In der Neustadt wird jetzt im Wald gezapft!

© Benedikt Ernst

Ich bin im Wald geboren und aufgewachsen. Einem Wald, in dem es dunkel, kühl und ein bisschen gruselig ist. Und wie alle Menschen, die diesem Wald entstammen, habe ich eine Schwäche für gutes Bier.

Ich sehe dunkelgrüne Kacheln, kupferglänzendes Rohrwerk und ein golden leuchtendes, bestens sortiertes Spirituosenregal.
Benedikt Ernst

Im Grunde war also schon im Vornherein klar, dass ich mich im versoffensten Wald Hamburgs sehr wohl fühlen würde. Ein kühles Feierabendbier sollte es werden, auf dass sich die verknoteten Synapsen wieder lösen. Ich sehe dunkelgrüne Kacheln, kupferglänzendes Rohrwerk und ein golden leuchtendes, bestens sortiertes Spirituosenregal. Wie in meinem alten Wald steht ein großer Mann mit Schnurrbart hinter dem Tresen, er sieht aber ganz anders aus, niemand würde ihn als "Wirt" bezeichnen, wir sind hier schließlich in einer Bar. Doch der grobe Humpen, den er mir in die Hand drückt, ist nicht nur herrlich kalt, er fasst auch einen halben Liter. Wie früher. Wie es sich gehört. Die Freunde trudeln ein, ich hatte sie noch gar nicht vermisst.

Wald-Hamburg-Neustadt-Bier
© Benedikt Ernst

"Was ist jetzt das Besondere an dem Bier?"

"Das ist tschechisches Tankbier."

"Was bedeutet das?"

"Keine Ahnung."

"Und warum ist der Typ mit dem Schnurrbart eigentlich so unfreundlich?"

"So sind die Menschen im Wald nun mal."

Wald-Hamburg-Neustadt-Bier
© Benedikt Ernst

Eine kurze Recherche auf der Rückseite des Bierdeckels ergibt, dass das Bier aus der großen Brauerei in Pilsen unpasteurisiert und innerhalb von 24 Stunden nach Hamburg gekarrt wird, wo es direkt in einen großen Tank wandert und von dort ins Glas. Zu keinem Zeitpunkt kommt es mit Sauerstoff oder zugeführter Kohlensäure in Berührung. "Durch das Tanksystem entfaltet sich das Aroma des würzig-herben Saazer Hopfens und des süßlichen Pilsner Malzes noch milder, cremiger und geschmacksintensiver", sagt der Bierdeckel, und im Gegensatz zu jeder anderen Großbrauereien-Werbung kann man das genau so stehen lassen.

Ich hebe meinen leeren Krug in Richtung Tresen. Der Schnurrbart nickt, ohne mich anzusehen.
Benedikt Ernst

"Ich finde, da muss mehr Kohlensäure rein, das trinkt sich ja viel zu schnell", sagt jemand am Tisch. Ich verstehe das Problem nicht. Genauso wenig wie die Menschen an den anderen Tischen, die das Tankbier verschmähen und sich sorgsam zubereitete Drinks bringen lassen, mögen sie noch so köstlich aussehen. Ich hebe meinen leeren Krug in Richtung Tresen. Der Schnurrbart nickt, ohne mich anzusehen.

Wald-Hamburg-Neustadt-Bier
© Benedikt Ernst

Eine bestimmte Szene ist nicht auszumachen. Hier die üblichen Werber mit ihrem Versuch eines eleganten Hiphop-Styles, da die nicht-mehr-ganz-so-jungen Sexbomben mit rotem Lippenstift. Bärte und Sneakers sind auch da, wie überall, wo Gin und Tonic fließen. Es wirkt nachbarschaftlich und entspannt. Wer Halligalli sucht, kommt ja auch nicht an den Großneumarkt. Ich fühle mich so wohl, dass ich mir Wurst mit Brot und Senf bestelle. Gute Freunde erkennt man daran, dass man sich traut, in ihrer Gegenwart Wurst zu essen.

Und kann ich bitte noch so ein Tankbier? Danke.
Benedikt Ernst

Am Ende hätte ich gerne noch mehr getrunken, aber der Heimweg auf dem Fahrrad, das Meeting, die Waage. Dinge, die in meinem alten Wald niemanden zu kümmern scheinen. Trotzdem freue ich mich, den Hamburger Wald mit seinem kleinen Garten entdeckt zu haben. Beim nächsten Mal verlaufe ich mich bestimmt.

Wald-Hamburg-Neustadt-Bier
© Benedikt Ernst
Wald-Hamburg-Neustadt-Bier
© Benedikt Ernst

Selbst zapfen im Wald

Tipp der Redaktion: Tankbier, dazu Bio-Wurst oder Obatzda.

Reservieren: Wenn, dann am Tisch mit eigenem Zapfhahn.

Pro-Tipp: Kleine Wochenkarte mit warmen Gerichten bis 20:00 Uhr, danach nur noch kalte Brotzeit.

  • Wald
  • Montag - Mittwoch: 12-00 Uhr, Donnerstag-Samstag; 12-03 Uhr, Sonntag: 14-00 Uhr
  • Alles unter 10 Euro.
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