Alltagsvergnügen: Der Gummibärenmann in Ottensen
Wenn der Weg von und zur Bahn durch eine belebte Einkaufsstraße führt, dann kann das an manchen Tagen super zum Bummeln, an anderen aber ganz furchtbar sein, weil man es eilig hat. Ich spreche aus Erfahrung, denn ich wohne in Ottensen, und wer einmal versucht hat, an einem Samstag aus der Fußgängerzone zum Bahnhof zu kommen, weiß, wovon ich spreche.
Selbst die überzeugtesten Atheisten wünschen sich in solch stressigen Momenten wohl ein wenig Moses-Superpower, um die nervenaufreibend schwerfälligen Menschenmassen einmal flugs in der Mitte zu teilen und durchzuhuschen. Aber diese Hektik, dieser Stress, das sagen uns ja alle Expertinnen und Therapeuten und Burnout-Survivor, das ist ja auch nicht das Wahre.
Zum Glück hat Ottensen einen Menschen, der Entschleunigung und Kurz-mal-Innehalten personifiziert. Dieser Mensch unterrichtet nicht etwa Yoga oder verteilt Klangschalenmassagen, nein, er steht einfach in der Fußgängerzone, in einer Hand wahlweise einen runden Glasbehälter oder eine kleine Plastiktüte, in der anderen eine Zange aus Holz.
Kinder lieben ihn, denn mit seiner Zange verteilt er Gummibärchen und Lakritze.Katharina Fuchs
Er trägt eine Brille und immer ein Lächeln - und seit es endlich wieder wärmer wird, auch immer öfter Hawaiihemd. Kinder lieben ihn, denn mit seiner Zange verteilt er Gummibärchen und Lakritze. Nicht auf die gruselige, pädophile Art, sondern weil er im "Bären-Treff" arbeitet, einem Laden, der eben genau das verkauft: Gummibärchen, Lakritze und allerlei andere süße Dinge aus Fruchtgummi. Ich muss gestehen, ich habe in diesem Laden noch nie etwas gekauft, laufe aber so oft daran vorbei und bekomme von Sven Fechner, dem Inhaber und Gummibärenmann, wie ich ihn heimlich nenne, etwas zugesteckt, dass ich sogar eine Lieblingssorte habe.
Als ich ihn für diesen Artikel in seinem Laden besuche, erklärt er mir, dass diese Sorte sogar sein Bestseller ist: Hirnis, flüssig gefüllte Fruchtgummis in Gehirnform. Klingt ein bisschen eklig, ist aber geil. Über 130 weitere Sorten verkauft er in seinem kleinen Laden in Ottensen, teilweise vegan, glutenfrei, lactosefrei... Die Liste ist endlos, das Sortiment wird immer wieder erweitert. Auch kleine Gummibärenpräsente in Cupcake-Form, personalisierte Gummi-Pizzen oder gar ganze Torten werden in der über dem Laden liegenden Werkstatt gefertigt und verkauft.
Im Hintergrund düdelt Klassikradio, aufgenommen im Viertel, und alle, die den Laden betreten, werden nach dänischer Tradition geduzt. Der Gummibärenmann ist ein echter Lokalpatriot, obwohl er ursprünglich aus der Nähe von Bremen kommt. Doch in den 18 Jahren, die er den Laden schon führt, hat sich Fechner nicht nur eingelebt, er ist auch ein nicht wegzudenkender Teil des Viertels geworden.
Alle werden angelächelt und bekommen ein, zwei oder auch mal mehr Probier-Gummis.Katharina Fuchs
Stammkunden, die Gummibärentorten bestellen, Neugierige und Kinder mit leuchtenden Augen kommen während meines Besuchs in den Laden. Alle werden angelächelt und bekommen ein, zwei oder auch mal mehr Probier-Gummis. Sven Fechner strahlt während alldem neben schier unendlicher Begeisterung und Sympathie vor allem eins aus: Er ist angekommen und genau richtig da, wo er jetzt ist.
Wer sich immer noch wundert, was diesen Mann zu einem Alltagsvergnügen macht, für den ist diese Anekdote: Ich, gestresst auf dem Rückweg von der Uni zur Wohnung, in zackigem Tempo durch die Fußgängerzone laufend. Sven auf dem Bürgersteig, Zange in der Hand und Lächeln im Gesicht, wie immer. Er reicht mir ein Fruchtgummi, meine Lieblingssorte. Ich durchbreche mein Resting Bitch Face für ein überraschtes und erfreutes Lächeln, laufe grinsend weiter, als ich seine Stimme höre: "Hey, warte mal, du hast was vergessen!" Pure Verwirrung, ich drehe mich um und laufe zurück. Er grinst mich an und drückt mir ein zweites Fruchtgummi in die Hand: Ein rosa Gummi-Herz.
Es ist so klebrig und süß wie diese kleine Geste und klebt danach mindestens so lange in meinen Zähnen wie die Erinnerung daran in meinem Hirn und das Grinsen in meinem Gesicht.
Wenn das kein waschechtes Alltagsvergnügen ist, dann weiß ich ja auch nicht. Dann ist wohl die einzige Möglichkeit, einmal in der Bahrenfelder Straße 113 vorbeizuschauen und sich selbst zu überzeugen. Und bringt mir eine Tüte Hirnis mit!