an. Im Innenhof des Beyling-Stiftes wurde aus diesem Grund sogar eine Dahlie gepflanzt, die nach dem Musiker benannt wurde.

Telemann, ein Urban Gardener und Brahms, ein Rauschebart-Hipster? Schon wieder entpuppt sich die Peterstraße als wahres Ü-Ei. Was da wohl noch drinsteckt?

© Alexandra Brucker
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