11 Liebeserklärungen an den Fußball

Die Liebe zum Fußball ist eine Liebe fürs Leben. Es ist eine Liebe in den emotionalen Grenzbereichen, fordernd und belohnend gleichermaßen. Es reicht nicht aus, hier von einem Sport zu sprechen. Fußball ist Spiel, Kultur, Philosophie, Lebenseinstellung und noch mehr. Fußball ist alles – und jeder, der das nachfühlen kann, darf sich glücklich schätzen. Aus schier unendlichen Gründen, warum wir den Fußball so lieben, haben wir uns einige wenige herausgepickt. Eine Liebeserklärung in 11 Teilen.

von Tim Pommerenke und Tim Sohr.

Bolzplatz

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Wer als Junge nicht auf dem Bolzplatz gekickt hat, beraubt sich einer einmaligen Chance. In den Käfigen, auf den staubigen Ascheplätzen gilt es, sich durchzusetzen, zum ersten Mal im Leben die Ellenbogen auszufahren, zu kämpfen, zu kratzen, zu beißen und zu spucken. Es sind harte, gnadenlose Duelle, die hier ausgetragen werden – aber sie sind der faire Ersatz zur Pausenhofschlägerei. Überhaupt geht es auf dem Bolzplatz viel dankbarer zu als im späteren, wirklich wahren Leben: Denn erstens darf hier jeder mitspielen. Und zweitens definiert sich dein Status ausschließlich über die Leistung. Allen Bolzplatz-Kindern sei deshalb zugerufen: Genießt es, solange ihr könnt – es wird nicht für immer so einfach bleiben.

 

Dein Verein

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Man kann hier wenig sagen, was Nick Hornby nicht schon besser und treffender gesagt hätte. Deshalb möchten wir kurzfassen, was eigentlich überhaupt nicht zu fassen ist. Der Verein ist eine Liebe auf Lebenszeit, bedingungslos und innig. Irgendwann findet er dich und ihr werdet eins. Er wird Teil deiner Persönlichkeit. Zusammen erlebt ihr Höhen und Tiefen. Die einen mehr Höhen, die anderen mehr Tiefen. Aber das ist völlig egal. Es ist dein Verein. Mit Bierduschen und Tränen. Sei es an Spieltagen oder dazwischen. An jedem einzelnen Tag im Jahr. Und das für immer.

 

Tore

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Erlösung oder Verderben, komprimiert in einem Moment. Dem vielleicht größten Moment überhaupt. Nichts auf der Welt euphorisiert wie ein perfektes Tor. Fallrückzieher, Vollspann unter die Latte oder einfach präzise in den Winkel geschlenzt. Ob von unvergleichlicher Bedeutung wie Götze gegen Argentinien 2014 oder unsterblicher Raffinesse wie Dennis Bergkamp 2002 gegen Newcastle United. Man kann ganze Tage damit verbringen, sich die besten Fernschusstreffer von Thierry Henry anzuschauen, physikalisch grenzwertige Freistöße von Roberto Carlos, irre Geistesblitze von Zlatan Ibrahimovic. Nie werden sie auch nur einen Deut ihrer Größe verlieren.

 

Derby

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Es gibt Spiele gegen Hoffenheim, Elversberg oder Ingolstadt, bei denen es rein um Punkte geht. Doch manchmal geht es um mehr. An diesem Tag gefühlt um alles. München brennt, wenn die Löwen gegen den großen FC Bayern antreten. Schalke gegen Dortmund ist im Pott eine Glaubensfrage. Auch in Hamburg ist man mit Derbys vertraut, wenn der HSV mal gegen St. Pauli antritt – oder lauert der wahre Feind nicht in Wahrheit an der Weser? Ob auf internationaler Bühne wie in Madrid oder in der Kreisklasse C 2 Ost im Hochsauerlandkreis – wenn der Nachbar fordert, lässt das niemanden kalt.

 

Fußball im TV

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Der Fußball im deutschen Fernsehen hat schon viele Häutungen mitgemacht: Von der staubtrockenen Sportschau des letzten Jahrtausends über die Superzeitlupe von Premiere und die Beckmannkernerisierung mit Ran und Ranissimo in den ballonseidenen 90ern bis zu den schicken Anzügen der Sky-Moderatoren von heute – es gab immer viel zu gucken. Und selten finden Fußballfans unterschiedlicher Vereine einen größeren Konsens als in ihrer Abneigung gegen Kommentatoren, zum Beispiel Marcel Reif: Der wird von Bayern- und Dortmund-Fans gleichermaßen gehasst.

 

Auswärts

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Als Fan darf man sich erst bezeichnen, wenn man schon mal auswärts dabei war. Sagen die, die es erlebt haben. Und da ist zweifellos etwas dran. Auswärts heißt, sich Zeit zu nehmen für den Verein. Manchmal mehrere Tage. Ob mit dem Flieger, der Bahn, dem Bus oder in Hamburg auch gern mit der S-Bahn. Die großen Arenen sehen und die kleinen Schmuckkästchen, die überall auf der Landkarte zu finden sind. Nirgendwo schmeckt das Fischbrötchen so frisch wie bei den Kickers Emden und die Wurst so deftig wie bei Rot-Weiß Erfurt. Nirgendwo trifft man so skurrile und liebenswürdige Gestalten wie an den Auswärtsfahrer-Knotenbahnhöfen Hannover und Minden. Auswärts is’ am schönsten.

 

Helden

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Fußball ist ein Mannschaftssport, doch tief geprägt von seinen Individualisten. Das kann sich auf ihr Können beziehen oder auch ihr Auftreten. Jeder wählt sich seine Helden. Ob man auf dem Bolzplatz mit diversen Übersteigern Christiano Ronaldo huldigt, bei einem Rotwein über die kulturelle Bedeutung Eric Cantonas parliert, die Vereinstreue von Paolo Maldini lobpreist, das verkannte Genie von Mesut Özil verteidigt oder im Unterwäschekatalog nach David Beckham blättert. Man kann Fußballer abgöttisch verehren oder leidenschaftlich hassen. Wo sonst kann man das schon mit solcher Inbrunst tun, wenn nicht in diesem wunderbaren Spiel?

 

Europapokal-Abende

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Bremens zahlreiche „Wunder von der Weser“, das Champions-League-Finale 2005 zwischen Liverpool und dem AC Mailand, Arjen Robbens Jahrhunderttor von Manchester oder die Last-Minute-Tore von Dortmund gegen Malaga – die dramatischsten, denkwürdigsten Fußballgeschichten werden im Nebel des mittwöchlichen Flutlichts geschrieben. Europapokal-Abende brennen sich ins internationale Kollektivgedächtnis. Europapokal-Abende sind dampfende Fankurven, wichtige Auswärtstore und fanatische Stimmung von Istanbul bis Rotterdam. Eine ganz spezielle Magie. Man könnte es auch im Geiste Andy Möllers formulieren: Mailand oder Madrid – Hauptsache Europapokal.

 

Lebensweisheiten

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Fußballer reden viel, weil sie viel gefragt werden. Die heutigen Profis sind zwar so medientrainiert, dass kaum noch Platz für Peinlichkeiten bleibt, aber im Laufe der Jahrzehnte hat sich trotzdem ein unerschöpflicher Fundus an Bonmots angesammelt, die längst in den allgemeinen Sprachgebrauch übergegangen und in zahlreichen Zitatensammlungen nachzuschlagen sind. Weisheiten wie „der Ball ist rund“ und „ein Spiel dauert 90 Minuten“ sind in ihrer Schlichtheit erschlagend und funktionieren als Metapher für das ganze Leben. Nicht? Naja, vielleicht sollte man das Ganze auch nicht so „hochsterilisieren“ (Bruno Labbadia). Am besten fährt man wahrscheinlich immer noch mit Lothar Matthäus’ alter Vorgabe, in Weltsprache formuliert: „I look not back, I look in front.“

 

Fußball in der Popkultur

Der Fußball schreibt die schönsten Geschichten, deshalb ist es in der Fiktion manchmal so eine Sache mit ihm. Es gibt grandiose Fußballdokumentationen (von „Trainer!“ bis zu Sönke Wortmanns Sommermärchen), ein paar spaßige Klamotten („Fußball ist unser Leben“ mit Uwe Ochsenknecht und Ralf Richter), aber nur wenige Werke, die der dramatischen Ernsthaftigkeit, die der Fußball auch sein kann, Rechnung tragen. Ähnlich verhält es sich mit Fußballsongs: Natürlich gibt es die „Three Lions“ von Baddiel & Skinner (besser bekannt als „Football’s Coming Home“), es gibt die WM-Songs der Fernsehsender und es gibt unzählige, rührend-pathetische Vereinshymnen von Köln („Mer stonn zu dir, FC Kölle“) bis München („Stern des Südens“). Aber die großen Bands halten sich vom Thema inhaltlich weitestgehend fern – wenn sie nicht gerade Sportfreunde Stiller heißen und mit „We Have To Win Zweikampf“ gleich ein ganzes Album über Fußball veröffentlichen. Da ist also noch Luft nach oben. Oder wie Herbert Grönemeyer singen würde: „Zeit, dass sich was dreht“.

 

Weltsprache Fußball

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Sag mir was über Fußball und ich sag dir, wer du bist – wer den Fußball ernst nimmt (und jeder Fan nimmt ihn sehr ernst), der wird in die charakterliche Beurteilung eines anderen Fans immer auch dessen Fußballcharakter miteinbeziehen: Ist er Erfolgsfan, Modefan oder Traditionalist; versteht er was von Taktik; ist er mit den historischen Ereignissen des Fußballs einigermaßen vertraut; und so weiter. Über kein anderes Thema kommt man am Kneipentresen so leicht ins Gespräch. Bei keinem anderen Thema glaubt man so leicht zu durchschauen, wes Geistes Kind sein Gegenüber ist. Und bei keinem anderen Thema wird man von seinem Gegenüber so leicht durchschaut. Die Sprache des Fußballs ist universell, sie ist leicht zu lernen – und manchmal doch so schwer zu verstehen.

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Bilder:
JFRYBLN (1)Jakub eS. (2), rionegro.com.ar (3), Ryu Voelkel (4), WDR / Sportschau (5), KleinerTod (6),  Wollbinho (7), Steve Thake (8), David Filipe (9), Michael Thirnbeck (11)
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