Clubs von gestern: Golden Pudel Club

© Alisa Amann

Worum es sich in unserem Kulturkreis aufrichtig zu trauern lohnt, dafür gibt es gesellschaftlich definierte Regeln. Menschen verdienen selbst dann ein Höchstmaß an Hochachtung und Pietät, wenn ihr Leben kein ganz so vorbildliches war. Bis auf ein paar Tote der Sorte Hitler habe man demnach nur Gutes über sie zu berichten oder eben nichts. Danach wird es komplizierter: Der abgehauenen Freundin nachtrauern, drei Punkten beim Heimspiel, gar einer verpassten Folge Game of Thrones? Schwierig, als Außenstehender da ordentlich Anteil zu nehmen. Das ist mit Gebäuden seltsam ähnlich.

In jener Stadt zumal, die womöglich eine Abrissbirne zum Wahrzeichen hätte, wäre es nicht bereits durch mehrere Landungsbrücken mit kupfergrüner Kirche im Hintergrund profitabel besetzt, fallen Verluste an Bausubstanz schließlich weniger ins Gewicht. Hamburg gönnt sich ja ein Denkmalschutzamt, dessen vornehmste Aufgabe darin besteht, den rasanten Abriss des steinernen Gedächtnisses lieber larmoyant zu beklagen als zu verhindern. Was weg muss, muss weg, lautet seit dem Stadtbrand anno 1842 die Devise der Pfeffersäcke, die fraglos auch mehrere Landungsbrücken mit kupfergrüner Kirche im Hintergrund der Abrissbirne geopfert hätten, hätte sich eine Ost-West-Straßen-Philharmonie als lukrativer erwiesen.

Nach 21 Jahren am gleichen, kapitalumtosten Standort ist somit eine Legende zerstört, die so eigentlich nie hätte entstehen dürfen und gerade deshalb so wunderbar ist, war.

Zwischen Eppendorf, St. Pauli und Barmbek werden schließlich noch die schönsten, solidesten Altbauquartiere für seelenlose aufgereihte Rauputzquader geschleift, ohne dass Widerstand lautstark vernehmbar wäre. Was soll da schon der Ausfall einer kleinen Holzbaracke mit Elbblick auslösen. Doch genau um die trauert zurzeit – nein, nicht gerade ganz Hamburg, aber doch ein weithin hörbarer Teil. Der Golden Pudel Club ist abgebrannt und damit eine Immobilie, dessen pittoreske Pracht rein architektonisch allenfalls zwischen Fachwerkimitat und Fahrradhäuschen zu verorten ist; für den Musikstandort Hamburg jedoch liegt sein Bedeutung eher zwischen Beatles-Nostalgie und einem Opernhaus, dessen Kräne ihrerseits kurz vorm Denkmalschutz standen, so sehr wird es herbeigesehnt.

Samstagnacht, darüber waren die digitalen Netzwerke, aber auch analoge Medien bis weit über die Landesgrenzen hinaus in Echtzeit voll, fing der Dachstuhl Feuer. Die Polizei spricht von Brandstiftung, was bei einer derart morschen Bausubstanz bei allem gebotenen Optimismus nur die Vorstufe eines Planierungsauftrags sein kann. Nach 21 Jahren am gleichen, kapitalumtosten Standort ist somit eine Legende zerstört, die so eigentlich nie hätte entstehen dürfen und gerade deshalb so wunderbar ist, war, puhh. Dass ihr materielles Ende zum Heulen ist, wäre mit „untertrieben“ demnach geradezu fröhlich umschrieben.

Nirgends sonst in der zusehends durcheventisierten Musical-Metropole voller Beatles-Memorabilien hatte der independente Eigensinn ein liebevoller verwahrlostes Heim mit liebevoller verlotterten Sitten und liebevoller hochmütigem Selbstbewusstsein. Als elektropunkiger Resonanzkörper für die hedonistische Bohème links der Verwertungsmechanik entstanden, war der frühere Schmugglerknast aus dem 19. Jahrhundert Sub- und Leitkultur in einem, kultureller Underground und Mainstream, so widerständig wie stilbildend, irgendwie rot-grün im Idealzustand. Alles mit den Overground-Anarchisten Rocko Schamoni und Schorsch Kamarum in prominenter Herbergsvaterfunktion, als befänden plötzlich Asylbewerber in der Ausländerbehörde über Aufenthalt oder Abschiebung.

Pudel, das war die Verkehrung der freien Marktwirtschaft. Bier unter zwei Euro. Auf Klo besser nicht hinsetzen. Und morgens nach dem Rauswanken noch mal mit der Bürste unter die Fingernägel. So roch, klang, wirkte ein Ambiente entspannter Arroganz im lebenden Denkmal alternativer Freizeitgestaltung, das in der Geschichtsschreibung bekanntlich gern etwas wunderbarer verklärt wird als die Wirklichkeit gestattet. So hob es sich ab aus der Masse selbsterklärter Clubs mit mehr Substanz als einem Link im Hamburg-Marketing.

Die synchron übereinandergeschlagenen Beine angemessen affektierter Stammgäste auf der Bank am Eingang, das demütige Abwarten des Bedienungsgesprächs an gähnend leerer Theke, der unvergleichliche Mix zeitgenössischer mit rückwärtsgewandter Popkultur zum zukunftsfähigen Sound elaborierten Trashs – all dies wird es so nicht mehr geben, weil dem Wachsen allerorten längst ebenso wenig Zeit gelassen wird wie in den PR-Kulissen von Berlin bis München.

Ein Stück Hamburg, das im Grunde nie und gerade deshalb eines war.

Ob Freizeitpark mit gezüchtetem Dino oder verklärter Clubkultur: Das Leben, lehren uns Realität und Fiktion, findet seinen Weg. Es wird also auch diesmal ersatzweise irgendwo etwas Unbequemes, Ungeputztes, Unformatiertes entstehen. Ein Refugium auf Zeit, das die Rendite auf Dauer eine Weile bestehen lässt, um es dann aufzufressen wie einen drögen Keks.

Wer zwischen Lokalitäten, die Mehrgängemenüs und Flatrateschnaps verkosten, vor dem Pudel stehen bleibt, der trauert, um ein Stück Hamburg, das im Grunde nie und gerade deshalb eines war. Tschüss, Pudel. Im Herzen bürsten wir weiter und hoffen auf ein Wiedersehen irgendwann.

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