Die Stolpersteine - meine alltägliche Erinnerung gegen das Vergessen

Heute ist der 09. November. Ein Tag der Erinnerung, nicht nur an die Geschehnisse des 09. November 1938, sondern ein exemplarischer Tag der Erinnerung an etwas im Grunde Unvorstellbares. Nicht nur, weil wir es selbst nicht miterlebt und mit eigenen Augen gesehen haben, sondern weil es das größte, grausamste und unmenschlichste Verbrechen der Menschheitsgeschichte gewesen ist.

Mit diesen Verbrechen und den dazugehörigen Opfern werden wir im Alltag generell äußerst selten konfrontiert. Auch wenn es in Hamburg mittlerweile mehr als 100 Gedenkstätten gibt, muss man sich dort größtenteils bewusst hinbegeben, sprich die Auseinandersetzung mit den Verbrechen während der NS-Zeit wirklich ganz gewollt suchen. Macht man dann am Ende des Tages oft leider doch nicht, immer gibt es irgendwie wichtigeres, beziehungsweise Angenehmeres zu tun. Ich jedenfalls war bis heute noch nicht in der KZ-Gedenkstätte in Neuengamme, auch wenn ich mir den Besuch schon oft vorgenommen habe.

Anders verhält es sich zum Glück mit den über 5.000 Stolpersteinen in Hamburg, von denen mir einige jeden Tag erneut ins Auge fallen, wenn ich durch Hamburg unterwegs bin - denn denen kann ich nicht aus dem Weg gehen, und darüber bin ich äußerst dankbar.

„Das Grauen begann nicht erst in Auschwitz, Treblinka oder in anderen Lagern, es begann in unseren Nachbarschaften, in unserem Haus, vor unserer Tür!“, heißt es auf der Webseite der Initiative „Stolpersteine in Hamburg“, und genau darum geht es. Es geht darum, die Erinnerung permanent wach zuhalten, sich daran zu erinnern, zu welchen Grausamkeiten Menschen fähig sind. Sich bewusst zu machen, dass vor gerade mal 80 Jahren Menschen in Hamburg aus ihren Häusern und Wohnungen verschleppt und vertrieben, verhaftet und ermordet wurden. Häuser, in denen wir heute wohnen, in denen sich vielleicht unser Lieblingscafé befindet oder an denen wir täglich auf dem Weg zur Uni, zur Arbeit oder zu unseren Freunden vorbeigehen.

 

Stolz können wir auf diese Stadt aber nur sein, wenn wir uns so oft wie möglich daran erinnern, was passiert ist.

Aber „die Menschen“, die diese Verbrechen begannen haben, sind nicht irgendwelche grobkörnigen, schemenhaften Wesen in Schwarz-Weiß aus dem N24-Nachtprogramm, sondern waren unsere Vorfahren - und ich rede hier nicht vom Mittelalter, sondern von unseren Groß- und Urgroßeltern, von BürgerInnen der Stadt Hamburg, die Stadt, auf die wir heute alle so stolz sind.

Stolz können wir auf diese Stadt aber nur sein, wenn wir uns so oft wie möglich daran erinnern, was passiert ist, und vor allem wie schnell das alles passieren konnte, und dass diese Verbrechen unter den Augen der Öffentlichkeit mitten in einer Stadt wie Hamburg stattfanden, vielleicht genau in der Straße, in der du wohnst, in der Wohnung unter oder über dir, und wir versuchen, diese Erinnerung jeden Tag in unseren Alltag und unser alltägliches Handeln und unsere alltäglichen Entscheidungen einfließen lassen.

Wir dürfen niemals (wieder) zulassen, dass unsere MitbürgerInnen, Nachbarn, und Freunde nicht nur ausgegrenzt, sondern drangsaliert, verfolgt und ermordet werden, weil sie Minderheiten angehören, die sich nicht ausreichend schützen können oder geschützt werden. Daran erinnern mich die Hamburger Stolpersteine jeden Tag.

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