Glaube, Liebe, Hamburg: Die Leute geben einen Scheiß auf dich. Und mich.

Der Morgen war nicht einmal besonders stressig – ich konnte vor der Arbeit sogar noch frühstücken (Das schaffe ich selten!), Wäsche waschen und ein paar Telefonate führen. Als ich dann zufrieden mit mir selbst und meiner Produktivität im Bus saß, fiel es mir auf, so zwischen den Haltestellen Sternbrücke und Schulterblatt. Ich fasste mir unbewusst ins Gesicht und merkte, dass ich komplett vergessen hatte, mich zu schminken.

Jede*r hat ja eine eigene Schminkroutine – meine ändert sich ständig. Je nach Jahreszeit, Lust, Stimmung und Zeit. Manchmal fahre ich das volle Programm, so mit Make Up, Rouge, Lidschatten und so weiter. Manchmal nehme ich nur Concealer und Mascara. Meist lasse ich sogar die Mascara weg – nur die Augenbrauen mache ich mir immer.

Ungeschminkte Dates? Für mich perfekt.

Irgendwann habe ich zum Beispiel eingesehen, dass Dates sehr viel entspannter ohne Mascara laufen – der Panda-Look nach Verlassen der Wohnung am nächsten Morgen nervt mich selbst. Je nach Schlafdefizit ist es schon netter, sich die Augenringe wegschminken zu können, aber selbst das – who cares? Der Busfahrer? Sicherlich nicht. Make-Up macht Spaß, definitiv. Ich liebe Lippenstift: Es gibt wenig, was mir mehr das Gefühl gibt, den Tag im Griff zu haben, als rote Lippen.

„Bist du krank?“ – Ja, natürlich habe ich den Klassiker auch schon ein paar Mal gehört, wenn ich ungeschminkt war. Aber erstens wurde er in letzter Zeit weniger und zweitens finde ich, dass er mehr über die Taktlosigkeit des Gegenübers aussagt, als über den Fertigkeitsgrad meines Aussehens. Ich sah schon sehr oft kränklich aus – trotz Schminke.

Nehmen wir uns und unser Äußeres wichtiger als wir sollten? Definitiv.

Und heute – tja. Da habe ich vergessen, mich zu schminken. Und was ist passiert? Nichts. Mich hat niemand darauf angesprochen, es gab keine komischen Blicke und ich möchte meinen Arsch darauf verwetten, dass es kaum jemand gemerkt hat. Nichtmal ein “Oh, Lina, hat’s dich erwischt?” und das, obwohl wir gerade die Schnupfenjahreszeit haben.

Und das ist doch die Sache. Wir messen uns selbst und unserem Äußeren viel zu viel Bedeutung bei und denken, wir würden stets im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit der anderen Leute stehen. Ob wir geschminkt sind oder nicht, ob wir besonders auffällig oder besonders schlabberig oder besonders knapp angezogen sind – sehen wir anders aus als sonst oder bewegen uns anders als sonst oder tun auf offener Straße andere Dinge, als sie einfach nur entlangzugehen, denken wir sofort, uns würden Blicke verfolgen. Kann es etwa sein, dass unsere Gesellschaft sich tatsächlich zum Besseren verändert? Oder war es vielleicht schon immer so, dass wir uns wichtiger genommen haben, als wir sind?

Ich verrate euch was: Leute interessieren sich einen Scheiß für uns. Ist mir jemals ein Pickel an einer anderen Person aufgefallen, wenn diese mich nicht darauf hingewiesen hat? Denke ich mir „Oh wie komisch steht diese Person da und fotografiert Street Art“? Und wenn jemand vorbeiläuft und ich laut lache, dann tue ich das nur, weil ich gerade das gesehen habe:

Niemand bewegt sich leichtfüßig außerhalb seiner Comfort Zone. Und doch muss es manchmal sein, aus Zeitgründen oder auch vielleicht, weil es bereichernd ist, die Comfort Zone mal zu verlassen. Für manche bedeutet das: Sich was trauen und den roten Lippenstift auftragen. Und für manche bedeutet das: Sich was trauen und den roten Lippenstift weglassen.

Oder ihn vergessen, weil man so ein Produktivitäts-Badass ist wie ich heute Morgen.

Oder ihn sich einfach wegknutschen lassen. Eigentlich eh das Beste.

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