11 Gedanken, die man als Hamburgerin in Tokio hat

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Traumfabrik Tokio – Wolkenkratzer ragen zum Himmel hinauf, die Nacht ist taghell erleuchtet von Neonlichtern und schreienden Werbetafeln. Als ich zum ersten Mal abends an einer Kreuzung im Bezirk Shinjuku stehe und die angestrahlten Häuserfassaden sehe, fühle ich mich überwältigt wie Scarlett Johansson in „Lost in Translation“. In der japanischen Hauptstadt entsteht gefühlt ein neues Viertel an einem Tag, jeder Stadtteil spricht seine eigene Sprache und hat seinen individuellen Stil. Ich hatte gerade mal sechs Tage, um die Stadt flüchtig kennenzulernen: staunend, bewundernd, oder manchmal auch nur wundernd.

1. Wo bitte ist der nächste Mülleimer?

Wie machen das die Japaner eigentlich? Tokio ist so sauber – und das, obwohl weit und breit keine Mülleimer zu sehen sind. In Hamburg gilt das Prinzip: Je touristischer und besser besucht ein Ort ist, desto höher die Dichte an feuerroten Abfalleimern mit mehr oder weniger lustigen Sprüchen drauf. In Tokio ist es umgekehrt: Beim Kaiserpalast, in Parks oder Bahnstationen sucht man vergebens danach. Nachdem der Berg an Verpackungen, Papiertüten und Wasserflaschen, den man schon eine halbe Stunde mit sich herumschleppt, immer größer wird, kommen die bösen Gedanken: Wenn ich im Umkreis der nächsten fünf Kilometer keinen Abfalleimer finde, verbrenne ich meinen Müll hier öffentlich auf der Straße!

2. Menschen schlafen in der Bahn – und sie sind nicht betrunken

Wer in Hamburg in der S- oder U-Bahn einschläft, kommt meist vom Kiez und ist betrunken. Wenn du bedröppelt in Großhansdorf oder Norderstedt aufwachst, musst du die Fahrt of Shame noch einmal zurücklegen – unter den missbilligenden Blicken der anderen Fahrgäste. In Tokio guckt dich niemand schief an, wenn dir das passiert. Das halbe Abteil pennt. Sitzend oder auch mal stehend. Der große Unterschied ist nur: Die Schlafenden kommen nicht mal von der Partynacht, sondern sind auf dem Weg zur oder von der Arbeit. Auf den langen Strecken noch einmal einzunicken ist hier völlig normal.

3. Höflichkeit ist eine Tugend

Betrittst du in Tokio ein Geschäft, kommentieren die Verkäufer jeden deiner Schritte mit einem freundlichem Kopfnicken und eifrigen „Hai“(„Ja“)-Antworten. Auch „Sumimasen“ – „Entschuldigung“ – sagen die Japaner lieber einmal zu viel als zu wenig. In Fahrstühlen oder öffentlichen Verkehrsmitteln wird meist diskret geschwiegen, kaum jemand isst oder trinkt in der Bahn. Beim Warten auf die Metro, den Bus oder den Zug bilden die Menschen sinnlose Schlangen. Als rüpeliger Hamburger kommt man durchaus in die Versuchung, dieses höfliche Verhalten auszunutzen und sich vorzudrängeln.

4. Ich weiß nicht, wieso ich euch so hasse, Fahrradfahrer dieser Stadt

Die Japaner sind sogar so höflich, dass sie sich nicht trauen, zu klingeln, wenn sie mit ihrem Fahrrad an dir vorbeifahren wollen. Lieber schleichen sie sich von hinten an dich heran, drücken sich haarscharf vorbei und fahren dir im schlimmsten Fall noch über den Fuß – natürlich alles aus reiner Höflichkeit. Weil Radwege kaum vorhanden sind und das Fahren auf der Straße an Harakiri grenzt, kommt das nicht unbedingt selten vor. Dann doch lieber den Weg um die Alster mit Rasern, Dränglern und Sonntagsradlern teilen.

5. Tausche ICE gegen Shinkansen ein

Von wegen die Deutschen sind pünktlich! Es ist keine Übertreibung, wenn es heißt, dass die Züge in Japan pünktlich auf die Sekunde ein- und wieder abfahren (gilt auch für Reisebusse oder das Boarding am Flughafen). Davon kann sich die Deutsche Bahn aber mal ein großes Stück abschneiden. Und überhaupt: Gegen den Shinkansen sieht der ICE alt aus. Sitze, die sich in beide Richtungen drehen und fast in Liegeposition verstellen lassen, so viel Beinfreiheit, dass der komplette Wanderrucksack noch vor die Füße passt und endlich mal Gepäckfächer, die groß genug sind. Ich möchte nur noch Shinkansen fahren!

6. Was für eine Gesellschaft des Spektakels!

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Hamburger Dom + Hafengeburtstag + Derby St. Pauli gegen den HSV – wenn man den Lärmpegel der drei Veranstaltungen addiert, ergibt das in etwa die Geräuschkulisse, die in einer Pachinko-Spielhalle herrscht. Abgesehen davon, dass ich dieses Spiel nicht verstehe, wundert es mich, dass die Japaner bei dieser Lautstäke stundenlang vor den Automaten ausharren können. Auch aus den Arcade-Spielhallen, Karaokebars und Purikura-Fotoautomaten plärrt, schallt und kreischt es einem entgegen. Vielleicht schlafen deswegen auch so viele Menschen in der Bahn, weil es dort so angenehm ruhig ist.

7. Nie wieder beschwer ich mich, wenn ich 3,50 Euro für ein Bier zahlen muss.

Nicht von ungefähr zählt Tokio zu den teuersten Städten der Welt. Ein Bier kostet in den bekannten Stadtvierteln wie Shinjuku, Shibuya oder Roppongi schon mal 800 Yen, das sind etwa 6 Euro. Dazu kommen gerne auch eine zusätzliche Tischgebühr und Steuern. Wären wir bei fast 10 Euro – und wir reden nicht von einer Location wie etwa dem 20up, sondern einer stinknormalen Bar. Das Gute: Longdrinks sind genauso teuer. Ich nehme dann mal lieber einen Moscow Mule (der wird in Japan aber mit Ginger Ale statt Ginger Beer gemacht – Banausen!).

8. Ich fühl mich so underdressed!

Gegen Tokio kann manch andere Metropole modisch einpacken. Während ich durch das Laforet, ein Kaufhaus im Szeneviertel Harajuku, laufe, komme ich aus dem Staunen nicht mehr heraus. Die Kleider von Vivienne Westwood zählen hier noch zu den gesitteteren Kollektionen. Auf der  Takeshita Dori schieben sich die Tokioer hip kids durch die nicht sehr breite Einkaufsstraße, immer auf der Suche nach möglichst ausgefallenen Stücken und neuen Trends. Niedliche Lolita-Kleidchen und Schulmädchen-Uniformen, Rouge unter den Augen und Pupillen vergrößernde Kontaklinsen, der Mundschutz als Accessoire oder Culotte-Hosen – in Japans Hauptstadt ist alles erlaubt. Etwas mehr von dieser Gewagtheit wünsche ich mir auch für Hamburg.

9. Alles ist so klangvoll hier

Vogelgezwitscher in der Metro-Station, ein Kuckuck ruft, wenn die Fußgängerampel auf Grün springt und wenn der Zug einfährt, ertönt eine Xylophonkomposition. Überall in der Stadt sind angenehme Melodien zu hören. Wäre auf jeden Fall eine nette Abwechslung zum Klassik-Gedudel in den Hamburger (U-)Bahnhöfen.

10. So langsam kann ich Matcha nicht mehr sehen!

Auch die Hamburger trinken Matcha. Mit Milch oder als Limo. In Japan, wo das Grüntee-Pulver herkommt, geht der Hype noch eine Spur weiter. Schokolade, Softeis, Kuchen und sogar Bier werden in der Geschmacksrichtung Matcha angeboten. Die giftgrünen Lebensmittel sehen nicht unbedingt appetitlich aus und der Geschmack ist gewöhnungsbedürftig. Gegen diese kurios-kulinarische Spezialitäten sind sie aber noch harmlos: KitKat mit Sake-Flavour, Pferde-Sashimi, Eintopf mit Bärenfleisch oder Tintenfisch-Eis. Wer's mag...

11. Ein Hoch auf das Streckennetz des HVV!

Über zehn Zuglinien, Monorail, 9 Linien Metro, 4 Linien Subway und dazu noch diverse Sonderbahnen, die Sehenswürdigkeiten anfahren – so sieht das öffentliche Verkehrsnetz in Tokio aus. Dazu muss man höllisch aufpassen, dass man nicht den Rapid- und den Local-Zug verwechselt, denn sonst rauscht man schnell an seiner Station vorbei. Auch die Bahnhöfe erinnern eher an das verrückte Labyrinth, in dem Kilometer zurückgelegt werden, um einmal die Linie zu wechseln. Noch nie habe ich mich so über das übersichtliche Hamburger Streckennetz mit vier U-Bahnen und sechs S-Bahnen gefreut wie nach meiner Rückkehr. Nichtmal der Jungfernstieg kann mir jetzt noch was anhaben.

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