11 Gedanken, die man beim ersten Besuch der Elbphilharmonie hat
Das Projekt Elbphilharmonie ist ein Chaosbau, der in seinem Ausmaß nur noch vom Berliner Flughafen übertroffen wird (an dieser Stelle liebe Grüße in die Hauptstadt: Fertig!).
Trotzdem bildet die “Elphi” schon lange den Mittelpunkt des neuen Hamburger Stadtbildes - und mit der Teileröffnung ist der Ärger über die Kostenexplosion größtenteils Vorfreude und Begeisterung gewichen. Ganz Hamburg und Umgebung steht sich seit einer Woche geduldig die kalten Beine in den Bauch, um endlich die Rolltreppe zum Plaza hinauffahren zu dürfen. Und auch ich habe nicht gezögert, als ich das Angebot bekomme, mich hinter den Kulissen des Konzerthauses umzusehen, das die neue Heimat des NDR Elbphilharmonie Orchesters ist. Ich erwartete nichts geringeres als vergoldete Klobrillen und rote Teppiche. 11 Gedanken, die mir dann tatsächlich durch den Kopf geschossen sind:
1. Woah!
Die Aufzugtüren öffnen sich im zwölften Stock direkt vor der Fensterfront nach Süden und mir bleibt tatsächlich kurz der Atem weg. Astreiner Blick über den Hafen und die Elbe. Wahnsinn. Wäre ich ein zahlender Konzertbesucher, hätte sich der Eintrittspreis jetzt schon gelohnt. Ich geselle mich zu dem Rest des Presse-Corps, der sich bereits Nasen und Objektive an der Scheibe plattdrückt, bis uns unsere Gastgeber fast gewaltsam von der Aussicht losreißen müssen.
2. Sind das Eierkartons?
Unsere Begrüßung findet im großen Saal statt. Nach den obligatorischen Ohs und Ahs (der Saal ist wirklich ziemlich beeindruckend), frage ich mich jedoch: Hängen hier eigentlich Eierkartons an den Wänden? Und warum ist die “weiße Haut” nicht weiß, sondern beige? Auflösung: Es sind 10.000 individuelle Gipsfaserplatten, die so gefräst sind, dass sie den Schall bestmöglich brechen. Kopf dieser Idee ist der Japaner Yasuhisa Toyota, einer der besten Akustiker der Welt.
3. Willkommen im Bunker!
Der große Konzertsaal schottet jedes, aber wirklich jedes, Mobilfunksignal gnadenlos ab. “Nur Notrufe möglich”. So sparen sich die Verantwortlichen später immerhin den Hinweis ans Publikum, doch bitte die Handys lautlos zu schalten. Kommt eh nix durch.
4. Hier könnte ich es drei Stunden lang ziemlich gut aushalten
Während uns der Orchester-Manager im großen Saal von der traumhaften Akustik vorschwärmt, sinke ich tiefer in meinen Sessel und bin positiv überrascht. Nicht zu weich, nicht zu hart, viel Beinfreiheit. Dazu kommt, dass durch den Saalaufbau in Weinbergsform (das heißt wirklich so) niemand weiter als 30 Meter Luftlinie vom Dirigenten entfernt sitzt. Für lange Klassikkonzerte gibt es wirklich schlechtere Orte.
5. Smells like Ikea und Aufbauchaos
In den Gängen hinter dem großen Saal und in den Künstlergarderoben schlägt mir ein wohl bekannter Geruch in die Nase. Ikea? Wahrscheinlich (hoffentlich!) nicht, aber es riecht penetrant nach gerade erst ausgepackten Möbeln und frisch verlegtem Holzfußboden. Sofort habe ich Schimpftiraden über ungenaue Anleitungen und fehlende Schrauben im Ohr. Immerhin - hier wurde bestimmt niemandem mit Enterbung gedroht.
6. Motivation durch Aussicht? Works for me!
Die Dirigenten-Garderobe besticht vor allem durch eins. Na? Richtig, die Aussicht! Das längliche Design des Raumes legt den Fokus auf die Fensterfront und den Blick über Hamburg. Die Idee dahinter sei Motivation, erklärt uns Orchester-Manager Achim Dobschall. Wenn sich Gast-Dirigenten vor solch einem Panorama auf den Auftritt vorbereiten dürfen, sei die Motivation umso größer, einen eindrucksvollen Auftritt hinzulegen. Das würde bei mir bestimmt auch klappen. Ob da noch irgendwo ein Schreibtisch reinpasst? Co-Working mit dem Konzertmeister?
7. Warum quietscht der Aufzug schon?
Wir fahren mit dem Lastenaufzug runter in das Lager für die Instrumente. Der Aufzug quietscht und rappelt lauter als der Paternoster im Bezirksamt Eimsbüttel. Ich dachte, das Ding hier ist neu? Vielleicht schicke ich ihnen ne Dose WD40 rüber.
8. Es gibt Spinde für Musikinstrumente? Echt jetzt? Unglaublich!!!
Ich habe noch niemals zuvor einen Menschen mit soviel Enthusiasmus über Spinde reden hören, wie Herrn Dobschall, als er uns die Umkleiden der Musiker zeigt. Es gibt nämlich - haltet euch fest - für jedes Instrument einen passenden Spind. Wow! Und das in einem Gebäude, das nur knapp 900 Millionen Euro gekostet hat. Wahnsinn. Ansonsten sieht es hier aus wie in jeder gehobenen Fitnessstudio-Umkleide, auf die man einen Puristen losgelassen hat. Alles ist sehr weiß und steril. Aber der Ausblick ist, ich wiederhole mich gerne, bombastisch.
9. Krankenhaus- oder Orchestercafeteria?
Das Thema “steriles Weiß” setzt sich konsequent fort. Auch die Cafeteria im 12. Stock kennt keine Farben. Jeder Krümel und Kaffeetropfen fällt sofort ins Auge und ich erwarte insgeheim, dass gleich die ersten Patienten im Rollstuhl hereingeschoben werden. Es fehlt an Charme und Persönlichkeit, aber so lenkt immerhin nichts von dem Ausblick ab. Hatte ich schon erwähnt, dass der ziemlich fantastisch ist?
10. Wo sind sie denn, die Millionen?
866 Millionen Euro sind der Betrag, den die Stadt offiziell als Baukosten nennt. In Wirklichkeit liegen die Kosten jedoch noch weit darüber. Doch selbst 866 Millionen sind für mich eine unvorstellbare Summe. Deswegen bin ich doch überrascht, dass ich weder rote Teppiche noch vergoldete Geländer finde. Außerhalb des pompösen großen Saals ist alles sehr leer und einfach gehalten. Schade.
11. Ach, es geht ja um Musik. Die Akustik ist der Hammer und ich brauche unbedingt Konzertkarten!
Zum Ende der Tour dürfen wir noch in einige Stimmzimmer hineinhören. Hier hört man wirklich, dass die Akustik bei der Planung oberste Priorität hatte. Wenn der Klang in diesen kleinen Räumen schon so überzeugt, wie muss es dann erst im großen Saal sein? Ich ärgere mich ein wenig, dass ich den Vorverkaufsstart im Juni verpennt habe, weiß aber jetzt, was ich zu Weihnachten verschenke.