Glaube, Liebe, Hamburg: Liebeskummer mit drei Gläsern Wein abschaffen

© Serge Esteve

Für diesen Text müssen wir uns alle einen antüdeln. Moment, ich hole uns eine Flasche Rotwein.

Das erste Glas Wein: Ich hasse alles.

Freitagabend, trinken bei Freunden, die Liebste sagt irgendwas Schräges, ich springe drauf an, sie blafft zurück, wir streiten, wir gehen nach Hause, ich weine beim Einschlafen.

Sonntagmorgen, er hat sich seit 27 Stunden nicht gemeldet, sie guckt im 7-Minuten-Takt auf ihr Handy, er schreibt nicht, ihr Wochenende ist im Arsch.

Mittwochvormittag, er sieht sie mit ihrem hübschen Kollegen Kaffee holen, die beiden grinsen etwas zu verliebt, seine Begrüßung fällt aggressiver aus als geplant, beide gehen nachdenklich ihrer Wege.

Das sind klassische Liebeskummersituationen, die sich in unseren Alltag einschleichen, sich in Gedanken festsetzen und dann langsam unsere Stimmung vergiften. Um es mal bei den richtigen Worten zu nennen: Beschissene Kacksituationen sind das. Wie sehr mich Streit in Beziehungen, unterdrückte schlechte Gefühle und sich nicht meldende Menschen schon in meinem täglichen Leben negativ beeinflusst haben - darüber mag ich gar nicht nachdenken. Zu groß ist der Frust darüber, wie viel Energie ich bereits verschwendet habe, indem ich nicht aus mir herauskommen konnte. Indem ich Zuhause lag, unfähig, etwas Produktives zu tun, mich über den sonnigen Herbstnachmittag zu freuen oder darüber, dass der Franzbrötchenverkäufer mich so nett angelächelt hat.

Aber warum sind diese Situationen so raumgreifend und warum kann ich sie nicht aus einer angemessenen Distanz betrachten? Warum bin ich entweder gelähmt oder rassele aus den banalsten Gründen mit der jeweiligen Lieblingsperson aneinander, die mich doch eigentlich glücklich machen sollte?

© Lina Hansen

Das zweite Glas Wein: Die Analyse.

Möglicherweise liegt das Problem gar nicht in den Situationen selbst. Denn diese Situationen wiederholen sich, in jedem Leben, bei jeder Person, überall und immer wieder. Sie sind unvermeidbar und unterscheiden sich nur darin, wie wir mit ihnen umgehen. Und wie wir mit Situationen umgehen, liegt darin begründet, wie wir die Beziehung zur anderen Person einschätzen, wie wir uns selbst einschätzen, wir wir etwas interpretieren.

Können wir uns gerade selbst nicht gut leiden, brauchen wir klare Strukturen. Beziehungen, in denen wir uns fallen lassen können. Eine konstante Zufuhr an Zuneigung. Wünschen wir uns eine Beziehung, so projizieren wir unsere Erwartungen auf die andere Person. Wir klammern uns an das Bild, das wir von ihr haben und klammern uns an die Zärtlichkeit, an die Verlässlichkeit, an die Hoffnung, geliebt zu werden. Das sind Ansprüche, die wir entwickeln, die die andere Person niemals wird erfüllen kann - oft auch, weil sie sich darüber gar nicht bewusst ist.

In einer idealen Welt führen wir ausgeglichene glückliche Beziehungen und klären Konflikte sachlich und erwachsen. Wir sind mit uns selbst im Reinen, wir akzeptieren unsere Schwächen und wissen, mit ihnen umzugehen. Übertrage ich das auf eine romantisch und sexuell aufgeladene Beziehung, heißt das: Ich kann mich auf die andere Person in einem ganz anderen Maße einlassen. Ich sehe sie, wie sie ist und liebe sie für das, was sie ist - und nicht für das, was ich auf sie projiziere. Das ist eine ziemlich feine Angelegenheit.

© Lina Hansen

Das dritte Glas Wein: Die Realität

In einer idealen Welt wäre es so, dass ich meine eigenen Probleme mit mir selbst nicht in die Beziehung zu anderen Personen einbringe. Wir leben aber nicht in rosaroten Zauberstaubwelten, sondern in Durchschnittsville in der Mittelmaßstraße 0815. Und da gibt es Höhen und Tiefen - tiefe Tiefen, wenn wir es genau nehmen.

Das Schöne ist aber: In dieser realistischen Welt werden wir trotz unseres Selbsthasses geliebt. Wir werden auf die Nase geküsst, wenn wir uns in unserem Selbstmitleid verlieren. Wir bekommen Pizza gebracht, wenn wir es nicht aus dem Bett schaffen. Wir werden regelmäßig angerufen und besucht und mit Süßigkeiten versorgt, wenn die Außenwelt gerade zu viel für uns ist. Denn wir sind nicht die Einzigen, denen es so geht, das ist das Traurige, aber auch das Schöne.

In einer nicht idealen, dafür aber realistischen Welt sind wir alle etwas angeknackst. Das ist aber okay, that’s how the light gets in.

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