Clubs von gestern: Cobra Bar - die markanteste Punkrockkaschemme der Reeperbahn
Wer Rock sagt, muss auch Dreck sagen. Sofern es um Musik geht, werden die beiden Begriffe schließlich gern synonym verwendet. Besonders Punkrock erntet erst dann die volle Anerkennung, wenn er schmutzt und stinkt, wenn er rülpst und schwitzt und grunzt und sowieso alles erdenklich Vulgäre tut, also nicht gerade glamourös glitzert.
Von daher war dieser Club im Herzen von St. Pauli schon eine quicklebendige Totgeburt, als er Anfang des Jahrhunderts in der Friedrichstraße eröffnet wurde. Dort also, wo der Kiez bereits damals mehr als andernorts per Systemgastronomie Richtung Eventkultur hochglanzpoliert wurde.
Eine der markantesten Punkrockkaschemmen der Reeperbahn
Und mittendrin: Die Cobra Bar. Bis zu ihrer Schließung war sie stolze 13 Jahre lang eine der markantesten Punkrockkaschemmen längs der Reeperbahn – und fiel (ausgerechnet) am 1. April 2016 der ortsüblichen Aufwertungsspirale zum Opfer. Man mag es beklagen, dass damit ein weiteres Original der Subkultur von der Bildfläche verschwand. Vielleicht ist aber auch einfach mal ein wenig Demut angebracht, wie beharrlich sich der Underground selbst im Feindesland gelegentlich mal zeigt. Denn wer seinerzeit ins flammengesäumte Schlangennest unweit des Party-Karrees am Hans-Albers-Platz getreten ist, fand inmitten aller Eventisierung eine Oase räudiger Behaglichkeit vor, die schon bei Eröffnung eher Ausnahme als Regel war.
Schummrig schön schien es darin. Und nicht halb so versifft wie es das Vorurteil vom Punkrockschuppen verlangt, aber doch angemessen ungepflegt. Der ganze Laden war ein rotschwarz gehaltener Beleg dafür, wie gemütlich, wie familiär Unordnung im Omadekors mit Omalampen zur Omatapete sein kann. Schon die meisten der Thekenfrauen waren ja lebende Beweisketten dieser Kneipendialektik. Tätowiert bis zum Hals und wieder abwärts, verströmten sie einen Charme derber Akkuratesse, der dem ganzen Raum zueigen war. Jeder Stich saß da exakt wie jeder Spruch und der wiederum so passgenau wie das sorgsam verranzte Ambiente ringsum.
Am Duft der Verwegenheit schnuppern
Ganz selbstverständlich konnte man hier auch ohne Ganzkörpergemälde oder sonstige Intarsien der Renitenz am Duft der Verwegenheit schnuppern. Und selbstverständlich gab es dazu einen Kickertisch, der gemeinhin gutfrequentiert, aber nicht unangenehm umkämpft war. Etwas weniger selbstverständlich stand auch ein Flipper mit irgendwas wie „Adams Family“ am Rand, den ich selber nie gespielt, aber stets wahrgenommen habe. So richtig ungewöhnlich für den Kiez der Gegenwart waren indes die hörsturzschrillen Garagenrockkonzerte auf Augenhöhe mit dem Publikum, das mit der Band schon mal zu einer wabernden Fleischmasse verschmolz.
Und die Nachbarn drüber? Hatten offenbar Taubheitstendenzen, ein dickes Fell, vermutlich beides. Damals gab es ja auch vormittags echte Menschen im zweigeschossigen Zierbacksteinbrutalismus, der sich zum Albers-Platz hin an einen der prächtigen Gründerzeithäuser drängelte. Kiezgeschichte hat diese Lückenbebauung der späten Nachkriegszeit also nicht erzählt. Und schon gar keine der vielen Vorkriegsanekdoten historischer Amüsiervierteletablissements, in denen einst echtes Seemannsgarn gesponnen wurde.
Die Cobra Bar mitten im Geschehen
Die Cobra Bar war eben einfach ein krasses Wirtshaus mit Live-Ecke, Tanzfläche, Kneipen-Geselligkeit, das sich genau an dieser Stelle behaupten konnte, weil es eigensinnig war und prinzipientreu. Weil ihm zur Rechten die Rockabilly- Schenke „20 Flight Rock“ assistierte und zur Linken der beginnende Kleindealerstrich fern der Ballermanntouristen. Weil es für das gediegene Chaos mit Stil eine Zielgruppe gab und genug Sympathisanten. Was es dummerweise nicht gab, was es nicht gibt, sind Bestandsgarantien. Deshalb konnte der Vermieter ohne Federlesens den Pachtvertrag kündigen, beide Clubs rausschmeißen, die Wohnungen drüber entmieten und darin ein Hotel namens „Heimat Hamburg“ eröffnen, das um 15 Uhr öffnet, am Fenster mit „Burlesque“ wirbt, ansonsten aber aseptisch wirkt.
Was also bleibt noch vom stinkenden Schmutz, vom rülpsenden Schweiß, vom grunzenden Antiglamour des begradigten Kiezes ringsum? Der Menschenzoo am Brauereiviertel vielleicht. Dazu das headCRASH auf dem Hamburger Berg, auch schon eher für Partypeople als Punkrocker geeignet, aber immerhin laut und dreckig. Ach natürlich der wandlungsfähige Wanderzirkus Molotow.
Darüber hinaus aber nagt das Gefühl, mit Nostalgie und Trotz allein kommt man hier auch nicht weiter, wenn selbst gut besuchte Bars wie die mit der zubeißenden Giftschlange auf dem Tresen praktisch von heute auf morgen verdrängt werden, weil etwas anderes mehr Rendite verspricht oder womöglich auch einfach ein bisschen weniger anstrengend ist.
Ein neues Terrarium lässt noch auf sich warten
Zumindest für all jene, die bei dreckigem Rock nicht an Keime denken, sondern an ein Gefühl von herzlicher Grobheit, mit dem der Kiez einst größer geworden ist als sein eigener Mythos. Die Cobra Bar war 13 Jahre lang der Leuchtturm dieser aufgekratzten, rauen, lauten, sehr lässigen Szene. Ein neues Terrarium lässt noch auf sich warten. Doch bekanntlich ist der Underground ja findig. Es wird Zeit.