So sah Hamburg vor dem Jahr 2000 aus
Der Moment, in dem Eltern ihre faustdicken Fotoalben aus dem Schrank ziehen, sie zwischen dem Kaffeegeschirr aufschlagen und anfangen, zu jedem einzelnen Foto eine Geschichte zu erzählen, gehört zur institutionalisierten Tagesordnung eines jeden Elternbesuchs. Fotoalben anschauen ist wie ein Museumsbesuch - in die Vergangenheit der Eltern. Das Gute daran: Fotoalben schaut man sich zu Hause an. Um sich mit der Geschichte einer Stadt auseinanderzusetzen, muss man schon in ein Museum fahren.
In Hamburg ist das anders. Seit Herbst 2012 stellt Jens Lilienthal täglich Fotos auf seiner Facebookseite Hamburg 2000 ein, die ausschließlich Hamburger Szenerien und Motive aus dem vergangenen Jahrtausend zeigen. Was aus Nachwuchsgründen gezwungenermaßen als Ersatzbeschäftigung des Hobbyfotografen begann, führte zu einem Gemeinschaftsprojekt, in dem Jens als Kurator einer ständig wachsenden Ausstellung fungiert.
Am Anfang stellte er Fotos aus dem Fundus einer verstorbenen Tante auf seine frisch erstellte Facebook-Seite. Mit der Einführung der Facebook-Chronologie konnte er die Fotos dann im Nachhinein ihrem ursprünglichen Entstehungsdatum zuordnen. Mittlerweile erreichen ihn im Abstand von zwei Tagen Fotoeinsendungen. "Für mich ist das Web 2.0 und kein Projekt eines Einzelnen", sagt Jens.
Der Floskel "Früher war alles besser" steht Jens skeptisch gegenüber: "Ich will zwar das Hamburg der 80er nicht zurück", erklärt der 1979 geborene Hamburger, "denn ich will nicht in dieses ständige Zurücksehen verfallen, nur weil meine Kindheit einfacher und unbeschwerter war als mein Erwachsenen-Leben." Er weiß natürlich, dass seine Seite solch eine Wirkung auf viele Leute hat, findet jedoch, dass diese Glorifizierung von Vergangenheit keinem etwas nützt.
Vielmehr will er eine Seite mit Charakter. Das schafft er, indem er hauptsächlich Privatfotos einstellt, die nicht nur Hamburger Wahrzeichen zeigen. "Ich habe auch Fotos von Franzosen, Kanadiern, Amerikanern und Engländern hochgeladen", erklärt er, "die haben zum Teil ganz andere Interessen an der Stadt gehabt, weil sie beispielsweise Angehörige der Besatzungstruppen waren." Sein Lieblingsfoto ist ein Bild von Oktober 1977, das vom Heinrich-Hertz-Turm aus geschossen wurde. "Die Fotografen müssen sich damals irgendwie auf eine der Plattformen geschlichen haben" meint Jens. Roofing anno 1977.
Die Seite bietet ein hohes Identifikationspotenzial für Ü-30-Jährige, die längst abgerissene, zu- oder umgebaute Orte ihrer Kindheit wiederkennen. Hamburg, wie es früher war, bedeutet dann Hamburg in den 60ern, 70ern, 80ern und 90ern. Dass hin und wieder unter den Bildern über die Stadtentwicklung diskutiert wird, gehört seiner Meinung nach dazu. "In Hamburg hat es schon immer stattgefunden, dass die linke Arbeiter- oder Sozialdemokratische Strömung sich an den sogenannten Pfeffersäcken reibt."