Glaube, Liebe, Hamburg: Lina Guck-in-die-Luft

© Lina Hansen

Segel Setzen #11

„Also bist du die nächsten vier Monate erstmal in Hamburg?“, sie freut sich und steckt sich eine Cocktailtomate in den Mund – M. und ich sind zum Frühstücken im Karoviertel verabredet. „Ja, genau. Und währenddessen hatte ich noch ein, zwei andere Dinge geplant. Und im Januar ziehe ich dann nach Berlin. Und dann arbeite ich da für ein paar Monate und was dann kommt, weiß ich noch nicht. Ich hab aber schon ein paar Ideen“.

„Halt Stop! Jetzt müssen wir aber erstmal über deine Zeit in Hamburg reden. Was ist in den nächsten Wochen so geplant?“

(c) Lina Hansen

Ich erzähle ein bisschen von meinen Plänen und merke immer wieder, dass ich davon abkomme und über Langfristiges sprechen will. Nicht über das, was unmittelbar vor mir liegt. Nicht über das, was gerade an der Reihe ist. Nein, über das, worüber ich mir jetzt, an diesem Vormittag im Café mit diesem Frühstück vor mir keine Gedanken machen muss. Träume, Träume, Träume statt handfester Tatsachen.

Träume, Träume, Träume statt handfester Tatsachen.
Lina Hansen

Wann hat das eigentlich angefangen, das mit der Ungeduld?

Wenn der Hans zur Schule ging,
Stets sein Blick am Himmel hing.
Nach den Dächern, Wolken, Schwalben
Schaut er aufwärts allenthalben:
Vor die eignen Füße dicht,
Ja, da sah der Bursche nicht,
Also daß ein jeder ruft:
"Seht den Hans Guck-in-die-Luft!"

Wann hat das eigentlich angefangen, das mit der Ungeduld? Das mit dem Vorausdenken und dem im Kopf immer etwas weiter sein als im wahren Leben?Denke ich an meine Zukunft, ist eines ganz klar: Ich habe die nächsten Monate schon geplant – aber mein Kopf ist bereits viel weiter. Alles, was in der kommenden Zeit abgehandelt wird, ist im Kopf schon passiert, in der Realität aber noch nicht. Man könnte jetzt sagen „Hey, besser als Perspektivlosigkeit!“ und ja – das ist es wirklich. Nur die Gedanken sind ja nicht ausschließlich positiv besetzt und freuen sich auf eine strahlende Zukunft. Genauso treten sie mir auf die Füße und pflanzen Zweifel an den Entscheidungen, säen Unsicherheit, machen Sorgen. Aber egal, ob sie positiv oder negativ sind: Sie verhindern, dass ich mich auf das Hier und Jetzt konzentriere. Dass ich mal langsam mache und eine Sache so richtig, richtig statt drei Sachen irgendwie so.

(c) Lina Hansen

Ich gönne mir keine Geduld mit mir selbst

Eine weitere Sache, die von der Ungeduld auf zukünftige Projekte sabotiert wird: Die Geduld mit mir selbst. Das Wissen darum, dass ich nicht alles sofort können, wissen und kennen muss. Die Genügsamkeit, was meine Fähigkeiten angeht. Wenn ich mit dem Kopf in der Zukunft lebe, stelle ich die Ansprüche der Zukunft an mein jetziges Ich. Diesen Kampf kann ich nur verlieren. Das einzige Ergebnis ist Enttäuschung.

Nichts ist auf Anhieb perfekt und das muss es auch gar nicht sein. Trotzdem erhebe ich diesen Anspruch, statt mir Zeit zu lassen. Zu lernen. Fehler zu machen, sie zu radieren und wieder neu anzufangen. Statt hinzufallen und aufzustehen, würde ich am liebsten nach dem Hinfallen direkt zum nächsten Ziel robben.

 

Wenn ich mit dem Kopf in der Zukunft lebe, stelle ich die Ansprüche der Zukunft an mein jetziges Ich.
Lina Hansen

Aber was bringt mir das? Wäre es nicht viel angenehmer für alle Beteiligten – und vor allem für mich – wenn ich der Gegenwart und der ganz nahen Zukunft Tribut zollen und ihr die Aufmerksamkeit widmen würde, die sie verdient und die ihr gut tun würde? Klar wäre das angenehmer! Stichwort Achtsamkeit – ich könnte auch die täglichen Erfolge sehr viel mehr schätzen. Ein Schritt vor den anderen setzen.

(c) Lina Hansen

Gleichzeitig weigere ich mich aber, meine Hans-guck-in-die-Luft-Mentalität ganz aufzugeben. Schließlich identifiziere ich mich nicht nur mit seinem Namen. Hans sieht den Himmel, beobachtet Wolken und Schwalben. Wie traurig wäre es, wenn ich das plötzlich nicht mehr hätte. Aber neben den ständigen Zukunftsvisionen könnte ich vielleicht auch mal kurz auf meine Füße gucken. Sonst lande ich nämlich wie Hans im Wasser, muss rausgezogen werden und erkälte mich. Dabei hab ich doch schon so viel für die Zukunft geplant.

Lina ist geboren und aufgewachsen in Hamburg und hat auf keiner ihrer Reisen jemals eine Stadt gesehen, die sie so gefangen nimmt. In ihrer Kolumne "Segel setzen" schreibt sie regelmäßig über die großen und kleinen Themen des Alltags einer Mittezwanzigjährigen – und natürlich über die Liebe zur Herzensstadt.

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