Auf ein Astra mit... Bosse

Bosse ist vielleicht der netteste Mensch der Welt. Ach, quatsch! Er IST der netteste Mensch der Welt! Ich lehne mich da jetzt vielleicht ein bisschen aus dem Fenster, aber ich wette, du würdest das selbe sagen. Wir haben uns ganz entspannt auf ein Bierchen getroffen und über Angst, Wut, den Echo und Bosses (möglicherweise) bald bevorstehende Reggae-Karriere gesprochen!

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Ich hab mich daran erinnert, dass ich – das muss so ungefähr 10 Jahre her sein – das Video von „Die Irritierten“ nachts auf MTV gesehen habe und dich und deine Musik praktisch dadurch entdeckt hatte. Das ist eine sehr spezielle Art, Musik zu entdecken, wie läuft das bei dir ab?

Ich habe eine ziemlich agile Frau, muss ich sagen. Also meine Frau ist viel musikinteressierter, als ich das je war; die hat früher im Plattenladen gearbeitet und ist auch heute noch genau hier. Also die steht in der Hanseplatte und sucht und redet viel darüber. Ich höre in Hamburg viel 91,7, die ich immer gut finde und ansonsten kommt das so reingeflogen.

Vermisst du das klassische Musikfernsehen?

Das ist ja auch die Frage, ob ich es noch gucken würde. Ich gucke so auch kein Fernsehen. Ich fand Viva2 ganz cool, aber auch schon damals hab ich das noch nie so richtig gemocht. Letztens war ich mal wieder bei Viva – ich wusste gar nicht, dass es das noch gibt.

Ich kann nicht mehr darüber singen, dass ich durch Berlin laufe mit einem Döner in der Hand und schrecklich arm bin...

Jetzt bist du natürlich auch schon etwas länger dabei. Hast du Angst dich zu wiederholen?

Ja! Ich hatte immer schon die Angst mich zu wiederholen und die Angst, dass es nichts mehr gibt, das ich sagen kann. Es hapert auch oft gar nicht so an den Themen. Mein ganzes Leben lang hab ich ja schon mit meiner Sprache gehadert und geschaut, wie ich Sachen sagen kann, ohne zu kompliziert zu sein, nicht zu lyrisch zu werden, trotzdem direkt zu sein, nicht zu prollig oder zu poppig. Ich hab mich beim neuen Album gefragt – ich bin jetzt 36 – Was sind eigentlich so meine Themen? Ich kann nicht mehr darüber singen, dass ich durch Berlin laufe mit einem Döner in der Hand und schrecklich arm bin. Die Zeiten sind einfach vorbei. Jetzt hab ich ein Kind, die ist 10 und geht zum Kung Fu und so. Das Leben bietet nicht mehr diese Steilvorlagen.

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Ich habe das Gefühl, dass du mit jeder Platte etwas „sanfter“ geworden bist. Ich weiß nicht, ob man das so sagen kann, aber ich finde, du warst früher wütender.

Musikalisch war ich sicher wütender. Textlich bei der ersten Platte auch... Bei der Zweiten weiß ich gar nicht mehr, was das überhaupt textlich war. Ansonsten finde ich schon, dass „Engtanz“ energiereich ist. Dass ich die Gitarre wiedergefunden habe. Aber ja, ich glaube so eine „jugendliche Wut“ ist da nicht mehr. Ich probiere die Energie über den Beat zu halten.

Das einzig positive an der heutigen Zeit ist, dass alle sich politisch äußern müssen.

Gibt es Sachen, die dich noch wütend machen?

Ja, sicher. Total. Da könnte ich jetzt Stunden drüber reden. Ist halt nur die Frage, was das in meiner Musik zu suchen hat. Bei mir geht’s über die Gesellschaft irgendwie nicht hinaus. Aber das auch aus gutem Grund. Ich versuche schon seit sechs Jahren mein erstes, richtiges, musikalisches, politisches Statement abzugeben – die schaffen es dann aber nicht auf’s Album. Ich höre aber zum Beispiel gern die Antilopengang oder Peter Licht und denke dann: Es muss jetzt mindestens ein Peter Licht Song werden – oder noch besser und wenn es nicht besser ist, dann passt es eben nicht auf mein Album. Ansonsten hab ich natürlich die Möglichkeit mich anders zu äußern und Kohle zu sammeln für Hanseatic Help oder ProAsyl. Das einzig positive an der heutigen Zeit ist, dass alle sich politisch äußern müssen. Aber meine Grundintention war nie politische Musik zu machen.

Jetzt ist ja der Echo nicht ganz so lange her. Deine Mittelfinger waren in dieser fast vierstündigen Veranstaltung das einzige politische Statement – warum hast du dich genötigt gefühlt das zu machen? Oder andersrum: Ich habe mit Freunden darüber gesprochen und ein Kumpel hat argumentiert, dass er es unsinnig findet, dass du diese Meinung hast, die zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung ja etwas mit der Band Frei.Wild zu tun hat, aber nicht, wie Kraftklub vor 2 Jahren, sagst: "Wenn die hier sind, dann geh’ ich nicht hin!"

Da halte ich es dann eben eher mit Deichkind: Die sind ja dann aufgetreten, haben dann aber eine politische Darbietung gebracht mit den Trainingsanzügen. Ich hatte halt den Echo auch noch nie in meinem Leben gesehen, fand’s trotzdem aber irgendwie gut, dass wir da eingeladen waren.

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Ich hab die Show nicht im Ganzen gesehen, sondern nur die Ausschnitte.

Ich auch nicht! Ich hab auch nur die Ausschnitte gesehen!

Ist das passiert nachdem Frei.Wild den Echo bekommen hatten oder danach?

Nee, das ist danach passiert.

Ich habe halt 6 Jahre Musik gemacht und es kam keine Sau!

Was denkst du hat sich am Meisten bei dir seit der ersten Platte verändert? Vermisst du irgendwas an dem, wie du früher Musik gemacht hast oder wie du selber warst?

Nee, irgendwie nicht. Die Sachen, die ich heute vermisse, sind die gleichen Dinge, die ich damals auch vermisst habe. Es ist schon immer leicht oder schwer gefallen einen Song zu schreiben. Meine Band ist immer noch die selbe.Die Konzerte sind größer geworden. Manchmal fehlt es mir ein bisschen mit so einem Sprinter loszufahren und nicht zu wissen, ob irgendwer kommt und dann kommt doch jemand.

Ich habe das jetzt nicht gegengecheckt, aber zumindest gefühlt wird jede deiner Platten ja immer etwas erfolgreicher als die letzte. Hast du Erfolgsdruck? Machst du dir selbst Druck? Wärst du enttäuscht, wenn es nicht so erfolgreich wäre, wie die Platte davor?

Ich sag’ mal so: Ich weiß ganz genau, wo wir herkommen. Ich weiß, dass wir der Gosse entsprungen sind. Ich habe halt 6 Jahre Musik gemacht und es kam keine Sau! Es wurde immer ein bisschen mehr und es wird auch immer ein bisschen mehr, aber ich bin dann mal gespannt, wie das wird, wenn es wieder weniger wird. Sven Regener hat mal über Misserfolg in der Musik gesagt, wenn man so weit oben anfängt und fällt, dann macht das bitter. Aber die Erfahrung habe ich natürlich noch nie selbst gemacht.

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Ich habe gelesen, dass du für die Aufnahmen mit deinem Produzenten nach Italien geflogen bist?

Auto bin ich gefahren! Richtig vollgepackt. Philipps Eltern haben sich dort in ihrer Hippie-Zeit zwei alte Steinhäuser gekauft. Drumherum ist ein Tabakfeld, es gibt eine Pizzeria und dann gibt’s eben diese beiden Häuser und dahinter ist ein Wald. Und der Deal mit meiner Familie ist eben: Wenn ich zu Hause bin, dann bin ich zu Hause, aber wenn ich weg bin, dann will ich eben auch nur Musik machen. Ich schaffe da in zwei Wochen das, was ich in Deutschland in einem halben Jahr schaffe.

Hättest du Lust dich Mal musikalisch auf andere Pfade zu wagen? Wie wäre es den z.B. Mal mit Electro oder Reggae?

Ja, Reggae, ich glaube, für mich gibt es nichts schlimmeres als Reggae! Das ist für wie so eine Helene Fischer Platte – aber das könnte auch daran liegen, dass ich da noch nicht so tief eingetaucht bin. Ansonsten habe ich bei der neuen Platte versucht auf die elektronischen Elemente zu verzichten, aber eigentlich gibt es da keine Grenze. Ich hätte Mal wieder Bock auf eine richtige Gitarren-Platte, die live aufgenommen wird. Ich hab eigentlich auf Vieles noch Bock, zum Beispiel auf eine Platte nur mit Klavier, aber ich habe auch auf richtigen Electro noch Bock.

Wenn ich zu Hause bin, dann bin ich zu Hause, aber wenn ich weg bin, dann will ich eben auch nur Musik machen.

Du hast aber auch ein Casper-Feature auf der neuen Platte – du könntest also jetzt die große Rap-Karriere starten, faktisch...

Ja, also ich denke das wäre ein ganz, ganz bescheuerter Schritt.

Ich habe dich in Interviews – und natürlich jetzt gerade auch - immer auch so ein bisschen demütig erlebt gegenüber allem, was dir so passiert. Oder auch auf der Bühne letztens in der Freiheit, da hat man ja auch immer irgendwie das Gefühl, da steht grad ein Kumpel auf der Bühne, der richtig Bock hat, dir das vorzuspielen. Hast du das Gefühl, dass sich klassisches Rockstar-Gehabe überholt hat oder war das einfach nie dein Ding? Bewunderst du das bei anderen?

Dieses Rockstar Ding ist ja auch auf der einen Seite einfach Attitüde und auf der anderen Seite gibt es wohl wirklich Künstler, die einfach so sein müssen, die sind dann aber eventuell für das soziale Leben auch gar nicht zu gebrauchen. Dann gibt es Leute die sind total unsicher und werden dadurch unnahbar. Jeder muss halt für sich sehen, was er so vertreten kann und für mich gibt’s eben nur das. Das habe ich dann in den Jahren so gelernt.

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Hast du dir dein „Rockstar-Leben“, deinen Musiker-Alltag irgendwie anders vorgestellt früher?

Ich hab ja schon mit 12 meinen ersten Job gehabt bei Such A Surge, das ist eine Band bei mir aus dem Dorf, und da war ich dann Backliner. Ich habe dann `99 mein erstes Rock Am Ring miterlebt, da haben die vor Rage Against the Machine gespielt. Da habe ich halt schon gesehen, dass das in den 90ern alles noch ganz anders war: Da haben alle Drogen genommen, da waren irgendwelche Groupies am Start und ich war natürlich immer Außen vor und habe mir das angeguckt. Ich hätte nie gedacht, dass Musik so viel Arbeit und Verantwortung bedeutet. Ohne Rausch kann ich mittlerweile auch die Konzerte viel besser genießen.

Aber meistens versackt man doch eh ganz klischeehaft in der Mutter!

Hast du in Hamburg einen Lieblingsplatz?

Ich finde da hinten, den Strand-Abschnitt in Wittenbergen, super. Wenn mich jemand fragen würde: Wo ist es in Hamburg am Schönsten, dann würde ich immer auf den Hippie Zeltplatz dort gehen. Da hab ich eben auch einen Wohnwagen stehen.

Was macht Bosse, wenn er ausgeht in Hamburg?

Ich gehe super oft auf Konzerte. Das liegt aber auch an meiner Frau.

Hast du so etwas wie eine Lieblingskneipe?

Eigentlich nicht. Aber meistens versackt man doch eh ganz klischeehaft in der Mutter!


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Bilder: © Maria Kotylevskaja


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