Beziehungsstatus 

Den ganzen Dezember über versorgen wir dich mit Geschichten in Kooperation mit 54Stories zusammen. Heute: Über die Liebe, die Einsamkeit und Marmeladenbrot. "Beziehungsarbeit" von Sarah Berger.

I

Alles beginnt damit, dass ich vorbei gehe. Die Haut perlt langsam von mir ab – so stelle ich mir ihre Berührung mit dem Wasser vor. Es kann nur ein Kampf sein. Jeder Tropfen nimmt ein Stück von ihr mit und wenn ich nur lange genug unter der Dusche bleibe, bin ich endlich verschwunden. Nur die ganzen Dinge, die sind dann noch da. Die ganzen Dinge können dann meine Geschichten erzählen, wie dieses viel zu heiße Duschen hier. Ich könnte jetzt behaupten, ich dusche nur so heiß, um endlich etwas zu spüren: Wärme. Um Wärme zu spüren und meinen Körper und meine Hautpartikel, die langsam anfangen zu brennen. Weil das romantisch ist. Weil es ein sehr romantisches Bild ist, Frauen die unter der Dusche brennen. Weil das bedeutet, dass etwas passiert – in mir. Duschszenen sind dafür vorgesehen, den Protagonisten zu einem inneren Monolog anzuregen, seine Entwicklung zu reflektieren oder den Status quo – wo er/sie/es gerade steht. Ich stehe unter der Dusche und ich will verschwinden und das Wasser ist sehr heiß und ich spüre meinen Körper.

II

Er sitzt in der U-Bahn. Ich schau ihn lange an. Er trägt so eine ganz typische Hipsterbrille mit sehr dickem Rahmen und dünner weißer Linie auf einer großen, spitzen Nase und ich entdecke gerade meine Leidenschaft für große, spitze Nasen und seinen klaren Blick, während er so ein bisschen mit dem Kopf wippt. Ich tippe ihm ans Bein, er nimmt die Kopfhörer ab: „Fahren wir heute Abend zusammen zu dieser Ausstellung?“ er zuckt mit der Schulter: „Ich muss auf jeden Fall bis 18 oder 19 Uhr arbeiten – willst du dann zum Essen kommen, dann fahren wir zusammen.“ Ich nicke und verliebe mich zum 23785ten Mal in seinen kühlen Wienerakzent. Wir haben uns vor ein zwei Jahren kennen gelernt – er ist Freelancer im Graphikbereich und hat ein paar Wochen bei mir in der Firma ausgeholfen. Wir haben zusammen im Innenhof geraucht und über Kunst gequatscht und uns dann auch privat getroffen. Zuerst dachte ich, er sei schwul, weil ich so ein bisschen in ihn verliebt war, wir haben rumgemacht auf einer Party, ziemlich betrunken, fanden dann aber beide, dass es eher so ein Freundschaftsding ist. Wir wohnen nicht weit von einander und treffen uns ab und an in der U-Bahn und gehen zusammen zu Vernissagen und Ausstellungen. Frank. Frank scheint mir ein guter Name zu sein und Frank wippt sehr hübsch zu der Musik in seinem Kopf. Als Frank dann aussteigt (dabei positioniere ich meine Beine genau so, dass er sie beim Vorbeigehen berühren muss) – als Frank dann aussteigt, bin ich ein bisschen traurig, dass wir uns nie wieder sehen werden.

III

Ich bin zu spät aber als Tabor mich mit dem Satz: „Ich bin verzweifelt!“ begrüßt, beruhigt mich das.  Es ist ihm nicht aufgefallen und seine Worte wirken so, als hätte er Stunden vor meiner Ankunft angefangen, sie zu sprechen. „Immer das Gleiche.“ setzt er ganz gern von vorne an. Ich nicke verständnisvoll. Das stimmt. Es ist wirklich immer das Gleiche. Die Weiber sind verrückt und du bist verliebt in verrückte Weiber. Ich wünsche mir so sehr, dass sie ihn mitten in der Nacht mit Wahrnehmungsstörungen terrorisiert oder nur auf Sex steht, wenn er in Kindersprache darum bettelt – ich will, dass schöne Frauen verrückt sind. Alles andere wäre absurd. Ich nicke immer noch und warte auf das große Verrückte, welches die Welt endlich gerecht machen würde – „Unter vierzig sollte man sich nicht in eine Frau verlieben, wenn man keine Kinder will.“ sagt er. „Immer bestimmen die Frauen, in welche Richtung die Beziehung  geht – das macht meine Liebe kaputt.“ Ich nicke und nicke aber „Warte mal – “ fahre ich ihm in den Satz über seinen sehr begehrten Samen – „Ihr seid erst ein paar Monate zusammen.“ Und auch nur, weil sie schön ist und du jede Frau bekommst, wenn du sie willst – ich weiß nicht mal, was ihm an ihr gefällt: „Was gefällt dir an ihr?“ frage ich ihn, und hoffe, es gibt etwas über das Offensichtliche hinaus. Ich schüttle den Kopf. Sei nicht so gemein zu ihm und zu ihr und zur Strafe bestellst du dir jetzt ein Stück Kuchen und verdrängst alles andere und wendest ganz brav ein: „Ihr seid doch erst ein paar Monate zusammen.“ – „Ja, eben! Und überhaupt – warum wollt ihr immer Kinder.“ – „Ich will keine Kinder.“ – „Unter vierzig darf man sich einfach nicht verlieben – man ist nur die Samenbank.“ – „Aber ihr seid doch erst ein paar Monate zusammen.“ – „Ja eben und heute morgen hat sie mir gesagt, dass unsere Kinder bestimmt hübsch aussehen würden ...“ und du bist aus dem Bett gesprungen, in welchem ihr gerade noch furchtbar langweiligen Sex hattet weil schöne Frauen immer furchtbar langweilig im Bett sind aber warte mal, du bist ja verliebt also war der Sex zumindest irgendwie schön – egal … du bist aus dem Bett gerannt und hast mir schnell eine Nachricht geschrieben: „Sitze im Café, willst du rum kommen.“ und ich dachte mir, wir reden vielleicht mal über was cooles, z.B. mich. „Ich will keine Kinder.“ nach dem dritten oder vierten Mal schaut Tabor auf: „Klar! Jede Frau unter 40 will Kinder!“ – „Nein! Ich nicht.“ aber Tabor ist sich sicher, dass das nur so eine Phase ist. Ich denke an Frauen über vierzig von den Flippers und fange an, die Melodie zu summen. Der Kaffee ist leer und ich will endlich das Stück Kuchen.

IV

Ja, ich hätte. Ich würde wollen, könnte ich. Wenn alles anders wäre. Wenn ich nicht ich wäre. Wenn ich nicht ich wäre, würde ich dich heiraten. Hat mir T. geschrieben. Ich hätte gekonnt, hätte ich gewollt, oder gewürdet, oder wäre ich überhaupt da gewesen oder bei dir oder in dir. Wäre ich du gewesen – so ganz. Und ich kann dir sagen, was sich entwickelt: Wir werden echt Spaß haben, weil ich eine ziemlich intelligente und witzige Frau bin – wir werden uns gut verstehen, wir werden Essen gehen und ins Kino, ich werde dir vorlesen, du wirst meine Stimme lieben und meine verrückte, chaotische Art. Du wirst Dinge sagen wie: Du bist toll, es ist schön mit dir zusammen zu sein. Aber dann, irgendwann – wirst du einer anderen Frau begegnen, in die du dich unsterblich verlieben wirst und wir werden Freunde bleiben.

V

Gespräche: Meine Prinzessin (nicht Räuberstochter, ohne Katzenallergie und Kind) sollte nach 5 Std. Waldspaziergang noch immer interessant sein. Wer matched, schreibt! – ich huste. Da ist das Konzept. Nur der Mensch, der Mensch ist nicht da. Dann matche ich aus Langeweile und weil ich wissen will, was passiert, wenn ich matche und nicht schreibe. Alex hat mich abserviert. Via Whatsapp: Ich hab volles Ballett das Gefühl gehabt und irgendwie immer noch, dass wir super zusammenpassen. Was ich über so Team und so (klar im Beziehungskontext) am Anfang erzählt hab. Und mich nervt auch nichts an dir oder schreckt mich ab. Im Gegenteil. Es ist halt einfach dieses behämmerte ‘Liebe’, was eine komplett andere Qualität hat, das nicht da ist. Leider ist es für mich zentral. Ich habe mich bisher nur in eine Frau verliebt gehabt und die war alles andere als passend oder vernünftig oder die theoretisch tollste. Es ist also nichts von alledem, was du gesagt oder gemacht hast. Ich weiss, das klingt blöd und bringt nichts, aber wenn ich mich entscheiden könnte, würde ich sagen: Amor, hau mir den Pfeil rein. Kann ich aber nicht.

VI

Der Nachbar schaut hoch, ich schaue runter, er schaut weg. Es ist Liebe. Ich stehe am Bahnhof oder im Regen oder auf einer Brücke oder an einem anderen Ort, der veranschaulichen soll, dass sich in meinem Leben oder in mir etwas verändert oder verändert hat – ich stehe also in einer Metapher. Warum ist das Schlafzimmer so kalt? „Sagst du es mir, wenn du dich verliebst?“ – „Ja, okay. Wobei das jetzt gefühlsmäßig furchtbar weit weg ist.“ – „Was?“ – „Das Sich-Verlieben.“ – „Ja, bei mir auch.“ Das finden wir dann beide traurig. „Sag mir noch, dass du mich brauchst.“ Aber das kann ich nicht. Ich stehe auf diesen Moment davor. Wenn jede Berührung absichtlicher Zufall ist. Ich mein: Willst du noch mit hoch kommen und dir meinen Schaukelstuhl anschauen. Ich mein: Willst du noch mit hoch kommen? Also ich hatte nicht damit gerechnet, dass du eine Geschichte mitbringst – und mir vorliest, als hätten wir uns schon immer gekannt. Ich stehe auf den Moment davor. Nirgends, Geliebte, wird Welt sein, als innen. Ich stelle mir vor, ich habe ihm nachgeschaut – wie er die Straße runter geht. In Wahrheit habe ich kurz nach unserem Abschied eine Zigarette angezündet und auf mein Handy geschaut. Aber ich komme mir bedeutend vor, wenn ich mir vorstelle, ich habe ihm nachgeschaut. Ihm hinterher schauen – wie im Film mit leicht sehnsüchtigem Blick. In Wahrheit tut das niemand. Das ist nur eine Vorstellung von der Welt – wie es sein sollte. Siehe, wir lieben nicht.

VII

Ich schreibe M. einen Brief ohne Ansprache. Ohne Lieber, Liebster, Hallo – ich schreibe ihm, es sei schön, dass er schreibe obgleich er nicht geschrieben hatte. Ich mache einen Witz. Gerade wäre ich nach Hause gekommen, schreibe ich ihm, nach Hause von der Hochzeit. Ich frage mich, wie viele literarisch bedeutende Briefwechsel der Nachwelt verborgen bleiben werden allein wegen des Internets. Ich habe an ihn gedacht, schreibe ich. Das stimmt nicht. Ich schreibe es dennoch – es klingt nett. Ich schreibe: Es war ein wirklich schönes Fest und ich freue mich für meine Freundin und meinen Freund, dass sie zueinander gefunden haben und so eine herzliche Runde zusammen stellen konnten mit all den Menschen, die ihre Freude teilen. Aber mir ist ein weiteres Mal aufgefallen, wie seltsam ich Beziehungen finde. Ich unterbreche meinen Brief um aufzustehen und Erich Fromm zu suchen. Er ist in einer der zehn, zwölf Kisten – ich weiß natürlich nicht in welcher. Aber ich will jetzt ganz dringend Erich Fromm lesen! Man findet oft zwei Verliebte, die niemanden sonst lieben. Ihre Liebe ist dann in Wirklichkeit ein Egoismus zu zweit; es handelt sich dann um zwei Menschen, die sich miteinander identifizieren und die das Problem des Getrenntseins so lösen, dass sie das Alleinsein auf zwei Personen erweitern. Sie machen dann zwar die Erfahrung, ihre Einsamkeit zu überwinden, aber da sie von der übrigen Menschheit abgesondert sind, bleiben sie auch voneinander getrennt und einander fremd; ihr Erlebnis der Vereinigung ist damit eine Illusion. Ich schreibe M., dass ich Fromm jetzt verstehe. Es sei mir klar, schreibe ich ihm, dass sich bestimmte Formen von Intimität oder die Intimität an sich tatsächlich nur in Paarbeziehungen realisieren lassen (wobei ich glaube, dass das nicht stimmt – denn ich habe auch mit Freunden solche Momente der Intimität erfahren) aber ich fände die Konstellation von zwei doch seltsam. Man schließe mit seiner Liebe, schreibe ich ihm, so viele andere Menschen aus. Eine Gruppe bestünde mit einem Mal nur noch aus Paaren und sei nie wirklich als Gruppe vorhanden – wirklich vorhanden, gegenwärtig, anwesend, da. Es bleibt eine greifbare Verschlossenheit. Ich fände das absurd, schreibe ich ihm. Mein Herz tue mir weh und meine Füße (von den Schuhe mit den hohen Absätzen, aber das schreibe ich nicht, weil es ohne diese Anmerkung poetischer klingt). Ich hätte mich die meiste Zeit in einem Teil von mir sehr unwohl gefühlt, schreibe ich ihm. Zum Einen wäre ich alleine gewesen und all die anderen, all die Paare hätten eine direkte Bezugsperson gehabt – ich stocke. Ich will das nicht schreiben, also lösche ich das. Die Einsamkeit der Frau mit dem Marmeladenbrot, denke ich. Ich hätte mir so gut vorstellen können, einfach Else mit auf die Hochzeit zu nehmen oder Tom. Ich brauche keinen Partner, schreibe ich ihm. Es sei schön, jemanden zu lieben, einen besonderen Menschen zu lieben aber warum muss eine Beziehung immer auf solch eine Geschlossenheit hinauslaufen? Ich liebe doch auch meine Freunde, schreibe ich ihm. Ich liebe so viele Menschen. Doch dann säße man auf dieser Hochzeit und sei automatisch allein. Das fände ich nicht gut. Das sei so weit von meinem Leben entfernt, schreibe ich ihm. Oder von dem, was ich fühle. M antwortet: Es ist normal, dass du dich in solch einer Situation einsam fühlst. Dann lösche ich alles und rauche eine Zigarette auf dem Balkon.

 


 

Die Autorin:

c-Laura-Hoffmann

Sarah Berger, geb 1985 lebt und arbeitet in Berlin. Weil sie weiß, dass Aussehen keine Leistung ist, genauso wenig wie Intelligenz, schreibt sie gerade an ihrem zweiten Roman über die Frage, warum jede Geschichte um eine Frau eigentlich damit beginnt, dass sie keinen Mann hat. Veröffentlich hat sie u.a. auf Klischeeanstalt.net und 1000Zeichenund natürlich ihrem hauseigenen Blog.

Bild: Laura Hoffmann

 


 

 

Beitragsbild: Martin Wessely
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