11 Gedanken, die du beim Lesen der "SCHÖNER WOHNEN" hast
Die Kleiderstange im WG-Zimmer bricht fast unter der Last der sorglos drübergeschmissenen Klamotten zusammen. Vor der Dusche liegt - in Ermangelung eines sauberen Badvorlegers - ein Geschirrtuch. Und die Heizung macht jetzt, wo sie wieder öfter benutzt wird, so komische Geräusche. Der Kühlschrank riecht seltsam.
Macht nichts! Denn wir flüchten uns in die traumschöne Welt von "SCHÖNER WOHNEN". Das Gruner + Jahr-Magazin ist seit wir denken können eine Institution des Stils und der Innenarchitektur. Liegt es mal bei den Eltern auf dem Couchtisch, blättern wir vielleicht kurz rein. Diesmal haben wir die Zeitschrift aber einer eingehenderen Prüfung unterzogen. Dabei drängten sich uns unterschiedliche Gedanken auf.
1. Die Werbung
Beim Durchblättern dieses Magazines fällt eines sofort ins Auge: Die Werbeanzeigen. Nicht nur IKEA bucht hier mehrere Seiten, sondern auch Immobilienfirmen. Bei Letzteren ist selbst die Redewendung “Hier wird geklotzt statt gekleckert” untertrieben. Die Häuser, die hier als Aushängeschilder verwendet werden, sind so absurd krass und an Perfektion kaum zu überbieten. Man kommt nicht umhin sich zu fragen, ob Schöner Wohnen nur von den oberen 1% gelesen wird. Danach freut man sich wieder über die Ikeawerbung.
2. Drapierte Gegenstände
Wenn wir ein Wohnmagazin aufschlagen, muss uns bewusst sein, dass wir größtenteils in Ausstellungshäuser oder in hergerichtete Lofts der Superreichen blicken. Meistens ist dort alles so extrem glatt, dass es schon nicht mehr wohnlich ausschaut. Deshalb wird zum einfachsten aller Mittel gegriffen und völlig wahllose Gegenstände irgendwohin drapiert. Zum Beispiel die hochhackigen Stiefel direkt neben das Bett.
3. Häuser in ...Häusern:
Denn wer kann es sich nicht leisten, in seinen Loft ein paar Häuser einzubauen? Zugegeben: Cool sieht es aus.
4. Etwas zu gut gemeinte Farbkonzepte
Solche Vorher/Nachher-Projekte sind meist ziemlich eindrucksvoll, bei Schöner Wohnen fragt man sich jedoch hinterher, ob es sich noch um den gleichen Raum handelt. Klassiker: Das Vorher-Foto so klein und schlecht wie möglich zu machen. Was allerdings aus den Räumen gemacht wird, ist doch ziemlich abwegig. Denn wer streicht seinen kompletten Flur - inklusive Türen, Wände und Fußboden - mintfarben?!
5. Überall die gleiche Frage
Und damit meinen wir: “Wie schaffen Sie es, ein stilvolles Zuhause mit Fulltime-Job und einer Familie zu vereinbaren”? Wird natürlich - ein Schelm, wer Böses dabei denkt - mal wieder eine Frau gefragt. In einem Interview zu ihrem Job.
6. Die zahlreichen “Preis auf Anfrage”-Möbel
Ja, ja. Die gezeigten Möbel dienen hauptsächlich der Inspiration und sind in den wenigsten Fällen als tatsächliche Kaufempfehlung gedacht. Aber manchmal kommt es einem eher vor wie Luxus-Geilheit, wenn der extravagante Stuhl “Gender”, der harte und weiche Elemente miteinander kombiniert (Ja, ja, wir wissen schon…) und völlig unbrauchbar aussieht, präsentiert wird. Ein paar Seiten vor dem Leuchtobjekt “Stafa” und dem Sessel “Bollo”, ebenfalls Preis auf Anfrage.
7. Die Stilberatung für Leser
Da fragt ein Leser am Telefon nach einem Vorschlag für einen Leseecken-Sessel. Die Redaktion schlägt drei Modelle vor: Eines für 2.290€, eines für 2.710€ und eines für 2.215€. Dass eine Einrichtungszeitschrift und vor allem “Schöner Wohnen” sich nicht auf untere Budgetklassen beschränkt, ist klar. Aber wenn es um praktische Vorschläge für echte Leser geht? Da sollte vielleicht ein bisschen Variation in den Preisen sein.
8. Haben “Schöner Wohnen”-Redakteure den besten oder den schlechtesten Job der Welt?
Den ganzen Tag umgeben von Traumhäusern, Luxusmöbeln und unfassbar stilsicheren Menschen super! Aber was, wenn das so absolut nicht der eigenen Lebensrealität übereinstimmt? Was, wenn die Kinder schon wieder mit dem Edding an der Küchenwand gemalt haben oder die Fassade seit gefühlten 5 Jahren renoviert wird? Für Interiorliebhaber ist dieser Job vielleicht der Balanceakt zwischen Himmel und Hölle.
9. Die “Schöner Wohnen” ist gar nicht mehr so altmodisch
Auch wenn sich der Stil der gezeigten Einrichtung trotzdem noch eher für gesetztere Herrschaften eignet, hatten wir die Zeitschrift von früher doch noch etwas anders im Kopf. Assoziationen waren überbordende Rüschen und abschreckender Landhausstil - der Geschmack scheint urbaner geworden zu sein. Oder täuschen wir uns da?
10. Arbeitet Angelika Taschen in der Redaktion?
Erinnert ihr euch noch an dieses Interview mit Angelika Taschen in der WELT? Und hier noch einmal kommentiert von VICE. Wir werden den Eindruck nicht los, sie habe sich in die Redaktion eingeschlichen, um stilistische Tipps zu geben. Von Wechseljuicern haben wir zwar noch nicht gelesen, aber wer vorschlägt, zum Filmabend eine Popcorn-Bar in Sektkühlern auf Alvar Aaltos Teewagen anzubieten... naja. Wir nehmen Netflix & Chill und Pizza und schielen neidisch rüber.
11. Wir würden in jedes dieser Häuser einziehen
Denn seien wir mal ehrlich: Wer würde schon “Nein” sagen zu den perfekt gestylten Lofts, Häusern, Wohnungen und Landsitzen, in deren Gärten immer die Sonne scheint, die Enkel Unkraut jäten und die Tischdecke nonchalant vom Winde verweht wird. Dann nehmen wir auch die mintfarbenen Flure, die hochhackigen Schuhe neben dem Bett und die unbrauchbaren Sessel. Wir sind ja eigentlich nur neidisch. Und bei der letzten Seite angekommen wissen wir: Jetzt müssen wir nur noch reich werden.