Clubs von gestern: Golem (2010 – 2017)

Der Golem, geschichtskundige Literaturkenner dürften es wissen, ist ein spätmittelalterliches Fantasiegeschöpf menschlicher Art, dessen Grobschlächtigkeit den Gebildeten die eigene Weisheit vor Augen führt. Edlen Goldstaub als groben Lehmklotz auszugeben, also den glänzendsten, gediegensten, feinziseliertesten Club der Stadt in spe mit dem hebräischen Wort für „formlose Masse“ zu bezeichnen: das war vor sieben Jahren mindestens mutig, beinahe schon verwegen. Besonders am Fischmarkt, wo im Namen der Marke Hamburg Sonntag für Sonntag ein Gebirge fauligen Obstes auf dem hochglanzpoliertem Kopfsteinpflaster zerquetscht wird, bis die Stadtreinigung den Kärcher tanzen lässt.

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Aufnahme im Club der Vergangenen

Hier, ausgerechnet hier also befand sich der Club mit dem dramatischen Namen. Und schon die Tatsache, dass davon künftig im rückwärtsgewandten Perfekt statt zukunftsfähigen Präsenz zu reden ist, belegt sozusagen posthum, dass er Ende 2010 recht gut ausgewählt war, als im früheren Mattenschüttler-Eldorado Headbangers Ballroom ein kleines Prachtstück der örtlichen Ausgehszene eröffnet wurde.

Denn das Golem war wie der zugehörige Titel: Sperrig, geheimnisvoll, verstiegen, irgendwie nicht so richtig endorphinschwanger wie man es von einem Konzertsaal mit Tanzabteilung erwarten könnte, aber egal: die inoffizielle Wiedergeburt der wesensverwandten „Weltbühne“ war für sieben kurze lange Jahre der vielleicht aufregendste Ort dieses Planeten. Na ja, zumindest von Hamburg. Zumindest für ein paar seiner Bewohner.

Tanzgesellschaft der Freidenker

Linke Dandys zum Beispiel, autonome Feingeister, die jazzafine Hornbrillenfraktion der Flora-Bohème oder einfach all jenen, denen erst im politisch ambitionierten Caféhausambiente auch wirklich zum Feiern zumute wird. All denen hat Wolf von Waldenfels, hauptamtlich Betreiber des ebenso unvergleichlichen „Uebel & Gefährlich“, seinerzeit ein Hochparterre mit Kellergewölbe an die Hafenkante gezaubert, das von Beginn an eigentlich eine Todgeburt war. Zu verkopft, zu intellektuell, zu unkommerziell für ein langes Leben am Rande der Entertainmenthölle Kiez, so schien es. Sieben Jahre sind demnach durchaus stattlich.

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Wo die Subkultur siegte

Sieben Jahre, in denen ich viel zu selten dort war, aber jedes einzelne Mal mit wohligem Bauchgrummeln heimging. Schon wegen des berauschenden Gefühls, dem enthemmten Partyfolk der benachbarten Fischauktionshalle eins ausgewischt zu haben, wenn beim Verlassen dumpf der Kirmestechno von gegenüber durch die profane Neubautür wehte.

Denn das war ja ein Sahnehäubchen aufs – zugegeben leicht arrogante – Gefühl geschmackvoller Erhabenheit: Das Gebäude selbst ist und bleibt eine architektonische Frechheit, seelenlose Industrieklinker-Asepsis mit schmutzabweisender Klappfenster-Silhouette. Dass ausgerechnet dahinter auf seltsam wandernder Bühne gerne Kontrabass und Obertongesang zu King Korg oder Zackengitarre wummerten, war immer wieder ein momentaner Sieg der Subkultur über den Mainstream ringsum.

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Und apropos Sub: So richtig rund ging es im Golem ja erst die Treppe neben der Panoramascheibe abwärts Richtung Underground. Künstlerisch. Aber auch buchstäblich. Tief unterm Asphalt befand sich schließlich Hamburgs verstohlenster Tanzsaal, gepaart mit Hamburgs heimlichstem Lichtspielhaus. Als der Fernsehsender 3sat im plüschroten Mobiliar des Schuhkartonkinos mit den romantischen Séparées an der Rückwand mal Wladimir Kaminers Provinzreportage „Kulturlandschaften“ vorstellte, sagte der Russendisco-Veteran spürbar ergriffen, der Ort erinnere ihn an Berlins anarchistischen Charme der frühen Wendejahre. Als alles ging. Und nichts verboten schien.

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Alles geht, nichts geht mehr

Fast alles ging ja auch im Golem, selbst Acapella-Metal oder vertrackte Philosophie-Lesungen, denen ich leider nie beigewohnt habe. Verboten schien daher wenig. Okay, beim Getränkeausschank zu lächeln vielleicht oder die stoischen Barkeeper zu fragen, ob man den filigranen Cocktail mit etwas weniger Eis haben könnte. Macht man ja auch nicht. Ansonsten aber war die Stimmung freundlich, gelöst, mitunter fast familiär, bisschen selbstgerecht, das mag sein, aber nie hanseatisch arrogant.

Nach sieben Jahren ist nun Schluss damit. Aus rein wirtschaftlichen Gründen; es lief nicht, wie es angesichts der Mieten vor Ort laufen müsste. Großstadtschicksal. Doch auch, wenn der Nachfolger im Februar wie angekündigt keinen „Touri-Laden“ an gleicher Stelle eröffnet – ein Drama in einem Akt ist es trotzdem. Und würde man daraus echtes Off-Theater machen: In diesem Lehmklotz aus Goldstaub hätte man es sogar aufführen können.

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