11 Sprachunfälle in deutschen Hits

Die meisten Leute können Klugscheißer nicht leiden. Alle anderen sind vermutlich selbst welche und freuen sich über Gleichgesinnte. Ich steh zwar enorm auf Sherlock, Justus Jonas und Konsorten, muss mir aber im echten Leben trotzdem eingestehen, dass ich wie jeder Mensch Fehler mache. Vermutlich auch in Texten wie diesem. Das Gute aber: Hier fällt das nicht so vielen auf. Bei einem Popsong nämlich, den du jeden Morgen im Bad aufs Neue über dich ergehen lässt, brennen sich die sprachlichen Fehlkonstrukte unlöschbar in die Festplatte ein und treiben dich früher oder später gnadenlos in den Wahnsinn.

Eine winzige Kleinigkeit, ein einziges Wort, kann manchmal dafür sorgen, dass du dem Radio schlimme Kraftausdrücke entgegenbrüllst, obwohl das arme Auslaufmodell doch nun wirklich nichts dafür kann. So zumindest geht es mir. Und obwohl ich Musik mit deutschen Texten sehr doll und schon mindestens genauso lange liebe und außerdem auch einige der hier aufgeführten Künstler wirklich schätze, hab ich es nicht mehr ausgehalten, diese Liste nicht zu machen. Hier, aus tiefstem Herzen, meine elf Lieblingsaufreger:

1. Cro – Bye Bye

Cro macht Ohrwürmer, von denen ich verrückt werde. Weil sie an sprachlicher Inkonsequenz einfach nicht zu übertreffen sind. Gleich in der ersten Strophe ist er hier auf dem Weg nach Hause mit der Bahn, schaut aus dem Fenster und lässt Gedanken freien Lauf. Und was dann? Dann steigt Marty McFly ein und dreht die Zeit achtmal um die eigene Achse, bis sie gar nicht mehr weiß, wo sie ist. Und Cro genauso wenig.

Meiner Meinung nach die einzig sinnvolle Erklärung dafür, dass er im einen Moment noch mitten in der Gegenwart das Lied wechselt und plötzlich stand da diese Frau. Und er dachte, sie sagte, er lachte. Wow. Mal ganz abgesehen von so tiefsinnigen Erkenntnissen, wie der, was „Frauen halt eben brauchen“. Bikinis und neue Taschen nämlich. Und während diese armen shoppinggeilen Wesen aus der Vergangenheit hoffen und bangen, dass der sweete Pandamann sie endlich anspricht, kommen sie natürlich nicht auf die Idee, selbst die klischeebehaftete Lipgloss-Schnute aufzumachen. Menno, Liebe des Lebens – hättste mal was gesagt gehabt.

2. Cro – Traum

Cro kann nicht nur zeitreisen und schmonzettös auf stereotyper Rollenverteilung rumrappen, sondern hat ganz nebenbei auch mehrere Eisen im Feuer. Ja, kein Scherz! Den Beweis für seinen Wunsch nach Polyamorie liefert der Teenie-Star uns in diesem Song höchstselbst. In der ersten Strophe noch richtet er sich sehnsuchtsvoll an „dich“, „Baby“. Er hat Geld und einen potenten Jet, er ist der Hauptgewinn, nur du, schöne Unbekannte – du fehlst. Bis hierhin ein Klassiker.

Doch dann, zum Ende des ersten Refrains, passiert es zum ersten Mal: „Sie“ taucht auf. Man weiß an dieser Stelle nicht, ob Cro die feinen Eifersuchtssensoren von Baby unterschätzt oder sich einfach verplappert, jedenfalls folgt auf „Ich fühl mich so allein, weiß nicht, ob’s dich gibt“ unmittelbar „egal wie laut ich schrei, sie hört mich nicht“. Ups! Und noch schlimmer: „Doch sie ist grade irgendwo und denkt vielleicht an mich“. Ob Baby sich unter diesen Umständen wohl melden wird? Wohlwissentlich, dass er parallel an eine zweite Olle ran will? Cro jedenfalls glaubt wacker daran: „Hey Baby, bitte schreib, wenn es dich gibt!“. Merkt er selber.

3. Cro - Einmal um die Welt

Ich würde wirklich gern aufhören, auf dem armen Dichter Carlo rumzuhacken, aber er lässt mich einfach nicht. Entschuldigung: Was zur Hölle ist mit dieser Frau hier los? Ob Jetset-Krösus Cro ihr vielleicht statt Pelz lieber mal Hirn kauft? Möglicherweise verstehe ich diesen Text auch schlichtweg falsch. Trotzdem: Gleich zu Beginn des Refrains reimt er „Welt“ auf „Welt“, das lässt sich nicht schönreden. Kurz darauf fordert er sein Schickeria-Bumsinchen auf: „Also pack dir deine Zahnbürste ein, denn ab heute bist du mehr als an nur einem Ort daheim“. Aber muss es nicht streng genommen heißen „an mehr als (an) nur einem Ort“?

Die Metrik ließe dafür doch durchaus Platz, indem beispielsweise „heute“ in „heut“ verwandelt wird. Aber meinetwegen buchen wir das unter künstlerischer Freiheit ab. Irre macht es mich trotzdem jedes Mal. Was könnte da besser helfen als ein ordentlicher Schluck Champagner – oder Moment, doch lieber ein Gläschen Schampus? Cash-König Cro lässt seiner Luxuslady in Strophe eins hier immerhin die Wahl. Gut für ihn, dass sie in Vollzeit an Gucci denkt. Sonst wär ihr nämlich längst aufgefallen, dass das eine laut Duden nur ein Synonym fürs andere ist. Aufschneider, ey.

4. Silbermond – Leichtes Gepäck

Seit ich die massentaugliche Hymne auf das Loslassen, Wegschmeißen und Tupperdosen-Aussortieren zum ersten Mal gehört hatte, wusste ich, dass da irgendwas nicht stimmt. Vor etwa drei Wochen schoss es mir dann plötzlich beim Einschlafen in den zugegebenermaßen nicht ganz nüchternen Kopf. In der Bridge heißt es nämlich: „Wie geil die Vorstellung wär, das alles loszuwerden“. Ha! Wie geil die Vorstellung wär.

Konjunktiv im Konjunktiv. Sängerin Stefanie stellt sich hier also lediglich vor, wie geil es wäre, sich vorzustellen, das unter Umständen alles einfach mal loszulassen. Das ist glasklar doppelt gemoppelt. Auf diese columbusmäßige Entdeckung war ich mächtig stolz und verkündete sie aufgeregt meinem gerade eingeduselten Nebenmann. „Es muss doch heißen, ‚wie geil die Vorstellung IST‘! Weil, guck mal…“. Ich stellte mir vor, wie geil es wäre, mir seine Bewunderung vorzustellen. Er drückte mir beeindruckt ein Kissen ins Gesicht.

5. Jan Delay – St. Pauli

Nicht, dass wir uns missverstehen: Ich finde diesen Song wirklich nicht schlecht. Er fängt die wilden Hamburger Nachtgefühle in simplen, aber schönen Zeilen auf. Als wär ich hier überhaupt Bewertungsmaßstab, eigentlich will ich ja nur was über kleine sprachliche Aufreger erzählen. Für mich ist der hier allerdings eher ein richtig großer. Wie wir im Refrain erfahren, brennt auf St. Pauli noch Licht. So weit, so heimelig. Entscheidend aber ist der Nachsatz: „Da ist noch lange noch nicht Schicht“. Noch lange noch nicht.

Wäre ich eine Deutschlehrerin in der Mittelstufe, ich würde den roten Tagger-Edding meines zwölfjährigen Sohns Hagen aus seiner Jackentasche zerren und über den ganzen Aufsatz die Buchstaben WDH schmieren. Wiederholung, Mann! Noch, noch, noch, noch. Dabei wäre es so einfach gewesen, zum Beispiel mit einem superabwechslungsreichen „jetzt“ das erste der Nochundnöchers zu ersetzen. Aber nun ja. Jan ist ja schlau und hat sich bestimmt was dabei gedacht. Und auf St. Pauli ist ja ohnehin alles erlaubt.

6. Fettes Brot – Für immer immer

Ich glaube, es gibt in der semiaktuellen deutschen Popmusik keinen Song, der besser in einem Schulbuch-Artikel zum Thema „Reim dich oder ich fress dich“ aufgehoben wäre. Während es die Toten Hosen beispielsweise offenbar längst aufgegeben haben, korrekte Reime in ihre neuzeitlichen Rockschlager einzubauen („Musik“ auf „Weg“, „schwerelos“ auf „Strom“, naja), schießen die grundsympathischen fette Brote mit diesem Song den Vogel in die gegenüberliegende Richtung ab. Merkwürdigerweise kann ich mich darüber aber gar nicht so fürchterlich aufregen, sondern muss eher lachen – weil ich nämlich glaube, dass sie selbst das genauso tun.

Die alten Witzbolde haben bestimmt zusammengehockt, ein bisschen durch die grüne Brille geglotzt und sich dann gegenseitig für die stärksten Reime auf die chipsbekrümelten Schenkel geklopft. So stelle ich mir zumindest die Entstehungsgeschichte ausgeklügelter Zeilen vor wie „Ich liebte ein Mädchen auf St. Pauli, sie mochte es am liebsten, wenn ich ganz laut schrie“, „Ich liebte ein Mädchen in Schwerin, sie war pleite wie Berlin“ oder – mein Favorit – „Ich liebte ein Mädchen in Istanbul, dummerweise hielt sie mich für schwul“. Toll! Dürfte ich mir einen Reim wünschen, es wäre „dichter“ auf „Dichter“.

7. Clueso: Kein Bock zu gehen

Nicht, dass Clueso damit allein wär – dieser Fehler ist weiter verbreitet als Bazillen zur Erkältungszeit und schon ewig plagt mich der Wunsch, das mal in feinster Besserwisser-Manier klarzustellen. Also, es gibt da diese unbestimmten Artikel „ein“, „eine“ und „einen“. Während die weibliche Form in der Regel richtig mit „‘ne“ abgekürzt wird (zur Unterscheidung von „ne“ und „nee“ dann beim nächsten Mal, ne?), tut sich mindestens jeder vierte Internetnutzer offensichtlich schwer damit, die umgangssprachlich geläufigen Kurzformen „‘n“ und „‘nen“ richtig einzusetzen. Da muss jemand dann plötzlich noch „‘n Moment warten“, „‘nen bisschen schlafen“ oder fragt sich wie Clueso: „Ist das vielleicht ‘nen Rettungsboot?“.

Ein Mysterium. Ist doch eigentlich ganz einfach. Beiden, ein und einen wurde jeweils ein Ei geklaut – das ist übel, müssen wir nicht rüber reden. Trotzdem sind sie doch aber immer noch sie selbst, oder nicht? Und weil sie eben so sind und man das ja wohl noch tun darf, recken sie wütend den Auslassungszeichen-Arm nach oben. Aus „ein“ wird so „‘n“, aus „einen“ wird „‘nen“. Mal ganz davon abgesehen, dass der Bock immer noch männlich ist und es deshalb schon im Titel „keinen“ statt „kein“ heißen muss. Aber voll kein Bock, Clueso zu ärgern.

8. Kraftklub – Alles wegen dir

„Verdammte Axt, es heißt ‚deinetwegen‘!“, brachte es eine Vergnügungskollegin auf den Punkt. Dem ist im Grunde nichts hinzuzufügen. Etwas Trauriges möchte ich jedoch noch ergänzen, denn leider hat selbst der Duden, die maßgebliche Institution der deutschen Sprache, angesichts der geballten Genitiv-Verschluderung mittlerweile kapituliert. Nicht missverstehen, er ist natürlich auch pro „deinetwegen“. Dennoch akzeptiert er Kraftklubs Variante unter Schmerzen als umgangssprachlich zulässig.

Schuld daran tragen vermutlich Die Ärzte – sie veröffentlichten bereits vor dreißig (!) Jahren einen Song mit dem Titel, ja genau, Wegen dir. Man muss aber natürlich irgendwie auch die Kirche der Künstler im Dorf lassen. Sie alle machen Musik für das Volk. Und auch wenn aktuell ja offenbar viele verwirrt sind, wer das eigentlich genau ist, wäre es ja sinnbefreit, eine Sprache zu sprechen, die vor dem Radio keiner versteht. Genauso hält es übrigens auch Juli in ihrem Song Wir beide. Am Titel scheint zunächst erstmal alles vernünftig, im Refrain jedoch werfen sie den einfach über Bord und trällern schamlos „wir beiden“ – ein ebenfalls weit verbreitetes Phänomen. Liebhaber dieser ansonsten textlich stabilen Band dürfte das im Zweifel mit ein paar Fragezeichen, schlimmstenfalls beleidigt zurücklassen. Papa Duden hingegen duldet auch das. Der freut sich, wenn er Ruhe hat.

9. Blumentopf - Horst

Ich finde es sehr nett von den einschlägigen Songtext-Plattformen im Internet, dass die diesen Fehler in ihrer schriftsprachlichen Welt einfach still und heimlich ausgebügelt haben. Diese Musiker haben schließlich auch eine erzieherische Verantwortung, und wenn sie der nicht nachkommen, muss eben jemand anderes die Texte richtigschummeln. Ist vielleicht aber auch egal, denn wie häufig googlet schon jemand alte Blumentopf-Lyrics?

Um den groben Schnitzer hier zu identifizieren, muss man sich also ganz auf die Ohren verlassen. Und wenn die nicht vollkommen verschmalzt sind, registrieren sie im Refrain die folgende Unglaublichkeit: „Alter, seh das doch ein!“. Sapperlot! Die Jungs könnten meinetwegen noch 753 weitere Vornamen aufzählen – der größte Horst von allen ist hier ja wohl der Schreiber, der diese Imperativkatastrophe verbrochen hat. Lieber Herr! Nimm dir doch ein ein „i“ und gib es dem „seh“. Sieh im Deutschbuch nach. Und ach ja, iss bitte immer auf, damit die Sonne scheint – cool von dir, danke!

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Blumentopf

10. Tomte - New York

Ist das vielleicht ein schöner Song? Überhaupt keine Frage in meiner Welt. Doch diese eine Zeile, Thees, die macht mir wirklich schlimm zu schaffen: „Mit gekränktem Herz, über das jeder lacht oder hasst“. Also das ist doch schon etwas komisch, meinst du nicht auch?

Aber ich hab mir eine Erklärung für dich ausgedacht und schenke sie dir, wenn du magst. Sie lautet folgendermaßen: Du bist ein sehr großer Visionär und konntest schon vor zehn Jahren profimäßig in die Zukunft gucken. Damals, als euer viertes Studioalbum erschien und das Internet noch ein überwiegend freundlicher Ort war. Du wusstest genau, was passieren würde. Dass man heute als eingefleischter Jugendlicher nämlich inbrünstig „über Dinge abhatet“, statt einfach nur schnöde zu lästern. Und weil du natürlich auch den fortschreitenden Anglizismenbefall unserer armen Sprache vorausahnen konntest, hast du es einfach direkt voller Mut und gegen den Strom auf Deutsch gesagt. Ich bewundere dich, ganz ehrlich. Wer über dich hasst, hat nichts kapiert.

11. Xavier Naidoo – Zeilen aus Gold

Kürzen wir den Einstieg ab und sagen es so: Der von vielen noch immer als bester Sänger Deutschlands gefeierte Mannheimer Spross hatte schon bessere Zeiten. Antisemitische Äußerungen, ESC-Fiasko - wisst ihr selbst. Man kann ihm aber jetzt auch nicht alles vorwerfen. Wer beispielsweise inhaltlich was gegen das ziemlich dominante Doppel Papst/Pathos einzuwenden hat, muss halt wie ich was anderes hören. Wer sich über das hemmungslose Vernuscheln von Wortendungen mokiert, muss das genauso auch Samy ankreiden.

Wer allerdings nur schwer Refrains mit zweifelsfrei falschem Deutsch erträgt, der hat hier einen handfesten Grund, Xavier nicht nur auf persönlicher, sondern auch auf musikalischer Ebene eine gewisse Merkwürdigkeit vorzuwerfen. Achtung: "Ich schreib dir Zeilen aus Gold, schreib aus meiner Seele. Ich hab nur zeigen gewollt, was hier passiert.“ Okay, er ist vielleicht auf der Grammatik-Maus ausgerutscht. Verleiht dem Titel des Songs immerhin eine gewisse Komik. Mein ganz persönliches Anliegen jedoch: Wenn diese Zeile tatsächlich direkt aus seiner Seele kommt – kann an diesem furchtbaren Ort bitte mal jemand aufräumen? Jesus.

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