11 Gründe, warum ich Social Media scheiße finde (ich arbeite in Social Media)
Socia Media Week - das klingt erstmal nach einem vielversprechenden Namen. Schließlich dreht sich im Moment alles um die sozialen Netzwerke, und wie man diese am besten bewirtschaftet. Pflegt. Bespielt, um im selben Atemzug seine eigenen Corporate Identity zu stärken und den Gutwillen seiner User zu befriedigen.
Sogar die Tagesschau hat mittlerweile einen Instagram-Account - und das will was heißen. Unter den 150 Veranstaltungen, die über die Woche stattfinden, werden 17 Keynotes abgehalten. Mein Favorit: “Ganzheitlich fit im Job mit Pausenkicker” - der ganz im Sinne der Transparenz mit dem Tag “Multi-format / Health” versehen wird, um auch dem letzten klar zu machen, dass hier alles very Silicon Valley ist.
Etwa einen Monat vor der Veranstaltung kontaktieren uns Beebop-Media - eine Hamburger Social Media-Marketingagentur - und fragten, ob wir nicht Lust hätten, einen von uns auf die Bühne zu stellen. Über “Erfolg” auf Social Media sollten wir sprechen. Klar, warum nicht, dachte ich. Als alte Rampensau lass ich mir sowas sicher nicht entgehen.
Bei der Vorbereitung auf meinen ersten Auftritt als Speaker wurde mir recht schnell klar, dass diese Veranstaltung weniger mit Austausch und Szene-Treff, dafür mehr mit Marketing-Messe zu tun hat. “Und was genau willst Du mit deinem Abschluss werden? - XING kennt natürlich die Antwort!” - hosted by XING AG. Zufall? Offensichtliche Marketing-Gags wie dieser sorgten dafür, dass ich meine Ideen und Vorschläge lieber in den digitalen Reiswolf warf und den Troll mimte.
Entstanden ist daraus ”11 Gründe warum ich Social Media scheisse finde“- gibt es hier ganz classy zum Nachlesen.
Snapchat
Snapchat, das individuelle, in sich abgeschlossene Hochformat aus Amerika. Anfangs war das zwischen Snapchat und mir eine hitzige, junge Liebe. Ich war so sehr davon begeistert, dass ich meinen Kollegen, Freunden und Eltern damit so sehr auf die Nerven ging, bis irgendwer zu mir meinte: „Du benimmst dich wie ein pubertäres Kind, alter, geh’ mir nicht auf den Sack mit dem Scheiss.“
Seit Anfang diesen Jahres ist Snapchat unter Berufsjugendlichen der neueste heiße Scheiß™. Wie die Jungfrau zum Kind sind die “Former Head of Social Medias" zu ihrem multimedialen Spielplätzen gekommen.
Schade. Ich fand es super, dieses Snapchat. Konnte mit Freunden aus Amerika und der Heimat Bilder hin und her schicken. Nackt sein und betrunken mal noch eben den Kumpel beim Verzehr einer zu heißen Currywurst filmen - ohne, dass sich im Nachhinein irgendwer dafür interessiert hätte.
Jetzt ist das anders. Mein früherer Kollege postet über @Hellobild Fotos von Barbara Schöneberger. Die Storys des Snapchatters-des-Jahres Richard Gutjahr sind so möchtegern cool und nach den Standards des linearen Fernsehens vorproduziert, dass ich mir sogar lieber BibiBeautyPalace ansehen würde. Spätestens beim inhaltslosen Gelaber von Modebloggerinnen, die ihre Gefühle beim Morgengeschäft via Snapchat teilen, muss ich meine Finger erschreckt von der App weglassen.
Du bist bei Twitter? Glückwunsch, dann gehörst einer Berufssparte an, die entweder was mit Journalismus, PR oder IT zu tun hat, zumindest in Deutschland. In dieser kleinen Blase findet hauptsächlich gegenseitige mediale Beweihräucherung statt, die regelmäßig durch einen Sturm der Entrüstung unterbrochen wird, wenn Donald Trump mal wieder auf seiner Tastatur ausrutscht.
Das bringt dem durchschnittlichen Newsempfänger gar nichts, weshalb die nicht auf Twitter unterwegs sind. Deshalb übernehmen zum Großteil automatisierte Bots das Posten, die dann im 10-Minutentakt alles in deinen Newsfeed schießen, was bei den Websites online gestellt wird.
Die Kombi dieser drei Faktoren lässt mich schon auf den Home-Button meines iPhones drücken. #RIPtwitter
Auf Facebook habe ich über 1.100 Freunde, doch das interessiert, ganz im Gegensatz zu Twitter, niemanden. Weder beim Bewerbungsgespräch, noch auf Social Media-Events wie diesem hier. Warum auch, diese Freunde sind ja keine Branchen-Ikonen, die mir mit ihrem Follow ihren Respekt unter Kollegen zollen. Facebook, das Freundschaftsnetzwerk von einst, besteht heute hauptsächlich aus Videos, Gifs, Nazis und Veranstaltungseinladungen.
Jeder hasst Facebook. Es macht mich nur noch krank, wenn ich durch meine Timeline scrolle und verzweifelte Versuche von Kollegen entdecke, Traffic auf ihre Seite zu kriegen - und das sind meistens Menschen, die mir in Sachen Fähigkeiten, Erfahrung und Alter weit überlegen sind. Doch auf Facebook ist das kein Erfolgsgarant. Facebook will flachen Meme-Humor, Tonnenweise Hass, Jan Böhmermann und Videos. Alles andere ist Facebook egal.
Google & YouTube
Google erscheint dir so lange als reine Wikipedia-Eintrag-Suchmaschine, bis du SEO (Suchmaschinenoptimierung) verstanden hast. Von diesem Zeitpunkt an, steigert sich deine Abhängigkeit von Google ins Unermessliche und du würdest in harten Zeiten einfach alles dafür tun, um in den Top-Fünf der Suchergebnisse zu landen. Google+ mag vielleicht unwichtig in Sachen Social-Network sein und von einigen als das in den Brunnen gefallene Kind von Google angesehen werden - dabei weiß insgeheim jeder, dass Google diese Art von Social Media nicht nötig hat.
Google hat YouTube, dort werden Pro Minute 400 Stunden Videomaterial hochgeladen. Davon interessieren mich zwar nur Musikvideos und alte Folgen der Harald Schmidt - dass YouTuber und ihre Millionenfach geschauten Beiträge dem Komapatient Deutsches Lineares Fernsehen den Stecker ziehen, ist gerade für die unterhaltungsgeile Generation der 2000er Jahre beschlossene Sache. Für mich, der YouTube eigentlich nur der Musik wegen mag, ist YouTube dank der GEMA die Hölle. Googles Videoportal ist das krasseste GEMA-Opfer seit Pirate-Bay und Limewire hochgenommen wurden. Daraus ergibt sich das Prinzip: Egal, was du suchst, die GEMA war schneller.
Musik fällt also raus. Bleibt mir wohl nur noch der alte Harald Schmidt.
Periscope
Periscope, das coole Meerkat und einstiges Lieblingshobby von Kai “ich filme mich beim Weintrinken” Diekmann. Die einzigartige Möglichkeit, mein Follower-Umfeld mit einem Live-Stream von egal welchem Ort auf dieser Welt zu bereichern.
Das Problem an diesem Medium ist, dass ich mich, wie der große Rest der Menschen die ich kenne, meistens an recht langweiligen Orten (Büro, Bahn, Bett) aufhalte. Davon will nun wirklich niemand eine Videoübertragung sehen.
Abgesehen von der Aftershow-Diskussion bei Heute+, der Hashtag-Konferenz von Jan Böhmermann und dem Leben von Paul Ronzheimer, spielt Periskope für mich keine Rolle mehr. Warum auch, schließlich habe ich nicht die Mediale Power, um im Schützengraben von Krisengebiet XY mit dem Smartphone eure Fragen zu beantworten.
Oh Polaroid-Optik, du einzig wahre Liebe meines Hobby-Fotografen-Daseins. Instagram, du warst mein Revier, auf dem ich 3 Jahre lang Fotos von meinem Alltag, Urlaub und den hardcore Besäufnissen mit meinen besten Freunden posten konnte, ohne dass sich irgendjemand dafür interessiert hätte.
Jetzt postet meine Bekannte dort Fotos, auf denen sie mit 2000 Euro teuren Handtaschen posiert, die ihr nicht gehören. Das Lokal-Blatt versucht das Prinzip der Live-Übertragung, mit einer Bilderflut auf Instagram vom Karnevals-Umzug, ins 21. Jahrhundert manövrieren zu können und die Springer-Boys and Girls von BYou benutzen den frisch verurteilten Hansentertainment, um eine Social-Media-Challenge künstlich ins Leben zu rufen, indem sie Joko Winterschein und BibisBeautyPalace darauf markieren. Adieu, #Instalove, es war so geil mit dir.
Benutzt eure Kanäle, als wären es eure Privataccounts
@nottmarius Twittern
Meine euch versprochene Liste “11 Gründe warum ich Social Media nicht mag” endet hier, schließlich habe ich mich in die Rolle des Trolls, nicht des Haters begeben. Ich wurde zu diesem Event eingeladen, um euch zu erklären, wie man Social Media erfolgreich nutzt und zuverlässig Nutzer auf den eigenen Content bringt, doch das kann geht nicht.
Es gibt keinen todsicheren Plan, kein Schema F nachdem ihr arbeiten könnt, welches euch gewährleistet auf Social Media erfolgreich zu sein. Wie ihr es schafft, hin und wieder eure Follower zu begeistern ist recht einfach: benutzt eure Kanäle, als wären sie eure Privataccounts und vermischt diese Einstellung mit dem nötigen Happen Professionalität. Behandelt eure Follower wie eure Freunde im Real Life und verarscht sie nicht mit Clickbaiting oder abgedroschenen Social-Media-Floskeln wie „Das ist der neue heiße Scheiss aus…“.
Und was machen wir mit den Trollen und Hass-Junkies? Ihre Probleme ernst nehmen und dann blocken und löschen, sodass die bei Verstand gebliebenen Menschen eure Produkte wieder ohne Kotztüte in der linken und der Maus in der rechten Hand abrufen können.